Crébillion, Idomeneus

[147] Idomeneus, ein Trauerspiel des Hrn. Crebillon. Stralsund und Leipzig bei Joh. Jacob Weitbrecht. 1752. Von dem Trauerspiele selbst ist nichts zu sagen. Wer kennt den blutigen Kothurn eines grausamen Crebillon nicht? Die Übersetzung ist in reimlosen Zeilen, mit abwechselnder Versart. Warum der Übersetzer den Reim verbannt habe, zeigt er in der Vorrede an: weil man mitten in dem Sturme der Leidenschaften stets durch sein widerliches und unnatürliches Geklapper erinnert werde, man sei nur auf dem Schauplatze. Vortreffliche Ursache! Hieraus würde folgen, daß man mit verbundenen Augen in den Schauplatz gehen müsse. Jedes Licht, jede Verzierung der Szenen, jede Vekleidung der Schauspieler, erinnert mich weit mehr, als der Reim, daß ich nur auf dem Schauplatze bin; indem alles, was ich mit den[147] Augen sehe, einen weit schärfern Eindruck macht, als was flüchtig durch die Ohren rauscht. Warum ist man nun nicht aufrichtig mit der Welt? Warum sagt man ihr nicht gleich? ich hatte große Lust dieses Trauerspiel zu übersetzen, ich war aber zu faul oder zu ungeschickt, die Schwierigkeiten des Reims, so wie etwa Schlegel (siehe die Vorrede zu seinen theatralischen Werken) zu übersteigen; und habe also den Reim an Galgen heißen gehen. – – Ob er in der Wahl der jedesmaligen Versart, sagt der Herr Übersetzer, glücklich gewesen oder nicht, werde die Aufführung dieses Stücks am besten zeigen können. Ins Ohr, mein Herr! Ihre Übersetzung möchte wohl nimmermehr aufgeführt werden; es müßte denn von einer Gesellschaft sein, die Sie ausdrücklich dazu erbeten. Fragen Sie nur einen Schauspieler, was für Dienste ihm der Reim bei dem memorieren leiste? Sie werden alsdann aus seiner Antwort schließen können, ob Sie ihm durch Ihre Neuerung eine große Gefälligkeit erzeigt haben. Werfen Sie mir nicht höhnisch ein, er habe Ihre Verse nur als Prosa zu lernen. Sie irren sich; in der Prosa kann er hier und da ein Wort, ohne Nachteil der Stärke der Gedanken versetzen, welches er in Ihren Versen unterlassen muß, wann sie anders Verse bleiben sollen. – – Kostet in den Vossischen Buchläden 4 Gr.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 147-148.
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