Des Hrn. Prof. Gellerts Abhandlung

für das rührende Lustspiel

[37] Man hat zu unsern Zeiten, besonders in Frankreich, eine Art von Lustspielen versucht, welche nicht allein die Gemüter der Zuschauer zu ergötzen, sondern auch so zu rühren und so anzutreiben vermögend wäre, daß sie ihnen so gar Tränen auspresse. Man hat dergleichen Komödie, zum Scherz und zur Verspottung, in der französischen Sprache comedie larmoyante,11 das ist die weinerliche genennt, und von nicht wenigen pflegt sie als eine abgeschmackte Nachäffung des Trauerspiels getadelt zu werden. Ich bin zwar nicht Willens, alle und jede Stücke, welche in diese Klasse können gebracht werden, zu verteidigen; sondern ich will bloß die Art der Einrichtung selbst retten, und wo möglich erweisen, daß die Komödie, mit allem Ruhme, heftiger bewegen könne. Dacier12 und andre, welche die von dem Aristoteles entworfene Erklärung weitläuftiger haben erläutern wollen, setzen die ganze Kraft und Stärke der Komödie in das Lächerliche. Nun kann man zwar nicht leugnen, daß nicht der größte Teil derselben darauf ankomme, obgleich, nach dem Vossius,13 auch dieses zweifelhaft sein könnte; allein so viel ist auch gewiß, daß in dem Lächerlichen nicht durchaus alle ihre Tugend bestehe. Denn entweder sind die reizenden Stücke des Terenz keine Komödien zu nennen; oder die Komödie hat ihre ernsthaften Stellen, und muß[37] sie haben, damit selbst das Lächerliche durch das beständige Anhalten nicht geschwächt werde. Denn was ohne Unterlaß artig ist, das rührt entweder nicht genug, oder ermüdet das Gemüt, indem es dasselbe allzusehr rührt. Ich glaube also, daß aus der Erklärung des Aristoteles weiter nichts zu folgern ist, als dieses, was für eine Art von Lastern die Komödie vornehmlich durchziehen soll. Es erhellt nämlich daraus, daß sie sich mit solchen Lastern beschäftigen müsse, welche niemandem ohne Schande, obschon ohne seinem und ohne andrer Schaden, anhängen können; kurz, solche Laster, welche Lachen und Satyre, nicht aber Ahndung und öffentliche Strafe verdienen, woran sich aber doch weder Plautus, noch diejenigen, die er unter den Griechen nachgeahmet hat, besonders gekehrt zu haben scheinen. Ja man muß so gar zugestehen, daß es eine Art Laster gibt, welche gar sehr mit eines andern Schaden verbunden ist, als zum Exempel die Verschwendung, und dennoch in der Komödie angebracht werden kann, wenn es nur auf eine geschickte und kunstmäßige Art geschieht. Ich sehe also nicht, worinne derjenige Lustspieldichter sündige, welcher, in Betrachtung der Nützlichkeit, die Regeln der Kunst dann und wann bei Seite setzt, besonders wenn man von ihm sagen kann:


Habet bonorum exemplum: quo exemplo sibi

Licere id facere, quod illi fecerunt, putat.


Es sei also immer die sinnreiche Verspottung der Laster und Ungereimtheiten die vornehmste Verrichtung der Komödie, damit eine mit Nutzen verbundene Fröhlichkeit die Gemüter der Zuschauer einnehme; nur merke man auch zugleich, daß es eine doppelte Gattung des Lächerlichen gibt. Die eine ist die stammhafte und, so zu reden, am meisten handgreifliche, weil sie in ein lautes Gelächter ausbricht; die andere ist feiner und bescheidener, weil sie zwar ebenfalls Beifall und Vergnügen erweckt, immer aber nur einen solchen Beifall und ein solches Vergnügen, welches nicht so stark ausbricht, sondern gleichsam in dem Innersten des Herzens verschlossen bleibt. Wann nun die ausgelassene und heftige Freude, welche aus der ersten Gattung entspringt, nicht leicht eine ernsthaftere Gemütsbewegung verstattet; so glaube ich doch, daß jene gesetztere Freude sie verstatten werde. Und wenn ferner die Freude nicht das einzige Vergnügen ist, welches bei den Nachahmungen des gemeinen Lebens empfunden werden kann; so sage man mir doch, worinne dasjenige Lustspiel zu tadeln sei, welches sich einen solchen Inhalt erwählet, durch welchen es, außer der Freude, auch eine Art von Gemütsbewegung hervorbringen kann,[38] welche zwar den Schein der Traurigkeit hat, an und für sich selbst aber ungemein süße ist.14 Da nun aber dieses alsdann sehr leicht geschehen kann, wenn man die Komödie nicht nur die Laster, sondern auch die Tugenden schildern läßt; so sehe ich nicht warum es ihr nicht vergönnt sein sollte, mit den tadelhaften Personen auch gute und liebenswürdige zu verbinden, und sich dadurch sowohl angenehmer als nützlicher zu machen, damit einigermaßen jener alten Klage des komischen Trupps bei dem Plautus abgeholfen werde.


Hujusmodi paucas Poetae reperiunt comoedias,

Ubi boni meliores fiant.


Wenigstens sind unter den Alten, wie Scaliger erinnert, sowohl unter den Griechen als unter den Römern, verschiedene gewesen, welche eine doppelte Gattung von Komödie zugelassen, und sie in die sittliche und lächerliche eingeteilet haben. Unter der sittlichen verstanden sie diejenige, in welcher die Sitten, und unter der lächerlichen, in welcher das Lächerliche herrschte. Doch wenn man nicht allein darauf zu sehen hat, was in der Komödie zu geschehen pflegt, sondern auch auf das, was darinne geschehen sollte, warum wollen wir sie nicht lieber, nach Maßgebung des Trapps,15 also erklären, daß wir sagen, die Komödie sei ein dramatisches Gedicht, welches Abschilderungen von dem gemeinen Privatleben enthalte, die Tugend anpreise, und verschiedene Laster und Ungereimtheiten der Menschen, auf eine scherzhafte und feine Art durchziehe. Ich gestehe ganz gerne, daß sich diese Erklärung nicht auf alle und jede Exempel anwenden lasse; allein, wenn man auch durchaus eine solche verlangte, welche alles, was jemals unter dem Namen Komödie begriffen worden, in sich fassen sollte, so würde man entweder gar keine, oder doch ein Ungeheuer von einer Erklärung bekommen. Genug, daß diese von uns angenommene Erklärung von dem Endzwecke, welchen die Komödie erreichen soll, und auch leicht erreichen kann, abgeleitet[39] ist, und auch daher ihre Entschuldigung und Verteidigung nehmen darf.

Damit ich aber die Sache der rührenden Komödie, wo nicht glücklich, doch sorgfältig führen möge, so muß ich einer doppelten Anklage entgegen gehen; deren eine dahinaus läuft, daß auf diese Weise der Unterscheid, welcher zwischen einer Tragödie und Komödie sein müsse, aufgehoben werde; und deren andre darauf ankömmt, daß diejenige Komödie sich selbst zuwider wäre, welche die Affecten sorgfältig erregen wolle.

