Zehnter Auftritt

[392] Lisette. Christoph.


LISETTE hält ihn auf. Nein, mein Herr, ich kann es unmöglich über mein Herz bringen, Sie so unhöflich sein zu lassen – Bin ich denn nicht Frauenzimmers genug, um einer kurzen Unterhaltung wert zu sein?[392]

CHRISTOPH. Der Geier! Sie nehmen die Sache genau, Mamsell. Ob Sie Frauenzimmers genug oder zu viel sind, kann ich nicht sagen. Wenn ich zwar aus Ihrem gesprächigen Munde schließen sollte, so dürfte ich beinahe das letzte behaupten. Doch dem sei, wie ihm wolle; jetzt werden Sie mich beurlauben; – – Sie sehen, ich habe Hände und Arme voll. – – Sobald mich hungert oder dürstet, werde ich bei Ihnen sein.

LISETTE. So machts unser Schirrmeister auch.

CHRISTOPH. Der Henker! das muß ein gescheuter Mann sein: er machts wie ich!

LISETTE. Wenn Sie ihn wollen kennen lernen: er liegt vor dem Hinterhause an der Kette.

CHRISTOPH. Verdammt! ich glaube gar, Sie meinen den Hund. Ich merke also wohl, Sie werden den leiblichen Hunger und Durst verstanden haben. Den aber habe ich nicht verstanden; sondern den Hunger und Durst der Liebe. Den, Mamsell, den! Sind Sie nun mit meiner Erklärung zufrieden?

LISETTE. Besser als mit dem Erklärten.

CHRISTOPH. Ei! im Vertrauen; – – Sagen Sie etwa zugleich auch damit so viel, daß Ihnen ein Liebesantrag von mir nicht zuwider sein würde?

LISETTE. Vielleicht! Wollen Sie mir einen tun? im Ernst?

CHRISTOPH. Vielleicht!

LISETTE. Pfui! was das für eine Antwort ist! vielleicht!

CHRISTOPH. Und sie war doch nicht ein Haar anders, als die Ihrige.

LISETTE. In meinem Munde will sie aber ganz etwas anders sagen. Vielleicht, ist eines Frauenzimmers größte Versicherung. Denn so schlecht unser Spiel auch ist, so müssen wir uns doch niemals in die Karte sehen lassen.

CHRISTOPH. Ja, wenn das ist! – Ich dächte, wir kämen also zur Sache. – – Er schmeißt beide Mantelsäcke auf die Erde. Ich weiß nicht, warum ich mirs so sauer mache? Da liegt! – – Ich liebe Sie, Mamsell.

LISETTE. Das heiß ich, mit wenigen viel sagen. Wir wollens zergliedern – –[393]

CHRISTOPH. Nein, wir wollens lieber ganz lassen. Doch, – damit wir in Ruhe einander unsre Gedanken eröffnen können; – – belieben Sie sich nieder zu lassen! – – Das Stehn ermüdet mich. – – Ohne Umstände! – Er nötiget sie auf den Mantelsack zu sitzen. – – Ich liebe Sie, Mamsell. – –

LISETTE. Aber, – – ich sitze verzweifelt hart. – – Ich glaube gar, es sind Bücher darin – –

CHRISTOPH. Darzu recht zärtliche und witzige; – und gleichwohl sitzen Sie hart darauf? Es ist meines Herrn Reisebibliothek. Sie besteht aus Lustspielen, die zum Weinen, und aus Trauerspielen, die zum Lachen bewegen; aus zärtlichen Heldengedichten; aus tiefsinnigen Trinkliedern, und was dergleichen neue Siebensachen mehr sind. – – Doch wir wollen umwechseln. Setzen Sie sich auf meinen; – ohne Umstände! – – meiner ist der weichste.

LISETTE. Verzeihen Sie! – – So grob werde ich nicht sein – –

CHRISTOPH. Ohne Umstände, – ohne Komplimente! – Wollen Sie nicht? – So werde ich Sie hintragen. – –

LISETTE. Weil Sie es denn befehlen – Sie steht auf und will sich auf den andern setzen.

CHRISTOPH. Befehlen? behüte Gott! – Nein! befehlen, will viel sagen. – – Wenn Sie es so nehmen wollen, so bleiben Sie lieber sitzen. – Er setzt sich wieder auf seinen Mantelsack.

LISETTE bei Seite. Der Grobian! Doch ich muß es gut sein lassen – –

CHRISTOPH. Wo blieben wir denn? – Ja, – bei der Liebe – – Ich liebe Sie also, Mamsell. Je vous aime, würde ich sagen, wenn Sie eine französische Marquisin wären.

LISETTE. Der Geier! Sie sind wohl gar ein Franzose?

CHRISTOPH. Nein, ich muß meine Schande gestehn: ich bin nur ein Deutscher. – Aber ich habe das Glück gehabt, mit verschiedenen Franzosen umgehen zu können, und da habe ich denn so ziemlich gelernt, was zu einem rechtschaffnen Kerl gehört. Ich glaube, man sieht mir es auch gleich an.

LISETTE. Sie kommen also vielleicht mit Ihrem Herrn aus Frankreich?[394]

CHRISTOPH. Ach nein! – –

LISETTE. Wo sonst her? freilich wohl! –

CHRISTOPH. Es liegt noch einige Meilen hinter Frankreich, wo wir herkommen.

LISETTE. Aus Italien doch wohl nicht?

CHRISTOPH. Nicht weit davon.

LISETTE. Aus Engeland also?

CHRISTOPH. Beinahe; Engeland ist eine Provinz davon. Wir sind über funfzig Meilen von hier zu Hause – – Aber, daß Gott! – meine Pferde, – die armen Tiere stehen noch gesattelt. Verzeihen Sie, Mamsell! – – Hurtig! stehen Sie auf! – – Er nimmt die Mantelsäcke wieder untern Arm. – – Trotz meiner inbrünstigen Liebe, muß ich doch gehn, und erst das Nötige verrichten – – Wir haben noch den ganzen Tag, und, was das meiste ist, noch die ganze Nacht vor uns. Wir wollen schon noch eins werden. – Ich werde Sie wohl wieder zu finden wissen.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 392-395.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Juden
Sämmtliche Schriften: Sinngedichte, Lieder, Oden, Etc.-Junge Gelehrte.-Juden.-Misogyn.-Der Freygeist.-Schatz.-Minna Von Barnhelm (German Edition)