Achter Auftritt


[468] Valer. Die Vorigen.


VALER. Wenn ich es getroffen habe, wovon die Rede ist, so will ich für den Gehorsam meiner Schwester fast stehen.

LAURA. Du wagst sehr viel, Bruder. Weit eher könnte ich für deinen Ungehorsam stehen, und eine sichere Wette darauf eingehen, daß du mir gewisser eine Schwägerin geben wirst, als ich dir einen Schwager.

LEANDER. Ist es möglich, Madmoisell?

VALER. Lassen Sie sich nichts anfechten.

LEANDER. Aber ich höre –

VALER. Sie hören das Gesperre einer Braut –

WUMSHÄTER. Und ich höre weiblichen Unsinn. Schweig Mädel! Dein Bruder hat viel zu viel Verstand, als daß er noch an das Heiraten denken sollte.

VALER. Verzeihen sie, Herr Vater. Da ich nunmehr auch des versprochenen Beistandes meiner Schwester entbehren muß, so ist es um so viel nötiger, bei meinem einmal gefaßten Entschlüsse zu bleiben. Ich hoffe auch gewiß, daß Sie nicht länger dawider sein werden. Die ganze Stadt kennet Sie als einen Mann von Billigkeit. Was würde man aber sagen, wenn es auskäme, daß Sie eben dieselben Eigenschaften und Vollkommenheiten an der einen Person hochgeschätzt, und an der andern verkleinert hätten? Was[468] würde man sagen, wenn man erführe, daß ein eingewurzelter Groll gegen ein Geschlecht, von welchem Sie beleidiget zu sein glauben, Sie etwas zu erkennen verhindert habe, was die ganze Welt erkennt? Eine so offenbare Gleichheit –

WUMSHÄTER. Schweig doch nur von deiner schimärischen Gleichheit! Oder willst du mich nötigen, daß ich dich auch bei Herr Leandern lächerlich machen soll? Wahrhaftig ich werde es tun müssen. Gut, Herr Leander, Sie sollen Schiedsrichter zwischen uns sein. Geh, hole deine Hilaria her, aber bringe auch den Bruder mit. Wir wollen die Vergleichung anstellen, wie sichs gehört.

VALER. Ich bin es zufrieden, Herr Vater. Lisette, springe geschwind auf die Stube des Herrn Lelio. Du wirst sie beide beisammen antreffen. Bitte sie, sich hieher zu bemühen. Lisette geht ab.

WUMSHÄTER. Sie werden sehen, Herr Leander, daß ich Recht habe.

LEANDER sachte zu Valeren. Möchte Ihre List doch eben so glücklich ausfallen, als die meinige ausgefallen ist!

VALER sachte zu Leandern. Ich hoffe es, liebster Freund, und danke Ihnen.

WUMSHÄTER der Leandern und Valeren zusammen reden sieht. Ja, das gilt nicht; bereden müßt ihr euch nicht vorher zusammen. Ich hoffe, Herr Leander, daß die erste Probe Ihrer Aufrichtigkeit, die ich von Ihnen verlange –

LEANDER. Befürchten Sie nichts. Ich werde mich von der Wahrheit nicht entfernen, wenn es auf meinen Ausspruch ankommen sollte. Ich hoffe aber, daß es nicht darauf ankommen wird.

WUMSHÄTER. Wie so? Wissen Sie denn schon, was unser Streit ist? Die Schwester soll vollkommen so aussehen, wie der Bruder, und weil ich den Bruder leiden kann, so verlangt er, daß ich auch die Schwester müsse leiden können.

VALER. Kann ich es nicht mit Recht verlangen?

WUMSHÄTER. Die Gleichheit voraus gesetzt, könntest du es freilich mit einigem Rechte verlangen. Aber eben über diese Gleichheit streiten wir noch.[469]

VALER. Wir werden nicht lange mehr darüber streiten; und ich bin versichert, Sie werden sie endlich selbst einräumen müssen.

WUMSHÄTER. Ich werde sie gewiß nicht einräumen. Wenn ich sie aber einräume, so wird es ein sicherer Beweis sein, daß ich Sinne und Verstand verloren habe, und du daher nicht verbunden bist, mir im geringsten zu gehorchen.

VALER. Merken Sie dieses, Herr Leander; daß ich nicht verbunden bin, ihm im geringsten zu gehorchen, im Falle er die Gleichheit selbst zugestehen muß.

WUMSHÄTER. Merken Sie es nur! – Nun, was ist das für ein Aufzug? – –


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 468-470.
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