Was den ersten Grund anbelangt, so scheint es mir gar nicht, daß man zu befürchten habe, die Grenzen beider Gattungen möchten vermengt werden. Die Komödie kann ganz wohl zu rühren fähig sein, und gleichwohl von der Tragödie noch weit entfernt bleiben, indem sie weder eben dieselben Leidenschaften rege macht, noch aus eben derselben Absicht, und durch eben dieselben Mittel, als die Tragödie zu tun pflegt. Es wäre freilich unsinnig, wenn sich die Komödie jene großen und schrecklichen Zurüstungen der Tragödie, Mord, Verzweiflung und dergleichen, anmaßen wollte; allein wenn hat sie dieses jemals getan? Sie begnügt sich mit einer gemeinen, obschon seltnen, Begebenheit, und weiß von dem Adel und von der Hoheit der Handlung nichts; sie weiß nichts von den Sitten und Empfindungen großer Helden, welche sich entweder durch ihre erhabne Tugend, oder durch ihre außerordentliche Häßlichkeit ausnehmen; sie weiß nichts von jenem tragischen hohen und prächtigen Ausdrucke. Dieses alles ist so klar, daß ich es nur verdunkeln würde, wenn ich es mehr aus einander setzen wollte. Was hat man also für einen Grund, zu behaupten, daß die rührende Komödie, wenn sie dann und wann Erbarmen erweckt, in die Vorzüge der Tragödie einen Eingriff tue? Können denn die kleinen Übel, welche sie dieser oder jener Person zustoßen läßt, jene heftige Empfindung des Mitleids erregen, welche der Tragödie eigen ist? Es sind kaum die Anfänge dieser Empfindung, welche die Komödie zuläßt und auf kurze Zeit in der Absicht anwendet, daß sie diese kleine Bewegung durch etwas erwünschtes wieder stillen möge; welches in der Tragödie ganz anders zu geschehen pflegt. Doch wir wollen uns zu der vornehmsten Quelle wenden, aus welcher die Komödie ihre Rührungen herholt, und zusehen, ob sie sich vielleicht auf dieser Seite des Eigentums der Tragödie anmaße. Man sage mir also, wenn rühret denn diese neue Art von Komödie, von welcher wir handeln? Geschicht es nicht meistenteils, wenn sie eine tugendhafte, gesetzte und außerordentliche Liebe vorstellet? Was ist aber[40] nun zwischen der Liebe, welche die Tragödie anwendet, und derjenigen, welche die Komödie braucht, für ein Unterscheid? Ein sehr großer. Die Liebe in der Komödie ist nicht jene heroische Liebe, welche durch die Bande wichtiger Angelegenheiten, der Pflicht, der Tapferkeit, des größten Ehrgeizes, entweder unzertrennlich verknüpfet, oder unglücklich zertrennet wird; es ist nicht jene lärmende Liebe, welche von einer Menge von Gefahren und Lastern begleitet wird; nicht jene verzweifelnde Liebe: sondern eine angenehm unruhige Liebe, welche zwar in verschiedene Hindernisse und Beschwerlichkeiten verwickelt wird, die sie entweder vermehren oder schwächen, die aber alle glücklich überstiegen werden, und einen Ausgang gewinnen, welcher, wenn er auch nicht für alle Personen des Stücks angenehm, doch dem Wunsche der Zuschauer gemäß zu sein pflegt. Es ist daher im geringsten keine Vermischung der Kunst zu befürchten, so lange sich nicht die Komödie mit eben derselben Liebe beschäftiget, welche in der Tragödie vorkömmt, sondern von ihr in Ansehung der Wirkungen und der damit verknüpften Umstände eben so weit, als in Ansehung der Stärke und Hoheit, entfernt bleibt. Denn so wie die Liebe in einem doppelten Bilde strahlt, welche auf so verschiedene Weise ausgedrückt werden, daß man sie schwerlich für einerlei halten kann; ja wie so gar die Gewalt, die sie über die Gemüter der Menschen hat, von ganz verschiedner Art ist, so daß, wenn der eine mit zerstreuten Haaren, mit verwirrter Stirn, und verzweifelnden Augen herumirret, der andere das Haar zierlich in Locken schlägt, und mit lächelnd trauriger Miene und angenehm unruhigen Augen seinen Kummer verrät: eben so, sage ich, ist die Liebe, welche in beiden Spielen gebraucht wird, ganz und gar nicht von einerlei Art und kann also auch nicht auf einerlei, oder auch nur auf ähnliche Art rühren. Ja es fehlt so viel, daß die Komödie in diesem Stücke die Rechte der Tragödie zu schmälern scheinen sollte, daß sie vielmehr nichts als ihr Recht zu behaupten sucht. Denn ob ich schon denjenigen nicht beistimme, welche, durch das Ansehen einiger alten Tragödienschreiber bewogen, die Liebe gänzlich aus der tragischen Fabel verbannen wollen; so ist doch so viel gewiß, daß nicht jede Liebe, besonders die zärtlichere, sich für sie schickt, und daß auch diejenige, die sich für sie schickt, nicht darinne herrschen darf, weil es nicht erlaubt ist, die Liebe einzig und allein zu dem Inhalte eines Trauerspiels zu machen. Sie kann zwar jenen heftigern Gemütsbewegungen, welche der Tragödie Hoheit, Glanz und Bewunderung erteilen, gelegentlich beigefügt werden, damit sie dieselben[41] bald heftiger antreibe, bald zurückhalte, nicht aber, damit sie selbst das Hauptwerk der Handlung ausmache. Dieses Gesetz, welches man der Tragödie vorgeschrieben hat, und welches aus der Natur einer heroischen Tat hergeholet ist, zeiget deutlich genug, daß es allein der Komödie zukomme, aus der Liebe ihre Haupthandlung zu machen. Alles derohalben, was die Liebe, ihren schrecklichen und traurigen Teil bei Seite gesetzt, im Rührenden vermag, kann sich die Komödie mit allen Recht anmaßen. Der vortreffliche Corneille erinnert sehr wohl, daß dasjenige Stück, in welchem allein die Liebe herrschet, wann es auch schon in den vornehmsten Personen wäre, keine Tragödie, sondern, seiner natürlichen Kraft nach, eine Komödie sei.16 Wie viel weniger kann daher dasjenige Stück, in welchem nur die heftige Liebe einiger Privatpersonen aufgeführet wird, das Wesen des Trauerspiels angenommen zu haben scheinen? Das, was ich aber von der Liebe, und von dem Anspruche der Komödie auf dieselbe, gesagt habe, kann, glaube ich, eben so wohl von den übrigen Stücken behauptet werden, welche die Gemüter zu bewegen vermögend sind; von der Freundschaft, von der Beständigkeit, von der Freigebigkeit, von dem dankbaren Gemüte, und so weiter. Denn weil diese Tugenden denjenigen, der sie besitzt, zwar zu einem rechtschaffnen, nicht aber zu einem großen und der Tragödie würdigen Manne machen, und also auch vornehmlich nur Zierden des Privatlebens sind, wovon die Komödie eine Abschilderung ist: so wird sich auch die Komödie die Vorstellung dieser Tugenden mit allem Rechte anmaßen, und alles zu gehöriger Zeit und an gehörigen Orte anwenden dürfen, was sie, die Gemüter auf eine angenehme Art zu rühren, darbieten können. Allein auf diese Art, kann man einwenden, wird die Komödie allzu frostig und trocken scheinen; sie wird von jungen Leuten weniger geliebt, und von denjenigen weniger besucht werden, welche durch ein heftiges Lachen nur ihren Bauch erschüttern wollen. Was schadet das? Genug, daß sie alsdann, wie der berühmte Wehrenfels17 saget, weise, gelehrte, rechtschaffne und kunstverständige Männer ergötzen wird, welche mehr auf das schickliche, als auf das lächerliche, mehr auf das artige als auf das grimassenhafte sehen: und wann schon die, welche nur Possen suchen, dabei nicht klatschen,[42] so wird sie doch denen gefallen, welche, mit dem Plautus zu reden, pudicitiae praemium esse volunt.

Ich komme nunmehr auf den zweiten Einwurf. Rührende Komödien, sagt man, widersprechen sich selbst; denn eben deswegen weil sie rühren wollen, können entweder die Laster und Ungereimtheiten der Menschen darinne nicht zugleich belacht werden, oder, wenn beides geschieht, so sind es weder Komödien noch Tragödien, sondern ein drittes, welches zwischen beiden inne liegt, und von welchem man das sagen könnte, was Ovidius von dem Minotaurus sagte:


Semibovemque virum, semivirumque bovem.


