VI

[161] Es war ein glühheißer Nachmittag, und die Fliegen ließen keine Ruhe. Katerina Lwowna schloß die Fenster des Schlafzimmers, verhängte es von innen mit einem wollenen Tuche und legte sich mit Ssergej auf das hochgetürmte Bett, um nach dem Essen auszuruhen. Katerina Lwowna weiß nicht, ob sie schläft oder wacht, es ist aber so furchtbar heiß, der Schweiß läuft ihr von der Stirne, und sie kann vor Hitze kaum atmen. Katerina[161] Lwowna fühlt, daß es nun Zeit ist, aufzuwachen; daß es Zeit ist, in den Garten zu gehen, um Tee zu trinken; sie kann aber unmöglich aufstehen. Endlich kommt die Köchin vor die Schlafzimmertüre und klopft: »Der Samowar unter dem Apfelbaume wird kalt.« Katerina Lwowna erwacht und beginnt den Kater zu tätscheln. Zwischen ihr und Ssergej wälzt sich auf dem Bette ein prächtiger, grauer Kater; er ist groß und wohlgenährt und hat einen so mächtigen Schnurrbart wie ein Amtmann. Katerina Lwowna streichelt ihm das weiche Fell, und er schnuppert immer mit seiner stumpfen Schnauze an ihrem prallen Busen und schnurrt ein leises Lied, wie wenn er von der Liebe sprechen wollte. »Wie kommt nur der Kater her?« fragt sich Katerina Lwowna. »Ich habe hier auf dem Fenster Sahne stehen, er wird sie sicher fressen. Ich muß ihn hinauswerfen!« sagt sie sich und greift nach dem Kater. Er ist aber unter ihren Fingern wie ein Nebel verschwunden. »Wie kommt nur der Kater zu uns her?« denkt sich Katerina Lwowna im Halbschlummer. »In unserm Schlafzimmer hat es doch niemals einen Kater gegeben, und auf einmal ist so ein Vieh da!« Sie will wieder nach dem Kater greifen, und er ist schon wieder weg. »Was ist denn das? Ist es denn nur ein Kater?« fragt sich Katerina Lwowna wieder. Sie bekommt Angst, und ihre ganze Schläfrigkeit ist auf einmal wie weggeblasen. Sie sieht sich um – es ist gar kein Kater in der Stube, an ihrer Seite liegt nur der hübsche Ssergej und drückt mit seiner starken Hand ihre Brust gegen sein glühendes Gesicht.

Katerina Lwowna stand auf, setzte sich auf das Bett und begann ihren Ssergej zu küssen und zu liebkosen. Dann richtete sie die zerwühlten Kissen und ging in den[162] Garten, um Tee zu trinken. Die Sonne stand aber schon tief am Himmel, und auf die warme Erde senkte sich ein märchenhaft schöner Abend.

»Ich habe zu lange geschlafen,« sagte Katerina Lwowna zu Aksinja und setzte sich auf den Teppich unter den blühenden Apfelbaum. »Aksinja, was mag das bedeuten?« fragte sie die Köchin, die Tassen mit dem Handtuch abwischend.

»Was denn, Mütterchen?«

»Es war kein Traum, ich sah es im Wachen, wie sich an mich irgendein Kater schmiegte.«

»Was redest du?«

»Es war wirklich ein Kater.«

Und Katerina Lwowna erzählte ihr, was sie eben erlebt hatte.

»Was brauchtest du ihn zu streicheln?«

»Das weiß ich selbst nicht, warum ich ihn gestreichelt habe.«

»Es ist doch seltsam!« rief die Köchin aus.

»Es kommt auch mir seltsam vor.«

»Das bedeutet sicher, daß dir etwas zustößt.«

»Was soll mir zustoßen?«

»Was dir zustoßen wird, kann dir, meine Liebe, niemand erklären. Es wird dir aber sicher etwas zustoßen.«

»Ich habe den Mond im Traume gesehen, und dann kam dieser Kater,« fuhr Katerina Lwowna fort.

»Der Mond bedeutet ein Kind.«

Katerina Lwowna errötete.

»Soll ich dir nicht den Sjergej herschicken?« fragte Aksinja mit der Vertraulichkeit einer Freundin.[163]

»Meinetwegen,« antwortete Katerina Lwowna. »Schick ihn mir wirklich her: ich will mit ihm Tee trinken.«

»Darum frage ich auch, ob ich ihn herschicken soll,« sagte Aksinja und wackelte wie eine Ente zum Gartentor.

