XI. Das Kruzifix

[203] Hans, spricht der Pater, du mußt laufen,

Uns in der nächsten Stadt ein Kruzifix zu kaufen.

Nimm Matzen mit, hier hast du Geld.

Du wirst wohl sehn, wie teuer man es hält.


Hans kömmt mit Matzen nach der Stadt.

Der erste Künstler war der beste.

»Herr, wenn Er Kruzifixe hat,

So laß' Er uns doch eins zum heil'gen Osterfeste.«


Der Künstler war ein schalkscher Mann,

Der gern der Einfalt lachte,[203]

Und Dumme gern noch dümmer machte,

Und fing im Scherz zu fragen an:

»Was wollt ihr denn für eines?«


»Je nun, spricht Matz, ein wacker feines.

Wir werden sehn, was Ihr uns gebt.«

»Das glaub' ich wohl, allein das frag' ich nicht.

Ein totes, oder eins das lebt?«


Hans guckte Matzen und Matz Hansen ins Gesicht.

Sie öffneten das Maul, allein es redte nicht.

»Nun gebt mir doch Bericht.

Habt ihr den Pater nicht gefragt?«

»Mein Blut! spricht endlich Hans, der aus dem Traum erwachte,

Mein Blut! er hat uns nichts gesagt.

Weißt du es, Matz?« – »lch dachte;

Wenn du's nicht weißt; wie soll ich's wissen?«

»So werdet ihr den Weg noch einmal gehen müssen.«

»Das wollen wir wohl bleiben lassen.

Ja, wenn es nicht zur Frone wär.«


Sie denken lange hin und her,

Und wissen keinen Rat zu fassen.

Doch endlich fällt es Matzen ein:

»Je! Hans, sollt's nicht am besten sein,

Wir kauften eins das lebt? – Denn sieh,

Ist's ihm nicht recht, so macht's ja wenig Müh,

Wär's auch ein Ochs, es tot zu schlagen.«

»Nu ja, spricht Hans, das wollt' ich eben sagen:

So haben wir nicht viel zu wagen.«

*


Das war ein Argument, ihr Herren Theologen,

Das Hans und Matz ex tuto zogen.[204]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 203-205.
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