Dieser ganze Tadel kann, glaube ich, sehr leicht durch diejenigen Beispiele nichtig gemacht werden, welche unter den dramatischen Dichtern der Franzosen sehr häufig sind. Denn wenn Destouches, de la Chaussee, Marivaux, Voltaire, Fagan und andre, deren Namen und Werke längst unter uns bekannt sind, dasjenige glücklich geleistet haben, was wir verlangen, wann sie nämlich, mit Beibehaltung der Freude und der komischen Stärke, auch Gemütsbewegungen an dem gehörigen Orte angebracht haben, welche aus dem Innersten der Handlung fließen und den Zuschauern gefallen; was bedarf es alsdann noch für andre Beweise? Doch wenn wir auch ganz und gar kein Exempel für uns anführen könnten, so erhellet wenigstens aus der verschiednen Natur derjenigen Personen, welche der Dichter auf die Bühne bringt, daß sich die Sache ganz wohl tun lasse. Denn da, wie wir oben gezeugt haben, den bösen Sitten ganz füglich gute entgegen gesetzt werden können, damit durch die Annehmlichkeit der letztern, die Häßlichkeit der erstern sich desto mehr ausnehme; und da diese rechtschaffnen und edeln Gemütsarten, wenn sie sich hinlänglich äußern sollen, in schwere und eine Zeit lang minder glückliche Zufälle, bei welchen sie ihre Kräfte zeugen können, verwickelt sein müssen: so darf man nur diese mit dem Stoffe der Fabel gehörig verbinden und kunstmäßig einflechten, wenn diejenige Komödie, die sich am meisten mit Verspottung der Laster beschäftiget, nichts destoweniger die Gemüter der Zuhörer durch ernsthaftere Rührungen vergnügen soll. Zwar ist allerdings eine große Behutsamkeit anzuwenden, daß dieses zur rechten Zeit, und am gehörigen Orte und im rechten Maße geschehe; ja der komische Dichter, wenn er unser Herz entflammen will, muß glauben, daß jene Warnung, nihil citius inarescere quam lacrumas, welche man dem Redner zu geben pflegt, ihm noch weit mehr als dem Redner[43] angehe. Vornehmlich hat er dahin zu sehen, daß er nicht auf eine oder die andere lustige Szene, sogleich eine ernsthafte folgen lasse, wodurch das Gemüt, welches sich durch das Lachen geruhig erholt hatte, und nun auf einmal durch die volle Empfindung der Menschlichkeit dahin gerissen wird, eben den verdrüßlichen Schmerz empfindet, welchen das Auge fühlt, wenn es aus einem finstern Orte plötzlich gegen ein helles Licht gebracht wird. Noch vielweniger muß einer gesetzten Person alsdann, wenn sie die Gemüter der Zuschauer in Bewegung setzt, eine allzulächerliche beigesellet werden; überhaupt aber muß man nichts von dieser Gattung anbringen, wenn man nicht die Gemüter genugsam dazu vorbereitet hat, und muß auch bei eben denselben Affekten sich nicht allzulange aufhalten. Wenn man also die rührenden Szenen auf den bequemen Ort versparet, welchen man alsdann, wann sich die Fabel am meisten verwirret, noch öftrer aber, wenn sie sich aufwickelt, findet: so kann das Lustspiel nicht nur seiner satyrischen Pflicht genug tun, sondern kann auch noch dabei das Gemüt in Bewegung setzen. Freilich trägt hierzu der Stoff und die ganze Einrichtung des Stückes viel bei. Denn wenn dasjenige, was der Dichter, glückliches oder unglückliches, wider alle Hoffnung sich ereignen läßt, und zu den Gemütsbewegungen die Gelegenheit geben muß, aus den Sitten der Personen so natürlich fließt, daß es sich fast nicht anders hätte zutragen können: so überläßt sich alsdann der Zuschauer, dessen sich Verwundrung und Wahrscheinlichkeit bemächtiget haben, er mag nun der Person wohl wollen oder nicht, willig und gern den Bewegungen, und wird bald mit Vergnügen zürnen, bald trauren, und bald über die Zufälle derjenigen Personen, deren er sich am meisten annimmt, für Freuden weinen. Auf diese Art, welches mir ohne Ruhmredigkeit anzuführen erlaubt sein wird, pflegen die Zuschauer in dem letzten Auftritte des Loses in der Lotterie gerührt zu werden. Damons Ehegattin, und die Jungfer Caroline haben durch ihre Sitten die Gunst der Zuschauer erlangt. Jene hatte schon daran verzweifelt, daß sie das Los wiederbekommen würde, welches für sie zehn tausend Taler gewonnen hatte, und war auf eine anständige Art deswegen betrübt. Ehe sie sichs aber vermutet, kömmt Caroline, und bringt ihrer Schwägerin mit dem willigsten Herzen dasjenige wieder, was sie für verloren gehalten hatte. Hieraus nun entstehet zwischen beiden der edelste Streit freundschaftlicher Gesinnungen, so wie bald darauf zwischen Carolinen und ihrem Liebhaber ein Liebesstreit; und da sowohl dieser als jener schon für sich selbst, als ein angenehmes Schauspiel, sehr[44] lebhaft zu rühren vermögend, zugleich auch nicht weit hergeholet, sondern in der Natur der Sache gegründet, und freiwillig aus den Charakteren selbst geflossen sind: so streitet ein solcher Ausgang nicht allein nicht mit der Komödie, sondern ist ihr vielmehr, wenn auch das übrige gehörig beobachtet worden, vorteilhaft. Mir wenigstens scheint eine Komödie, welche, wenn sie den Witz der Zuhörer genugsam beschäftiget hat, endlich mit einer angenehmen Rührung des Gemüts schließet, nicht tadelhafter, als ein Gastgebot, welches, nachdem man leichtern Wein zur Gnüge dabei genossen, die Gäste zum Schlusse durch ein Glas stärkern Weins erhitzen und so auseinander gehen läßt.

Es ist aber noch eine andre Gattung, an welcher mehr auszusetzen zu sein scheinet, weil Scherz und Spott weniger darinne herrschen, als die Gemütsbewegungen, und weil ihre vornehmsten Personen entweder nicht gemein und tadelhaft, sondern von vornehmen Stande, von zierlichen Sitten und von einer artigen Lebensart sind, oder, wenn sie ja einige Laster haben, ihnen doch nicht solche ankleben, dergleichen bei dem Pöbel gemeiniglich zu finden sind. Von dieser Gattung sind ungefähr »Die verliebten Philosophen« des Destouches, die »Melanide« des la Chaussee, das »Mündel« des Fagan, und der »Sidney« des Gressets. Weil nun aber diejenige Person, auf die es in dem Stücke größten Teils ankömmt, entweder von guter Art ist, oder doch keinen allzulächerlichen Fehler an sich hat, so kann daher ganz wohl gefragt werden, worinne denn ein solches Schauspiel mit dem Wesen der Komödie übereinkomme? Denn obschon meisten Teils auch lustige und auf gewisse Art lächerliche Charaktere darinne vorkommen, so erhellt doch genugsam aus der Überlegenheit der andern, daß sie nur der Veränderung wegen mit eingemischt sind und das Hauptwerk ganz und gar nicht vorstellen sollen. Nun gebe ich sehr gerne zu, daß dergleichen Schauspiele in den Grenzen, welche man der Komödie zu setzen pflegt, nicht mit begriffen sind; allein es fragt sich, ob man nicht diese Grenzen um so viel erweitern müsse, daß sie auch jene Gattung dramatischer Gedichte mit in sich schließen können.18 Wenn dieses nun der Endzweck der Komödie[45] verstattet, so sehe ich nicht, warum es nicht erlaubt sein sollte? Das Ansehen unsrer Vorgänger wird es doch nicht verwehren? Es wird doch kein Verbrechen sein, dasjenige zu versuchen, was sie unversucht gelassen haben, oder aus eben der Ursache von ihnen abzugehen, aus welcher wir ihnen in andern Stücken zu folgen pflegen? Hat nicht schon Horatius gesagt:


Nec minimum meruere decus, vestigia graeca

Ausi deserere.


