Voltaire, Amalie ou le Duc des Fois

[45] Amalie ou le Duc de Fois, Tragedie de Monsieur de Voltaire. Gentilhomme ordinaire de la chambre du Roi de France et Chambelan du Roi de Prusse. à Dresde 1752. chez G. C. Walther, Libraire du Roi, in gr. 8v. auf 5 Bogen. Einen Voltaire loben ist eben so was unnötiges, als einen Hancken tadeln. Ein großer Geist hat nun einmal das Recht, daß nichts aus seiner Feder kommen kann, als was mit dem Stempel des Besten bezeichnet ist.


Was ihn bewegt, bewegt; was ihm gefällt, gefällt.

Sein glücklicher Geschmack ist der Geschmack der Welt.


Was für ein Dichter! welcher auch in seinem Alter das Feuer seiner Jugend beibehalten hat; so wie er in seiner Jugend die bedächtliche Kritik des Alters gleichsam sich im voraus weggenommen hatte. Man besorge nur nicht, daß er wohl noch das Schicksal des großen Corneille haben könne. Und gesetzt; was wäre es mehr? Sind nicht auch in den jüngsten Stücken dieses Dichters tausend Stellen, wovon eine einzige einen ganzen »Colligny« wert ist? – – Doch weit ist »Amalie« noch von diesem Falle entfernt, und wie gesichert ist sie, auch von dem parteilichsten Kunstrichter weder ein Helas noch ein Holla! zu hören. Sie hat nicht nur schöne Stellen; sie ist durchaus schön, und die Tränen eines fühlenden Lesers werden unser Urteil rechtfertigen. Der Stoff ist aus der Geschichte der mittlern Zeit genommen. Es würde eine sehr trockene und überflüssige Untersuchung werden, das wahre und das erdichtete davon zu bestimmen. Wie leicht könnte es kommen, daß das letztere das erstere verschlänge? Noch törigter würde es sein, wenn wir den Inhalt hier verraten wollten. Wir wollen den Lesern das Vergnügen das aus dem Unerwarteten entsteht ganz gönnen, und ihnen weiter nichts sagen, als daß es ein Trauerspiel ohne Blut, zugleich aber ein lehrendes Muster sei, daß das tragische in etwas mehr als in der bloßen Vergießung des Bluts bestehe. Was für Stellungen! Was für Empfindungen! Lisois, was für ein Charakter! Es ist vielleicht verwegen zu sagen, der Dichter habe sich selbst darinnen übertroffen. Doch es sei verwegen; gibt es[145] nicht auch verwegene Wahrheiten? – – Kostet in den Vossischen Buchläden 6 Gr.[146]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 45-46,145-147.
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