IX

[183] Ssergej trug ein rotes wollenes Halstuch und klagte über Halsschmerzen. Ehe aber die Male von den Zähnen Sinowij Borissowitschs auf seinem Halse vernarbt waren, fiel den Leuten die allzu lange Abwesenheit des Hausherrn auf. Ssergej selbst sprach am häufigsten von ihm. Wenn er abends mit den anderen Burschen auf der Bank vor dem Tore saß, brachte er oft die Rede auf ihn: »Was bleibt unser Herr so lange aus?«

Auch die Burschen wunderten sich.

Von der Mühle kam aber die Nachricht, daß Sinowij Borissowitsch schon längst einen Wagen gedungen hatte und nach Hause abgereist war. Der Kutscher, der ihn gefahren hatte, berichtete, daß Sinowij Borissowitsch in einer seltsamen Aufregung gewesen sei; am Kloster, etwa drei Werst vor der Stadt, sei er mit seiner Reisetasche aus dem Wagen gestiegen und hätte den Kutscher entlassen. Als die Leute diesen Bericht hörten, staunten sie noch mehr.

Sinowij Borissowitsch schien spurlos verschwunden zu sein.

Man fing zu suchen an, konnte aber auch nicht die geringste Spur finden. Der Kutscher, den man bald verhaftete, wußte nur zu berichten, daß der Kaufmann vor[183] dem Kloster den Wagen verlassen und zu Fuß weitergegangen sei. Die Sache blieb rätselhaft. Katerina Lwowna erfreute sich indessen ihrer Witwenfreiheit und lebte mit Ssergej ohne jede Scheu zusammen. Man meldete zwar ab und zu, daß man Sinowij Borissowitsch bald hier und bald dort gesehen hätte, er kam aber nicht zurück, und Katerina Lwowna wußte am besten, daß er überhaupt nicht mehr zurückkehren konnte.

So verging ein Monat, ein zweiter und ein dritter, und Katerina Lwowna fühlte sich in anderen Umständen.

»Das Kapital wird uns zufallen, Sserjoscha: ich habe jetzt einen Erben,« sagte sie zu Ssergej. Sie ging auf das Kaufmannsgericht und meldete, daß sie in Umständen sei; die Geschäfte lägen brach; man möchte ihr daher die Vollmacht geben, das Geschäft selbständig zu führen.

Man durfte das alte Handelshaus doch nicht zugrunde gehen lassen; Katerina Lwowna war ja die eheliche Gemahlin Sinowij Borissowitschs, Schulden waren keine vorhanden, also konnte man ihr ohne Bedenken die Vollmacht geben.

Katerina Lwowna ist nun unumschränkte Herrin, und Ssergej wird auf ihren Wunsch von allen Ssergej Philippowitsch genannt. Plötzlich kommt eine ganz neue Sorge. Man meldet dem Bürgermeister aus Liwny, daß Sinowij Borissowitsch nicht bloß mit eigenem Kapital Handel getrieben habe; in seinem Geschäft hätte auch das Geld seines minderjährigen Neffen Fjodor Ignatjewitsch Ljamin gesteckt, das sein eigenes Kapital um ein Beträchtliches überstiegen habe; diese Sache müsse noch genauer untersucht werden, und man dürfe nicht das ganze Geschäft Katerina Lwowna allein anvertrauen. Als[184] diese Nachricht eintraf, ließ der Bürgermeister Katerina Lwowna zu sich kommen und teilte ihr alles mit. Nach acht Tagen kommt aber aus Liwny eine alte Frau mit einem halbwüchsigen Jungen.

»Ich bin eine Base des seligen Boris Timofejitsch,« sagt sie, »und der Junge ist mein Großneffe Fjodor Ljamin.«

Katerina Lwowna nahm sie huldvoll auf.

Als Ssergej die Gäste und den Empfang, den ihnen Katerina Lwowna bereitete, sah, wurde er kreideblaß.

»Was hast du?« fragte ihn Katerina Lwowna, als er gleich nach den Gästen ins Haus trat und aufgeregt im Vorzimmer stehen blieb.

»Nichts,« antwortete der Bursche, aus dem Vorzimmer wieder in den Hausflur gehend. »Ich denke mir nur, was für eine wunderbare Stadt dieses Liwny ist,« fügte er seufzend hinzu, die Haustüre hinter sich schließend.

»Was sollen wir jetzt anfangen?« fragte Ssergej Philippowitsch nachts am Teetisch Katerina Lwowna. »Unsere Sache steht jetzt wohl sehr schlecht.«

»Warum sollte sie schlecht stehen, Sserjoscha?«

»Weil die Erbschaft geteilt werden wird. Wie willst du wirtschaften, wenn dir kein Geld im Geschäfte bleibt?«

»Glaubst du, daß es für dich nicht langen wird, Sserjoscha?«

»Ich spreche nicht von mir, ich glaube nur, daß wir beide jetzt nicht mehr so glücklich werden leben können.«

»Warum glaubst du das, Sserjoscha?«

»Ich liebe Sie, Katerina Lwowna, und möchte Sie als wirkliche Dame sehen und nicht in der Lage, in der Sie vor Ihrer Heirat gelebt haben,« antwortete Ssergej[185] Philippowitsch. »Nun wird aber das Kapital so sehr verringert, daß Sie noch ärmer sein werden, als Sie es als Mädchen waren.«

»Brauche ich denn das viele Geld, Sserjoscha?«

»Es ist wohl möglich, Katerina Lwowna, daß Sie für das Geld gar kein Interesse haben. Ich achte Sie aber so sehr, daß es mir schmerzlich sein wird, zu sehen, wie die gemeinen und neidischen Menschen Sie anschauen werden. Sie können darüber natürlich urteilen, wie es Ihnen beliebt, ich bin aber der Ansicht, daß ich dann unmöglich so glücklich sein kann, wie ich es bisher gewesen.«

Und er redete in einem fort, daß dieser Fedja Ljamin ihn zum unglücklichsten Menschen mache und daß er nicht mehr die Möglichkeit habe, sie, Katerina Lwowna, vor den Augen der ganzen Kaufmannschaft zu erhöhen und zu ehren. Wenn dieser Fedja nicht wäre, so bekäme Katerina Lwowna, nachdem sie vor Ablauf der neunmonatlichen Frist nach dem Verschwinden ihres Mannes ein Kind geboren haben würde, das ganze Kapital; dann würde ihr gemeinsames Glück ganz grenzenlos sein.

Quelle:
Ljesskow, Nikolai: Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten. München 1921, S. 183-186.
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