Wenn man keine andre Komödien machen darf, als solche, wie sie Aristophanes, Plautus und selbst Terenz gemacht haben; so glaube ich schwerlich, daß sie den guten Sitten sehr zuträglich sein, und mit der Denkungsart unsrer Zeiten sehr übereinkommen möchten. Sollen wir deswegen ein Schauspiel, welches aus dem gemeinen Leben genommen und so eingerichtet ist, daß es zugleich ergötze und unterrichte, als welches der ganze Endzweck eines dramatischen Stücks ist; sollen wir, sage ich, es deswegen von der Bühne verdammen, weil die Erklärung, welche die Alten von der Komödie gegeben haben, nicht völlig auf dasselbe passen will? Muß es deswegen abgeschmackt und ungeheuer sein? In Dingen, welche empfunden werden, und deren Wert durch die Empfindung beurteilet wird, sollte ich glauben, müsse die Stimme der Natur von größerm Nachdrucke sein, als die Stimme der Regeln. Die Regeln hat man aus denjenigen dramatischen Stücken gezogen, welche ehedem auf der Bühne Beifall gefunden haben. Warum sollen wir uns nicht eben dieses Rechts bedienen können?[46]

Und wenn es, außer der alten Gattung von Komödie, noch eine andre gibt, welche gefällt, welche Beifall findet, kurz welche ergötzt und nützt, übrigens aber die allgemeinen und unveränderlichen Regeln des dramatischen Gedichts nicht verletzet, sondern sie in der Einrichtung und Einteilung der Fabel und in der Schilderung der menschlichen Gemütsarten und Sitten genau beobachtet; warum sollten wir uns denn lieber darüber beklagen, als erfreuen wollen? Wenn diese Komödie, von der wir handeln, abgeschmackt wäre, glaubt man denn, daß ein so abgeschmacktes Ding sich die Billigung, sowohl der Klugen als des Volks, erwerben könne? Gleichwohl wissen wir, daß dergleichen Spiele, sowohl in Paris, als an andern Orten, mehr als einmal mit vielem Glücke aufgeführet worden, und gar leicht den Weg zu den Gemütern der Zuhörer gefunden haben. Wenn nun also die meisten durch ein solches Schauspiel auf eine angenehme Art gerühret werden, was haben wir uns um jene wenige viel zu bekümmern, welche nichts dabei zu empfinden vorgeben?19 Es gibt Leute, welchen die lustige Komödie auf keine Art ein Genüge tut, und gleichwohl hört sie deswegen nicht auf, gut zu sein. Allein, wird man sagen, es gibt unter den so genannten rührenden Komödien sehr viel trockne, frostige und abgeschmackte. Wohl gut; was folgt aber daraus? Ich will ja nicht ein jedes armseliges Stück verteidigen. Es gibt auch auf der andern Seite eine große Menge höchst ungereimter Lustspiele, von deren Verfassern man nicht sagen kann, daß sie die allgemeinen Regeln nicht beobachtet hätten; nur Schade, daß sie, mit dem Boileau20 zu reden, die Hauptregel nicht inne gehabt haben. Es hat ihnen nämlich am Genie gefehlt. Und wenn dieser Fehler sich auch bei den Verfassern[47] der neuen Gattung von Komödie findet, so muß man die Schuld nicht auf die Sache selbst legen. Wollen wir es aber gründlich ausmachen, was man ihr für einen Wert zugestehen müßte, so müssen wir sie, wie ich schon erinnert habe, nach der allgemeinen Absicht der dramatischen Poesie beurteilen. Ohne Zweifel ist die Komödie zur Ergötzung erfunden worden, weil es aber keine kunstmäßige und anständige Ergötzung gibt, mit welcher nicht auch einiger Nutzen verbunden wäre, so läßt sich auch von der Komödie sagen, daß sie nützlich sein könne und müsse. Das erstere, die Ergötzung nämlich, wird teils durch den Inhalt der Fabel selbst, teils durch die neuen, abwechselnden und mit den Personen übereinstimmenden Charaktere, erlangt. Und zwar durch den Inhalt; erstlich, wenn die Erwartung sowohl erregt als unterhalten wird; und hernach, wenn ihr auf eine ganz andere Art ein Genüge geschieht, als es Anfangs das Ansehen hatte, wobei gleichwohl alle Regeln der Wahrscheinlichkeit genau beobachtet werden müssen. Dieses hat so gewiß seine Richtigkeit, daß weder eine wahre noch eine erdichtete Begebenheit, wann sie für sich selbst auch noch so wunderbar wäre, auf der Bühne einiges Vergnügen erwecken wird, wenn sie nicht zugleich auch wahrscheinlich ist.


Respicere exemplar vitae morumque jubebo

Doctum imitatorem.


Bei jeder Erdichtung nämlich verursacht nicht so wohl die Fabel selbst, als vielmehr das Genie und die Kunst, womit sie behandelt wird, bei den Zuschauern das Vergnügen. »Denn derjenige, sagt Wehrenfels,21 erlangt einen allgemeinen Beifall, derjenige ergötzt durchgängig, welcher alle Personen, Sitten und Leidenschaften, die er auf der Bühne vorstellen will, vollkommen, und so viel möglich, mit lebendigen Farben abschildert; welcher die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu fesseln, und ihrem Busen alle Bewegungen mitzuteilen weiß, die er ihnen mitzuteilen für gut befindet.« Denn nicht nur deswegen gefällt die Komödie, weil sie andrer abgeschmackte und lächerliche Handlungen, den Augen und Gemütern darstellet; (denn dieses tut eine jede gute Satyre) sondern auch weil sie eine einfache und für sich selbst angenehme Begebenheit so abhandelt, daß sie überall die Erwartung des Zuschauers unterhält, und durch dieses Unterhalten Vergnügen und Beifall erwecket. Denn wie hätten sonst fast alle Stücke des Terenz,[48] so viel wir deren von ihm übrig haben, und auch einige des Plautus, als zum Exempel die Gefangnen, in welchen durch die Darzwischenkunft eines Simo, eines Chremes, eines Phädria, eines Hegio, ein großer Teil derselben, nicht nur nicht scherzhaft, sondern vielmehr ernsthaft wird; wie hätten sie, sage ich, sonst gefallen können? Wenn nun aber zu dem Ergötzen nicht notwendig eine lächerliche Handlung erfordert wird; wenn vielmehr eine jede Fabel, die der Wahrheit nachahmet, und Dinge enthält, welche des Sehens und Hörens würdig sind, die Gemüter vergnügt: warum sollte man denn nicht auch dann und wann der Komödie einen ernsthaften, seiner Natur nach aber angenehmen Inhalt geben dürfen?22 »Auch alsdann empfinden wir eine wunderbare Wollust, wenn wir mit einer von den Personen in der Komödie eine genaue Freundschaft errichten, für sie bekümmert sind, für sie uns ängstigen, mit ihr Freund und Feind gemein haben, für sie stille Wünsche ergehen lassen, bei ihren Gefahren uns fürchten, bei ihrem Unglücke uns betrüben, und bei ihrer entdeckten Unschuld und Tugend uns freuen.« Es gibt viel Dinge, welche zwar nicht scherzhaft, aber doch deswegen auch nicht traurig sind. Ein Schauspiel, welches uns einen vornehmen Mann, der ein gemeines Mägdchen heiratet, so vor die Augen stellet, daß man alles, was bei einer solchen Liebe abgeschmacktes und ungereimtes sein kann, genau bemerket, wird ergötzen. Doch laßt uns diese Fabel verändern. Laßt uns setzen, der Entschluß des vornehmen Mannes sei nicht abgeschmackt, sondern vielmehr aus gewissen Ursachen löblich, oder doch wenigstens zu billigen; sollte wohl alsdann die Seltenheit und Rühmlichkeit einer solchen Handlung weniger ergötzen, als dort die Schändlichkeit derselben? Der Herr von Voltaire hat eine Komödie dieses Inhalts, unter dem Titel »Nanine«, verfertiget, welche Beifall auf der Bühne erhalten hat; und man kann auch nicht leugnen, daß man nicht noch mehr dergleichen Handlungen, welche Erstaunen erwecken, und dennoch nicht romanenhaft sind, erdenken und auf das gemeine Leben anwenden könne, als welches von dem Gebrauche selbst gebilliget wird.

