II

[149] Im Frühjahr des sechsten Jahres nach Katerina Lwownas Verheiratung gab es auf der Ismajlowschen Mühle ein Unglück: das Hochwasser hatte den Damm durchbrochen. Die Mühle hatte gerade viel Arbeit, und der Schaden war sehr groß: das Wasser kam unter den Lauftrog des leeren Gerinnes und ließ sich nicht wieder einfangen. Sinowij Borissowitsch trieb die Leute aus der ganzen Umgegend zusammen und überwachte Tag und Nacht die Arbeiten; die Geschäfte in der Stadt versah der Alte, und Katerina Lwowna war tagelang allein zu Hause. Als sie ohne Mann geblieben war, fühlte sie anfangs noch größere Langweile; dieser Zustand gefiel ihr aber mit der Zeit nicht schlecht; sie konnte freier aufatmen. Sie hatte ihn ja niemals geliebt, nun hatte sie wenigstens einen Aufseher weniger.

Einmal saß sie in ihrem Mezzanin am Fenster, gähnte, dachte an nichts Bestimmtes und schämte sich zuletzt, immer so zu gähnen. Draußen war aber der herrlichste Tag: warm, heiter, lustig, und durch das grüne Holzgitter des Gartens waren flinke Vöglein zu sehen, die von Zweig zu Zweig hüpften.

– Warum gähne ich so? – fragte sich Katerina Lwowna. – Ich will einmal aufstehen und in den Hof oder in den Garten gehen. –

Sie warf sich einen alten Pelzumhang um und ging hinaus.

Unten auf dem Hofe ist es so hell, die Luft ist so erfrischend, und auf der Galerie bei den Speichern schallt lustiges Gelächter.

»Was freut ihr euch so?« fragte Katerina Lwowna die Angestellten des Schwiegervaters.[150]

»Wir haben eben ein lebendes Schwein gewogen,« antwortete ihr der alte Verwalter.

»Was für ein Schwein?«

»Das Schwein Aksinja, das den Sohn Wassilij geboren und uns zur Taufe nicht eingeladen hat,« berichtete ihr frech und lustig ein Bursche mit kühnem, hübschem Gesicht, pechschwarzen Locken und einem kaum sprossenden Bärtchen.

Aus dem Mehlkübel, der am Wagbalken angehängt war, sah in diesem Augenblick das dicke rotbackige Gesicht der Köchin Aksinja heraus.

»Verdammte Teufel!« fluchte die Köchin, indem sie nach dem eisernen Wagbalken griff und sich Mühe gab, aus dem hin- und herpendelnden Kübel herauszukriechen.

»Acht Pud wiegt sie vor dem Essen, und wenn sie zu Mittag ein Fuder Heu gefressen hat, so langen die Gewichte nicht!« erklärte der gleiche hübsche Bursche. Mit diesen Worten drehte er den Kübel um und warf die Köchin auf die in der Ecke geschichteten Säcke.

Die Köchin fluchte noch immer, eigentlich mehr im Scherz, und zupfte sich das Kleid zurecht.

»Nun, und wieviel wiege ich?« fragte Katerina Lwowna. Sie stieg auf das Brett und hielt sich an den Stricken fest.

»Drei Pud sieben Pfund,« antwortete der hübsche Bursche Ssergej, nachdem er die Gewichte nachgezählt hatte. »Ein Wunder!«

»Was wunderst du dich so?«

»Daß Sie über drei Pud wiegen, Katerina Lwowna. Ich glaube, daß ich Sie den ganzen Tag auf den Armen herumtragen könnte, ohne dabei müde zu werden. Ich würde es sogar für das größte Vergnügen ansehen.«[151]

»Bin ich denn etwa kein Mensch? Würdest wohl müde werden!« erwiderte leicht errötend Katerina Lwowna, die solche Reden nicht mehr gewohnt war und plötzlich das Verlangen fühlte, lustig zu plaudern und zu scherzen.

»Gott behüte! Ich würde Sie bis nach dem glückseligen Arabien tragen,« antwortete Ssergej auf ihre Bemerkung.

»Du redest Unsinn,« sagte der Bauer, der das Getreide aufschüttete. »Was ist unsere Schwere? Ist es denn unser Körper, der was wiegt? Unser Körper, mein Lieber, wiegt nicht, es ist nur unsere Kraft, die uns zur Erde zieht, und nicht der Körper!«

»Als Mädchen hatte ich eine große Kraft,« sagte Katerina Lwowna, die sich wieder nicht beherrschen konnte. »Mancher Mann konnte mich nicht niederringen!«

»Erlauben Sie mal Ihr Händchen, wenn das wahr ist,« bat der hübsche Bursche.

Katerina Lwowna errötete wieder, reichte ihm aber die Hand.

»Laß los, es tut weh!« schrie Katerina Lwowna auf, als Ssergej ihre Hand in der seinigen zusammendrückte. Mit der freien Hand stieß sie ihn vor die Brust.

Der Bursche ließ ihre Hand los und taumelte vor ihrem Stoß einige Schritte zur Seite.

»Und das will ein Frauenzimmer sein!« wunderte sich der Bauer.

»Nein, nicht so! Wollen wir einmal richtig ringen?« sagte Ssergej, seine Locken schüttelnd.

»Nun, versuch's,« antwortete Katerina Lwowna, immer lustiger werdend, und hob die Ellenbogen.

Ssergej umschlang die junge Frau und drückte ihre[152] pralle Brust an sein rotes Hemd. Katerina Lwowna rührte nur die Schultern, Ssergej hatte sie aber schon in die Höhe gehoben, hielt sie eine Weile in den Armen, drückte sie zusammen und setzte sie zuletzt auf einen umgekehrten Scheffel.

Katerina Lwowna hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihre Kraft, mit der sie so prahlte, zu zeigen. Über und über rot, zupfte sie den Pelzumhang, der ihr von der Schulter geglitten war, zurecht und ging langsam aus dem Speicher. Ssergej räusperte sich aber und rief:

»He, ihr Esel! Schüttet das Getreide auf, schont die Arme nicht! Wenn was übrig bleibt, so ist's unser Verdienst!«

Er tat so, als hätte auf ihn der Ringkampf mit Katerina Lwowna nicht den geringsten Eindruck gemacht.

»Dieser Ssergej ist ein verdammter Mädchenjäger!« berichtete die Köchin Aksinja, ihrer Herrin nachgehend. »Alles an ihm ist gleich schön: der Wuchs, das Gesicht, die Gestalt. Er kann jedes Frauenzimmer betören und zur Sünde verführen. Dabei ist er ein untreuer, gemeiner Kerl!«

»Sag einmal, Aksinja,« sagte die junge Frau, vor der Köchin hergehend, »lebt dein Kind noch?«

»Es lebt, Mütterchen, es lebt, was soll ihm geschehen? Wenn man ein Kind nicht braucht, so ist es immer zählebig.«

»Wo hast du nur das Kind her?«

»Ach, man kriegt es leicht, wenn man unter Menschen lebt.«

»Ist dieser Bursche schon lange bei uns?«

»Welcher? Meinen Sie Ssergej?«[153]

»Ja.«

»An die vier Wochen. Vorher war er bei den Kontschonows in Stellung, wurde aber hinausgejagt.« Aksinja fuhr mit gedämpfter Stimme fort: »Man sagt, er hätte dort mit der Hausfrau selbst angebandelt, darum hat ihn auch der Herr hinausgejagt ... Er ist so furchtbar frech, der Verruchte!«

Quelle:
Ljesskow, Nikolai: Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten. München 1921, S. 149-154.
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