Katerina Lwowna erzählte auch Ssergej das von dem Kater.

»Es ist nichts als Einbildung,« antwortete Ssergej.

»Warum habe ich aber früher diese Einbildung niemals gehabt, Sserjoscha?«

»Ja, früher war manches anders! Früher verschmachtete mir das Herz, wenn ich dich auch nur mit einem Auge ansah, und heute habe ich deinen ganzen weißen Leib in meiner Gewalt.«

Ssergej nahm Katerina Lwowna auf die Arme, drehte sie einmal in der Luft um und warf sie auf den weichen Teppich.

»Ach, es schwindelt mir!« sagte Katerina Lwowna.

»Sserjoscha, komm einmal her, setz dich zu mir,« rief sie, sich wollüstig streckend.

Ssergej beugte sich, trat unter die tief herabhängenden, mit weißen Blüten beladenen Äste des Apfelbaumes und setzte sich auf den Teppich Katerina Lwowna zu Füßen.

»Hast du wirklich nach mir geschmachtet, Sserjoscha?«

»Gewiß, ich habe wohl geschmachtet.«

»Wie hast du geschmachtet? Erzähl es mir!«

»Kann man es denn erklären, wie man schmachtet? Ich habe mich halt nach dir gesehnt.«

»Warum habe ich nicht gefühlt, daß du dich nach mir sehntest, Sserjoscha? Es heißt ja, daß man so was immer fühlt.«

Sjergej gab keine Antwort.[164]

»Warum hast du immer gesungen, wenn du dich wirklich nach mir gesehnt hast? Ich hab ja gehört, wie du auf der Galerie deine Lieder sangst,« fragte Katerina Lwowna unter Küssen und Liebkosungen.

»Was folgt daraus, daß ich gesungen habe? Auch die Mücke singt ihr Leben lang, doch nicht vor Freude,« antwortete Ssjergej trocken.

Es entstand eine Pause. Ssergejs Geständnis erfüllte Katerina Lwowna mit höchster Freude.

Sie wollte noch mehr darüber sprechen, aber Ssergej runzelte die Stirne und schwieg.

»Schau nur, Sserjoscha, was das für ein Paradies ist!« rief Katerina Lwowna aus, durch die dichten Zweige des blühenden Apfelbaumes in den heiteren blauen Himmel mit dem Vollmond blickend.

Das Mondlicht drang durch die Blüten und Blätter des Apfelbaumes und überschüttete die Figur und das Gesicht der auf dem Rücken liegenden Katerina Lwowna mit zauberhaften Lichtflecken. Ein leiser warmer Windhauch bewegte kaum die schlafenden Blätter und brachte den feinen Duft der blühenden Gräser und Bäume. Die Luft flößte eine süße Mattigkeit, Wollust und dunkles Sehnen ein.

Ssergej sagte noch immer nichts, und Katerina Lwowna hielt wieder inne und blickte durch die blaßrosa Apfelblüten zum Himmel empor. Auch Ssergej schwieg; der Himmel schien ihn aber nicht zu interessieren. Er saß, seine Knie mit beiden Armen umschlingend, und betrachtete aufmerksam seine Stiefel.

Eine goldene Nacht! Stille, Licht, Duft und belebende Wärme. In der Ferne hinter dem Garten stimmte jemand[165] ein wohlklingendes Lied an. In den dichten Faulbeersträuchern am Zaune begann eine Nachtigall zu schlagen; im Bauer an der hohen Stange zwitscherte eine verschlafene Wachtel. Man hörte das wohlgenährte Pferd im Stalle atmen und sah eine lustige Hundeschar über die Wiese hinter dem Gartenzaune lautlos rennen und in dem formlosen schwarzen Schatten der zerfallenen alten Salzspeicher verschwinden.

Katerina Lwowna stützte sich auf einen Ellenbogen und blickte auf das hohe Gras, das im Mondlichte schimmerte. Es sah wie vergoldet aus, seltsame Mondflecken huschten wie leuchtende Falter durch die Halme, und das Gras unter den Bäumen schien, in das Netz der Mondlichtstrahlen verfangen, hin und her zu schwanken.

»Ach, Sserjoscha, schau nur, wie schön es ist!« rief Katerina Lwowna aus.