Wir müssen uns nunmehr zu den guten Charakteren selbst wenden, welche hauptsächlich in der Komödie, von welcher wir handeln, angebracht werden, und müssen untersuchen, auf was für Weise Vergnügen und Ergötzung daraus entspringen könne. Die Ursache hiervon ist ohne Zweifel in der Natur der Menschen und[49] in der wunderbaren Kraft der Tugend zu suchen. In unsrer Gewalt wenigstens ist es nicht, ob wir das, was gut, rechtschaffen und löblich ist, billigen wollen oder nicht. Wir werden durch die natürliche Schönheit und den Reiz dieser Dinge dahin gerissen: und auch der allernichtswürdigste Mensch findet, gleichsam wider Willen, an der Betrachtung einer vortrefflichen Gemütsart, Vergnügen, ob er sie gleich weder selbst besitzt, noch sie zu besitzen, sich einige Mühe gibt. Diejenigen also, aus welchen eine große und zugleich gesellschaftliche Tugend hervorleuchtet, pflegen uns, so wie im gemeinen Leben, also auch auf der Bühne wert und angenehm zu sein. Doch dieses würde nur sehr wenig bedeuten wollen, wenn nicht noch andre Dinge dazu kämen. Die Tugend selbst gefällt auf der Bühne, wo sie vorgestellt wird, weit mehr als im gemeinen Leben. Denn da bei Betrachtung und Bewunderung eines rechtschaffnen Mannes, auch oft zugleich der Neid sich mit einmischet, so bleibt er doch bei dem Anblicke des bloßen Bildes der Tugend weg, und anstatt des Neides wird in dem Gemüte eine süße Empfindung des Stolzes und der Selbstliebe erweckt. Denn wenn wir sehen, zu was für einem Grade der Vortrefflichkeit die menschliche Natur erhoben werden könne, so dünken wir uns selbst etwas großes zu sein. Wir gefallen uns also in jenen erdichteten Personen selbst, und die auf die Bühne gebrachte Tugend fesselt uns desto mehr, je leichter die Sitten sind, welche den guten Personen beigelegt werden, und je mehr ihre Güte selbst, welche immer mäßig und sich immer gleich bleibet, nicht so wohl die Frucht von Arbeit und Mühe, als vielmehr ein Geschenke der Natur zu sein scheint. Mit einem Worte, so wie wir bei den lächerlichen Personen der Bühne, uns selbst freuen, weil wir ihnen nicht ähnlich scheinen; eben so freuen wir uns über unsere eigne Vortrefflichkeit, wenn wir gute Gemütsarten betrachten, welches bei den heroischen Tugenden, die in der Tragödie vorkommen, sich seltner zu ereignen pflegt, weil sie von unsern gewöhnlichen Umständen allzuentfernt sind. Ich kann mir leicht einbilden, was man hierwider sagen wird. Man wird nämlich einwerfen, weil die Erdichtung alltäglicher Dinge weder Verlangen, noch Bewunderung erwecken könne, so müßte notwendig die Tugend auf der Bühne größer und glänzender vorgestellet werden, als sie im gemeinen Leben vorkomme; hieraus aber scheine zu folgen, daß dergleichen Sittenschilderungen, weil sie übertrieben worden, nicht sattsam gefallen könnten. Dieses nun wäre freilich zu befürchten, wenn nicht die Kunst dazu käme, welche das, was in einem Charakter Maß und Ziel zu überschreiten[50] scheinet, so geschickt einrichtet, daß das ungewöhnliche wenigstens wahrscheinlich scheinet. Ein Schauspiel, welches einem Mägdchen von geringem Stande, Zierlichkeit, Witz und Lebensart geben wollte, würde den Beifall der Zuschauer wohl nicht erlangen. Denn


Si dicentis erunt fortunis absona dicta,

Romani tollent equites peditesque cachinnum.


