VIII

[179] »Ach so! ... Ich danke dir, lieber Freund: nur darauf habe ich gewartet!« schrie Katerina Lwowna auf. »Nun wird es wohl weder nach meinem noch nach deinem Willen gehen ...«

Mit einem Ruck stieß sie Ssergej von sich, stürzte sich auf den Mann, packte ihn, noch ehe Sinowij Borissowitsch das Fenster erreicht hatte, mit ihren feinen Fingern an der Kehle und warf ihn wie eine Hanfgarbe zu Boden.

Sinowij Borissowitsch schlug sich mit dem Nacken am Fußboden an und wurde ganz wahnsinnig vor Entsetzen. Ein so schnelles Ende hatte er nicht erwartet. Die erste Gewalttätigkeit seiner Frau gegen ihn zeigte ihm, daß sie zu allem entschlossen sei, um ihn loszuwerden, und daß er sich in höchster Gefahr befinde. Sinowij Borissowitsch hatte das alles blitzartig im Augenblick seines Sturzes erfaßt; er schrie nicht einmal auf, denn er wußte, daß seine Stimme kein Ohr erreichen und die Sache nur noch beschleunigen würde. Er ließ seinen Blick schweigend um sich schweifen, und richtete ihn zuletzt mit einem[179] Ausdruck von Haß, Vorwurf und Schmerz auf seine Frau, deren feine Finger seine Kehle zusammenpreßten.

Sinowij Borissowitsch wehrte sich nicht, seine Arme mit den geballten Fäusten lagen ausgestreckt da und zuckten wie in einem Krampfe. Der eine Arm war frei, den andern hatte Katerina Lwowna mit dem Knie gegen den Boden gedrückt.

»Halt ihn einmal fest,« flüsterte sie gleichgültig Ssergej zu und wandte sich wieder zum Mann.

Ssergej setzte sich rittlings auf seinen Herrn und drückte dessen beide Hände mit den Knien gegen den Boden. Er wollte ihn unter den Händen Katerina Lwownas an der Kehle fassen, schrie aber in diesem selben Augenblick selbst wahnsinnig auf. Als Sinowij Borissowitsch seinen Todfeind so nahe vor sich sah, nahm er seine letzten Kräfte zusammen: mit einem verzweifelten Ruck befreite er seine Hände unter Ssergejs Knie, packte ihn an den schwarzen Locken und biß sich wie ein wildes Tier in seine Kehle fest. Dies dauerte aber nur wenige Augenblicke; Sinowij Borissowitsch stöhnte schwer auf, und sein Kopf fiel wieder zurück.

Katerina Lwowna stand blaß, fast ohne zu atmen über den Mann und den Geliebten gebeugt; in der rechten Hand hielt sie einen schweren gegossenen Leuchter am oberen Ende, so daß der schwere Fuß nach unten gerichtet war. Über die Schläfe und Wange Sinowij Borissowitschs rieselte ein dünnes Bächlein hellroten Blutes.

»Einen Popen ...« stöhnte Sinowij Borissowitsch dumpf, den Kopf voller Ekel so weit es ging vor dem auf ihm sitzenden Ssergej zurückwerfend. »Beichten ...«[180] sagte er noch dumpfer, am ganzen Leibe zitternd und auf das über sein Gesicht fließende warme Blut schielend.

»Bist auch ohne Beichte gut,« flüsterte Katerina Lwowna.

»Mach keine langen Geschichten,« sagte sie zu Ssergej. »Pack ihn einmal ordentlich an der Gurgel.«

Sinowij Borissowitsch röchelte.

Katerina Lwowna beugte sich über ihn, preßte mit ihren Händen Ssergejs Hände, die die Kehle ihres Mannes umklammerten, noch fester zusammen und drückte ihr Ohr an dessen Brust. Nach fünf stummen Minuten stand sie auf und sagte:

»Es ist genug, er ist fertig.«

Ssergej stand ebenfalls auf und holte tief Atem. Sinowij Borissowitsch lag leblos mit eingedrückter Kehle und zerschmetterter Schläfe da. Auf dem Fußboden links von seinem Kopfe war ein kleiner Blutfleck; aus der kleinen Wunde, an der schon die Haare klebten, kam aber kein neues Blut mehr.

Ssergej trug die Leiche in den Keller unter der gemauerten Vorratskammer, in die ihn vor nicht langer Zeit der selige Boris Timofejitsch eingesperrt hatte, und kehrte bald ins Schlafzimmer zurück. Katerina Lwowna hatte die Ärmel ihrer Jacke aufgekrempelt und den Saum ihres Rockes gerafft und wusch mit Seife den Blutfleck, den Sinowij Borissowitsch auf dem Fußboden seines Schlafzimmers hinterlassen hatte. Der Samowar, aus dem er soeben den vergifteten Tee getrunken hatte, war noch nicht erkaltet, und der Blutfleck ließ sich mit dem heißen Wasser spurlos abwaschen.[181]

Katerina Lwowna nahm die kupferne Spülschale und einen eingeseiften Bastwisch in die Hand.

»Leuchte mir einmal,« sagte sie zu Ssergej, zu der Türe gehend. »Halte die Kerze tiefer!« sagte sie, die Dielenbretter untersuchend, über die Ssergej die Leiche in den Keller geschleppt hatte.

Nur an zwei Stellen waren auf der gestrichenen Diele zwei kirschengroße Flecke zu sehen. Katerina Lwowna rieb sie mit dem Bastwisch, und sie verschwanden spurlos.

»Nun wirst du nicht mehr wie ein Dieb zu deiner Frau schleichen und sie belauern,« sagte Katerina Lwowna, sich aufrichtend und einen Blick zur Vorratskammer werfend.

»Jetzt ist Schluß,« sagte Ssergej und fuhr vor dem Klange seiner eigenen Stimme zusammen.

Als sie ins Schlafzimmer zurückkehrten, zeigte sich im Osten schon der erste feine Streif des Morgenrots, das die blühenden Apfelbäume mit schwachem goldenem Scheine übergoß und durch das grüne Gartengitter in das Schlafzimmer Katerina Lwownas hereinblickte.

Über den Hof ging aus der Scheune in die Küche, den Schafspelz über die Schultern geworfen, gähnend und sich bekreuzigend, der alte Verwalter.

Katerina Lwowna schloß leise den Fensterladen und warf einen durchdringenden Blick auf Ssergej, als wollte sie ihm in die Tiefe seiner Seele blicken.

»Nun bist du Kaufmann,« sagte sie, ihm ihre weißen Hände auf die Schultern legend.

Ssergej erwiderte nichts.

Er zitterte wie im Fieber. Katerina Lwowna fühlte nur Kälte um die Lippen.[182]

Nach zwei Tagen hatte Ssergej an beiden Händen Schwielen, die vom Brecheisen und dem schweren Spaten herrührten. Sinowij Borissowitsch war dafür so gut verwahrt, daß ihn vor der allgemeinen Auferstehung wohl niemand ohne Beihilfe Katerina Lwownas und ihres Geliebten finden würde.

Quelle:
Ljesskow, Nikolai: Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten. München 1921, S. 179-183.
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