Ssergej sah sich gleichgültig um.

»Was bist du heute so freudlos, Sserjoscha? Bist du vielleicht meiner Liebe schon überdrüssig?«

»Sprich nicht solchen Unsinn!« antwortete Ssergej trocken. Er beugte sich träge zu ihr und küßte sie.

»Du bist treulos, Sserjoscha,« sagte Katerina Lwowna, »du bist gar zu unbeständig.«

»Ich kann diese Worte gar nicht auf mich beziehen,« antwortete Ssergej ruhig.

»Warum küßt du mich dann so lässig?«

Ssergej gab keine Antwort.

»Nur die Ehemänner küssen ihre Frauen so,« fuhr Katerina Lwowna fort, mit seinen Locken spielend, »wie wenn sie die Lippen nur abstauben wollten. Küsse mich,[166] daß die jungen Blüten vom Apfelbaume, unter dem wir sitzen, herabfallen!«

»Siehst du, so!« flüsterte Katerina Lwowna, ihren Geliebten umschlingend und mit leidenschaftlichen Küssen überschüttend.

»Hör einmal, Sserjoscha,« fuhr Katerina Lwowna nach einer Weile fort: »warum sagen die Leute, daß du treulos bist?«

»Wer wird mich so verleumden?«

»Alle sagen es.«

»Es mag ja sein, daß ich gegen solche treulos war, die meine Liebe gar nicht verdienten.«

»Warum hast du dich denn mit solchen eingelassen? Eine, die es nicht verdient, soll man gar nicht lieben.«

»Ja, das ist leicht gesagt! Überlegt man sich denn so eine Sache zuvor? In solchen Dingen wirkt die Versuchung allein. Kaum hat unsereiner so ganz ohne jede Absicht sein Gebot übertreten, als sie sich ihm gleich an den Hals hängt. Das ist die ganze Liebe!«

»Hör einmal, Sserjoscha! Wie die andern waren, weiß ich nicht und will es auch gar nicht wissen. Zu unserer Liebe hast du mich aber selbst verführt, du weißt, daß deine Verführungskünste ebenso stark waren wie mein eigener Wille. Darum muß ich es dir sagen: und wenn du mir auch einmal untreu wirst, und wenn du mir eine andere vorziehst, so werde ich, nimm es mir nicht übel, solange ich lebe, nicht von dir lassen!«

Ssergej fuhr zusammen.

»Katerina Lwowna, du Licht meiner Seele!« sagte er. »Betrachte einmal selbst, wie unsere Sache steht. Du siehst nur, daß ich heute nachdenklich bin; du fragst[167] dich gar nicht, warum ich es bin. Vielleicht ertrinkt jetzt mein Herz in geronnenem Blut.«

»Sserjoscha, erzähle alles, was dich so bedrückt.«

»Was soll ich viel erzählen! Da wird bald mit Gottes Hilfe dein Mann gefahren kommen, und es wird gleich heißen: Ssergej Philippowitsch, geh jetzt auf den Hinterhof zu den Spielleuten und sieh hinter der Scheune zu, wie im Schlafzimmer Katerina Lwownas ein Lichtlein brennt, wie sie ihr Bett aufrüttelt und sich mit ihrem ehelichen Gemahl Sinowij Borissowitsch zur Ruhe begibt.«

»Das wird niemals sein!« rief Katerina Lwowna voll ausgelassener Freude und winkte mit der Hand.

»Warum sollte das nicht sein? Ich glaube, daß es unbedingt so sein wird. Aber auch ich habe ein Herz, Katerina Lwowna, das jede Pein empfindet.«

»Genug davon!«

Ssergejs Eifersucht machte Katerina Lwowna großes Vergnügen. Sie lachte auf und begann ihn wieder zu küssen.

»Und dann muß ich noch dieses sagen«, fuhr Ssergej fort, seinen Kopf behutsam aus den nackten Armen Katerina Lwownas befreiend: »Und dann muß ich noch dieses sagen: mein niederer Stand zwingt mich, mir die Sache doppelt und zehnfach zu überlegen. Wäre ich Ihnen gleich, wäre ich ein vornehmer Herr oder Kaufmann, so würde ich mich von Ihnen, Katerina Lwowna, niemals trennen. Wie stehe ich aber vor Ihnen da? Wenn ich sehe, wie man Sie bei Ihren weißen Händchen nimmt und ins Schlafzimmer führt, wenn mein Herz das alles über sich ergehen lassen muß, so werde ich mir selbst[168] vielleicht mein ganzes Leben lang ein Ekel sein. Katerina Lwowna! Ich bin nicht wie die andern, die bei der Frau nur Vergnügen suchen. Ich weiß, was die Liebe ist, und fühle, wie sie als schwarze Schlange an meinem Herzen saugt ...«

»Was redest du heute in einem fort?« unterbrach ihn Katerina Lwowna.