Allein wenn man voraussetzt, dieses Mägdchen sei, von ihren ersten Jahren an, in ein vornehmes Haus gekommen, wo sie Gelegenheit gefunden habe, ihre Sitten und ihren Geist zu bessern: so wird alsdann die zuerst unwahrscheinliche Person wahrscheinlich. Weit weniger aber können uns auserlesene Sitten und edle Empfindungen bei denjenigen anstößig sein, von welchen wir wissen, daß sie aus einer ansehnlichen Familie entsprungen sind, und eine sorgfältige Erziehung genossen haben. Die Wahrscheinlichkeit aber ist hier, nicht so wohl nach der Wahrheit der Sache, als vielmehr nach der gemeinen Meinung zu beurteilen; so daß es gar nicht darauf ankömmt, ob es wirklich solche rühmliche Leute, und wie viele es derselben gibt, sondern daß es genug ist, wenn viele, so etwas zu sein scheinen. Dieses findet auch bei den tadelhaften Charakteren Statt, die deswegen nicht zu gefallen aufhören, ob sie schon die Beispiele des gemeinen Lebens überschreiten.23 So wird der Geizige in dem Lustspiele, ob er gleich weit geiziger ist, als alle die Geizigen, die man alltäglich sieht, doch nicht mißfallen. Der Thraso bei dem Terenz ist so närrisch, daß er den Gnatho und seine übrigen Knechte, als ob es Soldaten wären, ins Gewehr ruft, daß er sich zu ihrem Heerführer macht, und einem jeden seine Stelle und seine Pflicht anweiset: ob nun aber gleich vielleicht niemals ein Soldate so großsprechrisch gewesen ist, so ist dennoch die Person des Thraso, weil sie sonst alles mit den Großsprechern gemein hat, der Wahrheit nicht zuwider. Eben dieses geschieht auch auf der andern Seite, wenn nämlich die Vortrefflichkeit einer Person auf gewisse Art gemäßiget, und ihr, durch die genaue Beobachtung der Wahrscheinlichkeit in den andern Stücken, nachgeholfen wird. Es finden sich übrigens in uns verschiedne Empfindungen, welche dergleichen Charaktere glaubwürdig[51] machen, und das übertriebne in denselben zu bemerken verhindern. Wir wünschen heimlich, daß die rechtschaffnen Leute so häufig als möglich sein möchten, gesetzt auch, daß uns nicht so wohl der Reiz der Tugend, als die Betrachtung der Nützlichkeit, diesen Wunsch abzwinget; und alles was der menschlichen Natur in einem solchen Bilde rühmliches beigeleget wird, das glauben wir, werde uns selbst beigelegt. Daher kömmt es, daß die guten Charaktere, ob sie gleich noch so vollkommen sind, und alle Beispiele übertreffen, in der Meinung die wir von unsrer eignen Vortrefflichkeit, und von der Nützlichkeit der Tugend haben, ihre Verteidigung finden. Wenn nun also diese Charaktere schon des Vergnügens wegen, welches sie verursachen, billig in dem Lustspiele können gebraucht werden, so hat man noch weit mehr Ursache, sie in Betrachtung ihrer Nützlichkeit anzuwenden. Die Abschilderungen tadelhafter Personen zeigen uns bloß das Ungereimte, das Verkehrte und Schändliche; die Abschilderungen guter Personen aber zeigen uns das Gerechte, das Schöne und Löbliche. Jene schrecken von den Lastern ab; diese feuern zu der Tugend an, und ermuntern die Zuschauer, ihr zu folgen. Und wie es nur etwas geringes ist, wenn man dasjenige, was übel ansteht, kennet, und sich vor demjenigen hüten lernet, was uns dem allgemeinen Tadel aussetzt; so ist es Gegenteils etwas sehr großes und ersprießliches, wenn man das wahre Schöne erkennt, und gleichsam in einem Bilde sieht, wie man selbst beschaffen sein solle. Doch diese Kraft haben nicht allein die Reden, welche den guten Personen beigelegt werden; sondern auch dasjenige, was in dem Stücke löbliches von ihnen verrichtet und uns vor die Augen gestellet wird, gibt uns ein Beispiel von dem, was in dem menschlichen Leben schön und rühmlich ist. Wenn also schon dergleichen Schauspiele, dem gewöhnlichen und angenommenen Gebrauche nach, sich mit Recht den Namen der Komödien nicht anmaßen können; so verdienen sie doch wenigstens die Freiheiten und Vorzüge der Komödie zu genießen, weil sie nicht allein ergötzen, sondern auch nützlich sind, und also denjenigen Dramatischen Stücken beigezählt werden können, welche Wehrenfels, am angeführten Orte, mit folgenden Worten verlangt. »Endlich sollen unsre Komödien so beschaffen sein, daß sie Plato in seiner Republik dulden, Cato mit Vergnügen anhören, Vestalinnen ohne Verletzung ihrer Keuschheit sehen, und was das vornehmste ist, Christen aufführen und besuchen können.« Diejenigen wenigstens, welche Komödien schreiben wollen, werden nicht übel tun, wenn sie sich unter andern auch darauf befleißigen, daß ihre Stücke eine[52] stärkere Empfindung der Menschlichkeit erregen, welche so gar mit Tränen, den Zeugen der Rührung, begleitet wird. Denn wer wird nicht gerne manchmal auf eine solche Art in Bewegung gesetzt werden wollen; wer wird nicht dann und wann diejenige Wollust, in welcher das ganze Gemüt gleichsam zerfließt, derjenigen vorziehen, welche nur, so zu reden, sich an den äußern Flächen der Seele aufhält? Die Tränen, welche die Komödie auspresset, sind dem sanften Regen gleich, welcher die Saaten nicht allein erquickt, sondern auch fruchtbar macht. Dieses alles will ich nicht darum angeführt haben, als ob jene alte fröhliche Komödie aus ihrem rechtmäßigen Besitze zu vertreiben wäre; (sie bleibe vielmehr ewig bei ihrem Ansehen und ihrer Würde!) sondern bloß darum, daß man diese neue Gattung in ihre Gesellschaft aufnehmen möge, welche, da die gemeinen Charaktere erschöpft sind, neue Charaktere, und also einen reichern Stoff zu den Fabeln darbietet, und zugleich die Art des Vortrags ändert. Wenn es Leute gibt, welche nur deswegen den Komödien beiwohnen wollen, damit sie in laute Gelächter ausbrechen können, so weiß ich gewiß, daß sich die Terenze und die Destouches wenig um sie bekümmern werden. Denjenigen aber zu mißfallen, welche nichts als eine ausgelassene und wilde Possenlust vergnügt, wird wohl keine allzugroße Schande sein. Es werden auch nach uns einmal Richter kommen; und auch auf diese sollten wir sehen. Flaccus hat schon einmal sein kritisches Ansehen gebraucht, und den Ausspruch getan:


At proavi nostri Plautinos et numeros et

Laudavere sales; nimium patienter utrumque

(Ne dicam stulte) mirati.


Vielleicht werden sich auch einmal welche finden, die uns darum tadeln, daß wir bei Annehmung des rührenden Lustspiels, uns allzuunleidlich, ich will nicht sagen, allzuhartnäckig erwiesen haben.


So weit der Hr. Prof. Gellert! Ich würde meinen Lesern wenig zutrauen, wenn ich nicht glaubte, daß sie es nunmehr von selbst wissen könnten, auf welche Seite die Wage den Ausschlag tue. Ich will zum Überflusse, alles, was man für und wider gesagt hat, in einige kurze Sätze bringen, die man auf einmal übersehen kann. Ich will sie so einrichten, daß[53] sie, wo möglich, alles Mißverständnis heben, und alle schweifende Begriffe in richtige und genaue verwandeln.

Anfangs muß man über die Erklärung der rührenden oder weinerlichen Komödie einig werden. Will man eine solche darunter verstanden haben, welche hier und da rührende und Tränen auspressende Szenen hat; oder eine solche, welche aus nichts als dergleichen Szenen besteht? Meinet man eine, wo man nicht immer lacht, oder wo man gar nicht lacht? Eine, wo edle Charaktere mit ungereimten verbunden sind, oder eine, wo nichts als edle Charaktere vorkommen?

Wider die erste Gattung, in welcher Lachen und Rührung, Scherz und Ernst abwechseln, ist offenbar nichts einzuwenden. Ich erinnere mich auch nicht, daß man jemals darwider etwas habe einwenden wollen. Vernunft und Beispiele der alten Dichter verteidigen sie. Er, der an Scherz und Einfällen der reichste ist, und Lachen zu erregen nicht selten Witz und Anständigkeit, wie man sagt, bei Seite gesetzt hat, Plautus hat die »Gefangnen« gemacht und, was noch mehr ist, dem Philemon seinen Schatz, unter der Aufschrift »Trinummus« abgeborgt. In beiden Stücken, und auch in andern, kommen Auftritte vor, die einer zärtlichen Seele Tränen kosten müssen. Im Moliere selbst, fehlt es an rührenden Stellen nicht, die nur deswegen ihre völlige Wirkung nicht tun können, weil er uns das Lachen allzugewöhnlich macht. Was man von dem schleinigen Übergange der Seele von Freude auf Traurigkeit, und von dem unnatürlichen desselben gesagt hat; betrifft nicht die Sache selbst, sondern die ungeschickte Ausführung. Man sehe das Exempel, welches der Franzose aus dem Schauspiele, »Simson«, anführt. Freilich muß der Dichter gewisse Staffeln, gewisse Schattierungen beobachten, und unsre Empfindungen niemals einen Sprung tun lassen. Von einem Äußersten plötzlich auf das andre gerissen werden, ist ganz etwas anders, als von einem Äußersten allmählig zu dem andern gelangen.

Es muß also die andre Gattung sein, über die man hauptsächlich streitet; diejenige nämlich, worinne man gar nicht lacht, auch nicht einmal lächelt; worinne man durchgängig weich gemacht wird. Und auch hier kann man eine doppelte[54] Frage tun. Man kann fragen, ist ein solches Stück dasjenige, was man von je her unter dem Namen Komödie verstanden hat? Und darauf antwortet Hr. Gellert selbst Nein. Ist es aber gleichwohl ein Schauspiel, welches nützlich und für gewisse Denkungsarten angenehm sein kann? Ja; und dieses kann der französische Verfasser selbst nicht gänzlich in Abrede sein.

Worauf kömmt es also nun noch weiter an? Darauf, sollte ich meinen, daß man den Grad der Nützlichkeit des neuen Schauspiels, gegen die Nützlichkeit der alten Komödie bestimme, und nach Maßgebung dieser Bestimmung entscheide, ob man beiden einerlei Vorzüge einräumen müsse oder nicht? Ich habe schon gesagt, daß man niemals diejenigen Stücke getadelt habe, welche Lachen und Rührung verbinden; ich kann mich dieserwegen unter andern darauf berufen, daß man den Destouches niemals mit dem la Chaussee in eine Klasse gesetzt hat, und daß die hartnäckigsten Feinde des letztern, niemals dem erstern den Ruhm eines vortrefflichen komischen Dichters abgesprochen haben, so viel edle Charaktere und zärtliche Szenen in seinem Stücke auch vorkommen. Ja, ich getraue mir zu behaupten, daß nur dieses allein wahre Komödien sind, welche so wohl Tugenden als Laster, so wohl Anständigkeit als Ungereimtheit schildern, weil sie eben durch diese Vermischung ihrem Originale, dem menschlichen Leben, am nächsten kommen. Die Klugen und Toren sind in der Welt untermengt, und ob es gleich gewiß ist, daß die erstern von den letztern an der Zahl übertroffen werden, so ist doch eine Gesellschaft von lauter Toren, beinahe eben so unwahrscheinlich, als eine Gesellschaft von lauter Klugen. Diese Erscheinung ahmet das Lustspiel nach, und nur durch die Nachahmung derselben ist es fähig, dem Volke nicht allein das, was es vermeiden muß, auch nicht allein das, was es beobachten muß, sondern beides zugleich in einem Lichte vorzustellen, in welchem das eine das andre erhebt. Man sieht leicht, daß man von diesem wahren und einigen Wege auf eine doppelte Art abweichen kann. Der einen Abweichung hat man schon längst den Namen des Possenspiels gegeben, dessen charakteristische Eigenschaft darinne besteht, daß es nichts als Laster und Ungereimtheiten,[55] mit keinen andern als solchen Zügen schildert, welche zum Lachen bewegen, es mag dieses Lachen nun ein nützliches oder ein sinnloses Lachen sein. Edle Gesinnungen, ernsthafte Leidenschaften, Stellungen, wo sich die schöne Natur in ihrer Stärke zeigen kann, bleiben aus demselben ganz und gar weg; und wenn es außerdem auch noch so regelmäßig ist, so wird es doch in den Augen strenger Kunstrichter dadurch noch lange nicht zu einer Komödie. Worinne wird also die andre Abweichung bestehen? Ohnfehlbar darinne, wenn man nichts als Tugenden und anständige Sitten, mit keinen andern als solchen Zügen schildert, welche Bewunderung und Mitleid erwecken, beides mag nun einen Einfluß auf die Beßrung der Zuhörer haben können, oder nicht. Lebhafte Satyre, lächerliche Ausschweifungen, Stellungen, die den Narren in seiner Blöße zeigen, sind gänzlich aus einem solchen Stücke verbannt. Und wie wird man ein solches Stück nennen? Jedermann wird mir zurufen: das eben ist die weinerliche Komödie! Noch einmal also mit einem Worte: das Possenspiel will nur zum Lachen bewegen; das weinerliche Lustspiel will nur rühren; die wahre Komödie will beides. Man glaube nicht, daß ich dadurch die beiden erstern in eine Klasse setzen will; es ist noch immer der Unterscheid zwischen beiden, der zwischen dem Pöbel und Leuten von Stande ist. Der Pöbel wird ewig der Beschützer der Possenspiele bleiben, und unter Leuten von Stande wird es immer gezwungne Zärtlinge geben, die den Ruhm empfindlicher Seelen auch da zu behaupten suchen, wo andre ehrliche Leute gähnen. Die wahre Komödie allein ist für das Volk, und allein fähig einen allgemeinen Beifall zu erlangen, und folglich auch einen allgemeinen Nutzen zu stiften. Was sie bei dem einen nicht durch die Scham erlangt, das erlangt sie durch die Bewunderung; und wer sich gegen diese verhärtet, dem macht sie jene fühlbar. Hieraus scheinet die Regel des Kontrasts, oder der Abstechung, geflossen zu sein, vermöge welcher man nicht gerne eine Untugend aufführt, ohne ihr Gegenteil mit anzubringen; ob ich gleich gerne zugebe, daß sie auch darinne gegründet ist, daß ohne sie der Dichter seine Charaktere nicht wirksam genug vorstellen könnte.[56]

Dieses nun, sollte ich meinen, bestimme den Nutzen der weinerlichen Komödie genau genug. Er ist nämlich nur die Hälfte von dem Nutzen, den sich die wahre Komödie vorstellet; und auch von dieser Hälfte geht nur allzuoft nicht wenig ab. Ihre Zuschauer wollen ausgesucht sein, und sie werden schwerlich den zwanzigsten Teil der gewöhnlichen Komödiengänger ausmachen. Doch gesetzt sie machten die Hälfte derselben aus. Die Aufmerksamkeit, mit der sie zuhören, ist, wie es der Herr Prof. Gellert selbst an die Hand gibt, doch nur ein Kompliment, welches sie ihrer Eigenliebe machen; eine Nahrung ihres Stolzes. Wie aber hieraus eine Beßrung erfolgen könne, sehe ich nicht ein. Jeder von ihnen glaubt der edlen Gesinnungen, und der großmütigen Taten, die er siehet und höret, desto eher fähig zu sein, je weniger er an das Gegenteil zu denken, und sich mit demselben zu vergleichen Gelegenheit findet. Er bleibt was er ist, und bekömmt von den guten Eigenschaften weiter nichts, als die Einbildung, daß er sie schon besitze.

Wie steht es aber mit dem Namen? Der Name ist etwas sehr willkürliches, und man könnte unserer neuen Gattung gar wohl die Benennung einer Komödie geben, wenn sie ihr auch nicht zukäme. Sie kömmt ihr aber mit völligem Recht zu, weil sie ganz und gar nicht etwas anders als eine Komödie, sondern bloß eine Untergattung der Komödie ist.

Ich wiederhole es aber noch einmal, daß dieses alles nur auf diejenigen Stücke gehet, welche völlig den Stücken des la Chaussee ähnlich sind. Ich bin weit entfernt, den Herrn Gellert für einen eigentlichen Nachahmer desselben auszugeben. Ich habe beide zu wohl gelesen, als daß ich in den Lustspielen des letztern, nicht noch genug lächerliche Charaktere und satyrische Züge angetroffen haben sollte, welche aus den Lustspielen des erstern ganz und gar verwiesen sind. Die rührenden Szenen sind bei dem Herrn Gellert nur die meisten; und ganz und gar nicht die einzigen. Wer weiß aber nicht, daß das mehrere oder wenigere, wohl die verschiedne Gemütsart der Verfasser anzeigt, nicht aber einen wesentlichen Unterscheid ihrer Werke ausmacht?[57]

Mehr braucht es hoffentlich nicht, meine Meinung vor aller Mißdeutung zu sichern.

Fußnoten

1 Durch dieses Wort habe ich das Französische Contraste übersetzen wollen. Wer es besser zu übersetzen weiß, wird mir einen Gefallen tun, wann er mich es lehret. Nur daß er nicht glaubt, es sei durch Gegensatz zu geben. Ich habe Abstechung deswegen gewählt, weil es von den Farben hergenommen, und also eben so wohl ein malerisches Kunstwort ist, als das französische. Üb.


2 Ich gestehe es, nichts ist lächerlicher, als über Namen zu streiten; es ist aber auch eben so lächerlich, einen bekannten und bestimmten Namen einer Sache beizulegen, der er nicht zukömmt. Der Name einer Komödie kömmt dem weinerlich Komischen nicht besser zu, als der Name eines Epischen Gedichts den Abenteuern des Dom Quichott zukömmt – – Wie soll man also diese neue Gattung bezeichnen? Eine in Gespräche gebrachte pathetische Deklamation, die durch eine romanenhafte Verwicklung zusammen gehalten wird etc. Man sehe Principes pour lire les Poetes im 2ten Teile.