Sie hatte mit Ssergej Mitleid.

»Katerina Lwowna! Wie sollte ich davon nicht reden? Wenn es vielleicht schon bestimmt und beschlossen ist, daß Ssergej nicht etwa in der Zukunft, sondern schon morgen dieses Haus räumen muß ...«

»Nein, nein, sprich nicht davon, Sserjoscha! Es ist unmöglich, daß ich ohne dich bleibe«, suchte ihn Katerina Lwowna zu beruhigen. »Wenn es einmal so weit ist, so muß entweder er oder ich aus dem Leben scheiden. Du aber bleibst in jedem Falle bei mir.«

»Das kann unmöglich sein, Katerina Lwowna«, sagte Ssergej, mit traurigem Kopfschütteln. »Diese Liebe macht mich nicht froh. Wenn ich jemanden liebte, der mir gleich wäre, so wäre ich zufrieden. Wie kann ich aber daran auch nur denken, daß Sie immer mit mir bleiben? Ist es denn eine Ehre für Sie, meine Geliebte zu sein? Ich wollte, ich könnte vor dem heiligen Altar des ewigen Gottes Ihr Gatte werden; ich würde mich dann zwar immer für geringer halten als Sie, wäre aber froh, den Leuten zu zeigen, was für Ehren ich bei meiner Frau dank meiner Liebe genieße ...«

Katerina Lwowna war von diesen Worten Ssergejs, von seiner Eifersucht und seinem Wunsche, sie zu heiraten, wie berauscht: solch ein Wunsch ist der Frau stets[169] angenehm, selbst wenn sie vor der Verheiratung ein noch so kurzes Verhältnis mit dem Manne gehabt hat. Katerina Lwowna war jetzt bereit, für Ssergej ins Feuer und Wasser zu gehen, Kerker und Kreuz zu erdulden. Er hatte sie so verliebt gemacht, daß ihre Ergebenheit ganz grenzenlos war. Sie war vor Glück wie wahnsinnig; ihr Blut siedete, und sie konnte nichts mehr hören. Sie drückte ihm den Mund mit der Hand zu, schmiegte seinen Kopf an ihre Brust und sagte:

»Ich weiß schon, wie ich es einrichte, daß du ein Kaufmann wirst und ich mit dir in richtiger Ehe zusammenleben kann. Mache mir aber jetzt keinen Kummer, solange wir noch nicht so weit sind.«

Und sie überschüttete ihn wieder mit ihren Küssen.

Der alte Verwalter, der in der Scheune schlief, hörte in der Stille der Nacht bald ein Flüstern und Kichern, als ob ausgelassene Kinder sich berieten, wie sie den Alten einen Streich spielen könnten; bald ein helles lustiges Lachen, wie wenn die Nixen im See jemand kitzelten. Katerina Lwowna wälzte sich, vom Mondlichte übergossen, auf dem weichen Teppich und spielte mit dem jungen Burschen. Die weißen Blüten des Apfelbaums regneten auf sie herab und hörten schließlich zu regnen auf. Die kurze Sommernacht ging aber zu Ende, der Mond zog sich hinter den steilen Giebel des hohen Speichers zurück und blickte auf die Erde immer trüber herab; vom Küchendache herab erklang ein durchdringendes Katzenduett; dann hörte man ein böses Fauchen, und gleich darauf rollten zwei oder drei Katzen vom Dache herab.

»Komm schlafen«, sagte Katerina Lwowna, langsam,[170] wie zerschlagen, stand vom Teppich auf und ging im bloßen Hemd und Unterrock, so wie sie war, durch den stillen, wie ausgestorbenen Hof. Ssergej trug ihr aber den Teppich und die Jacke nach, die sie im mutwilligen Spiel von sich geworfen hatte.

Quelle:
Ljesskow, Nikolai: Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten. München 1921, S. 161-171.
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