3 Lettres sur Melanide. Paris, 1741.


4 Man redet hier von dem lateinischen Theater bloß nach Beziehung auf die zwei Schriftsteller, die uns davon übrig sind.


5 Es ist nicht der Körper, welcher in dem Schauspiele lacht oder weinet; es ist die Seele, die von den Eindrücken, die man auf sie macht, gerühret wird. Wann sie durch das Pathetische bewegt, und durch das Komische erfreut wird, so ist sie zu gleicher Zeit ein Raub zweier gegenseitigen Bewegungen – – Wie erstaunlich ist es für den menschlichen Geist, so schleinig und ohne Vorbereitung, von dem Tragischen auf das Komische über zu gehen, und von einer zärtlichen Erkennung, auf die Schäckereien eines Mädchens und eines Petitmaiters etc. Principes, eben daselbst.


6 Der Verfasser zielt hier auf eine Stelle in des Rousseau Briefe an Thalien. Sie ist so trocken schön, daß ich sie nicht zu übersetzen wage. Wenn ich mich nicht irre, so ist es eben die, welche der Herr von Voltaire an einem Orte sehr scharf getadelt hat. Man sehe, ob Rousseau mehr darinne sagt als, daß es mit dem Geschmacke eine kützliche Sache sei, und daß er notwendig entweder gut oder schlecht sein müsse.


Tout institut, tout art, toute police

Subordonnée au pouvoir du caprice

Doit être aussi consequemment pour tous

Subordonnée à nos differens gouts.

Mais de ces gouts la dissemblence extreme,

A le bien prendre, est un foible probleme;

Et quoi qu'on dise, on n'en sauroit jamais

Compter que deux; l'un bon, l'autre mauvais etc.

Üb.


7 Lettres sur Melanide.


8 Der Stoff einer Komödie muß aus den gewöhnlichen Begebenheiten genommen sein; und ihre Personen müssen, von allen Seiten, mit dem Volke, für das sie gemacht wird, eine Ähnlichkeit haben. Sie hat nicht nötig, diese ihre Personen auf ein Fußgestelle zu erhöhen, weil ihr vornehmster Endzweck eben nicht ist, Bewundrung für sie zu erwecken, damit man sie desto leichter beklagen könne; sie will aufs höchste, durch die verdrüßlichen Zufälle, die ihnen begegnen, uns für sie ein wenig unruhig machen. Dubos kritische Betrachtungen T. II. S. 225.


9 S. den Prolog des Lustspiels »Liebe für Liebe«.


10 Da alle Künste aneinander grenzen, so laßt uns noch die Klagen hören, welche Hr. Blondel in seinem 1747 gedruckten Discours sur l'Architecture führet. Es ist zu befürchten, sagt er, daß die sinnreichen Neuerungen, welche man zu jetziger Zeit, mit ziemlichem Glück einführt, endlich von Künstlern werden nachgeahmt werden, welchen die Verdienste und die Fähigkeiten der Erfinder mangeln. Sie werden daher auf eine Menge ungereimter Gestalten fallen, welche den Geschmack nach und nach verderben, und werden ausschweifenden Sonderlichkeiten den schönen Namen der Erfindungen beilegen. Wann dieses Gift die Künste einmal ergriffen hat, so fangen die Alten an unfruchtbar zu scheinen die großen Meister frostig, und die Regeln allzu enge etc. etc.


11 S. die Vorrede des Hrn. v. Voltaire zu seiner »Nanine« im IX. Teile seiner Werke, Dresdner Ausgabe.


12 In den Anmerkungen zu des Aristoteles Dichtkunst Hauptst. V. S. 58. Pariser Ausgabe von 1692. Aristote en faisant la definition de la Comedie decide, quelles choses peuvent faire le sujet de son imitation. Il n'y a que celles qui sont purement ridicules, car tous les autres genres de mechanceté ou de vice, ne sçauroient y trouver place, parce qu'ils ne peuvent attirer que l'indignation, ou la pitié, passions, qui ne doivent nullement regner dans la Comedie.


13 In seiner Poetik. lib. I. c. V. p. 123.


14 Permagna enim, sagt der vortreffliche Engländer, Joseph Trapp, est discrepantia inter istam tristitiam, quae in tragoedia dominatur, et istam, quae in comoediam admittitur. Illa tanquam hiemalis tempestas, diem pene integrum nubibus et tenebris obvolvit: interspersis tantum raris et brevibus lucis intervallis: haec actionem dramaticam, tanquam coelum tempore aestivo plerumque sudum, nubibus non nunquam, sed rarius, intercipit. Praelect. Poet. p. 323. edit. alt. Londini 1722.


15 An angef. Orte S. 314 und folglich.


16 S. die erste Abhandlung des P. Corneille über das dramatische Gedicht.


17 In seiner Rede von der Komödie. S. 365. Diss. var. argum. Parte altera. Amstelod. 1617.


18 Wenn der Endzweck der Komödie überhaupt eine anständige Gemütsergötzung ist, und diese durch eine geschickte Nachahmung des gemeinen Lebens verschafft wird: so werden sich die verschiedenen Formen der Komödie gar leicht erfinden und bestimmen lassen. Denn da es eine doppelte Art von menschlichen Handlungen gibt, indem einige Lachen, und andre ernsthaftere Gemütsbewegungen erwecken: so muß es auch eine doppelte Art von Komödie geben, welche die Nachahmerin des gemeinen Lebens ist. Die eine muß zu Erregung des Lachens, und die andre zu Erregung ernsthaftrer Gemütsbewegungen geschickt sein. Und da es endlich auch Handlungen gibt, die in Betrachtung ihrer verschiednen Teile, und in Ansehung der verschiednen Personen von welchen sie ausgeübt werden, beides hervorzubringen fähig sind: so muß es auch eine vermischte Gattung von Komödien geben, von welcher der »Cyclops« des Euripides, und der Ruhmredige des Destouches sind. Dieses hat der jüngst in Dennemark verstorbene Hr. Prof. Schlegel, ein Freund dessen Verlust ich nie genug betauren kann, und ein Dichter der eine ewige Zierde der dramatischen Dichtkunst sein wird, vollkommen wohl eingesehen. Man sehe was in den Anmerkungen zu der deutschen Übersetzung der Schrift des Herrn Batteux, Les beaux Arts reduits â un même principe, welche vor einiger Zeit in Leipzig herausgekommen, aus einer von seinen noch ungedruckten Abhandlungen, über diese Materie angeführet worden. S. 316.


19 Es scheint als ob man auf unsere Komödie dasjenige anwenden könne, was Cicero von dem Wert einer Rede gegen den Brutus behauptet. Tu artifex, sagt er, quid quaeris amplius? Delectatur audiens multitudo et ducitur oratione et quasi voluptate quadam perfunditur. Quid habes quod disputes? Gaudet, dolet, ridet, plorat, favet, audit, contemnit, invidet, ad miserationem inducitur, ad pudendum, ad pigendum, irascitur, miratur, sperat, timet: haec proinde accidunt, ut eorum, qui adsunt, mentes verbis et sententiis et actione tractantur. Quid est quod expectetur docti alicujus sententia? Quod enim probat multitudo, hoc idem doctis probandum est. Denique hoc specimen est popularis judicii, in quo nunquam fuit populo cum doctis intelligentibusque dissensio. Cic. in Bruto p. 569. s. edit. Elzev.


20 In der Note zu dem ersten Verse der Dichtkunst.


21 In angeführter Rede S. 367.


22 Wehrenfels am angeführten Orte.


23 Hiervon haben die Verfasser der »Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters«, S. 266 und fol. sehr geschickt gehandelt. Die Abhandlung, welche der Herr Professor hier mit seinem Beifalle beehrt, ist von dem sel. Hrn. Mylius. [L.]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 4, München 1970 ff..
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