Anti-Goeze
Sechster

[237] Non leve est, quod mihi impingit tantae urbis pontifex.

Hieron. adv. Ruffinum


Ich habe erwiesen, (Anti-Goeze III.) daß die Vorteile, welche die Religion objective aus den Zweifeln und Einwürfen ziehet, mit welchen die noch ununterjochte Vernunft gegen sie angeht, so wesentlich und groß sind, daß aller subjektive Nachteil, der daraus mehr befürchtet wird, als daß er wirklich daraus entstehe, in keine Betrachtung zu kommen verdienet; welches auch schon daher klar ist, weil der subjektive Nachteil nur so lange dauert, bis der objektive Vorteil sich zu äußern beginnet, in welchem Augenblicke sofort objektiver Vorteil auch subjektiver Vorteil zu werden anfängt. – Ich habe erwiesen, daß sonach die Kirche, welche ihr wahres Beste verstehet, sich nicht einfallen lassen kann, die Freiheit, die Religion zu bestreiten, auf irgend eine Weise einzuschränken; weder in Ansehung der Sprache noch in Ansehung der Personen einzuschränken, von welchen allein und in welcher allein die Bestreitung geschehen dürfe. (A. G. IV.) – Ich habe erwiesen, daß am wenigsten eine Ausnahme von Punkten gemacht werden dürfe, welche die Bestreitung nicht treffen solle (A. G. V.); indem dadurch ein Verdacht entstehen würde, welcher der Religion sicherlich mehr Schaden brächte, als ihr die Bestreitung der ausgenommenen Punkte nur immer bringen könnte. –

Wenn nun hieraus erhellet, daß die Kirche auch nicht einmal das Recht muß haben wollen, die Schriften, die gegen sie geschrieben worden, von welcher Beschaffenheit sie auch sein mögen, in ihrer Geburt zu ersticken, oder zu ihrer Geburt gar nicht gelangen zu lassen; es sei denn durch die bessere Belehrung ihrer Urheber; wenn selbst diese Urheber, in welchen sie nur den[237] Irrtum verfolget, alle die Schonung von ihr genießen, welche man denjenigen so gern widerfahren läßt, die uns wider ihren Willen, der nur auf unser Verderben geht, Gutes erzeigen: wie kann sie den für ihren Feind erkennen, in welchem sie nicht einmal den eigenen Irrtum zu verfolgen hat, welcher bloß fremde Irrtümer bekannt macht, um ihr den daraus zu erwartenden Vorteil je eher je lieber zu verschaffen? Wie kann der Herausgeber eines freigeisterischen Buches eine Ahndung von ihr zu besorgen haben, mit der sie nicht einmal den Verfasser desselben ansehen würde?

Als Hieronymus eine, seinem eignen Urteile nach, der wahren christlichen Religion höchst verderbliche Schrift aus dem Griechischen übersetzte – Es waren des Origenes Bücher περι αρχων. Man merke wohl, übersetzte! Und übersetzen ist doch wohl mehr, als bloß herausgeben – Als er diese gefährliche Schrift in der Absicht übersetzte, um sie von den Verkleisterungen und Verstümmlungen eines andern Übersetzers, des Ruffinus, zu retten, d.i. um sie ja in ihrer ganzen Stärke, mit allen ihren Verführungen, der Lateinischen Welt vorzulegen; und ihm hierüber eine gewisse schola tyrannica Vorwürfe machte, als habe er ein sehr strafbares Ärgernis auf seiner Seele: was war seine Antwort? O impudentiam singularem! Accusant medicum, quod venena prodiderit. – Nun weiß ich freilich nicht, was er mit jener schola tyrannica eigentlich sagen wollen. Und es wäre doch erstaunlich, wenn es auch damals schon unter den christlichen Lehrern Leute gegeben hätte, wie Goeze!– Aber eine ähnliche Antwort habe ich doch schon für mich auch gegeben.10 »Weil ich das Gift, das im Finstern schleichet, dem Gesundheitsrate anzeige, soll ich die Pest in das Land gebracht haben?«

Freilich, als ich die Fragmente heraus zu geben anfing, wußte ich, oder äußerte ich doch, den Umstand noch nicht, den ich zur Entschuldigung eines Unternehmens, bei welchem ich darauf keine Rücksicht nahm oder nehmen konnte, hier brauchen zu wollen scheine. Ich wußte oder äußerte noch nicht, daß das Buch ganz vorhanden sei, an mehrern Orten vorhanden sei, und in der Handschrift darum keinen geringern Eindruck mache, weil der[238] Eindruck nicht in die Augen falle. Aber ich scheine auch nur, mich dieses Umstandes zu meiner Rechtfertigung bedienen zu wollen.

Ich bin ohne ihn dadurch gerechtfertigt genug, daß ich, als ich einmal eine sehr unschuldige Stelle aus dem Werke meines Ungenannten gelegentlich bekannt gemacht hatte, aufgefodert wurde, mehr daraus mitzuteilen. Ja ich will noch mehr Blöße geben.

Ich will gerade zu bekennen, daß ich auch ohne alle Auffoderung würde getan haben, was ich getan habe. Ich würde es vielleicht nur etwas später getan haben.

Denn einmal habe ich nun eine ganz abergläubische Achtung gegen jedes geschriebene, und nur geschrieben vorhandene Buch, von welchem ich erkenne, daß der Verfasser die Welt damit belehren oder vergnügen wollen. Es jammert mich, wenn ich sehe, daß Tod oder andere dem tätigen Manne nicht mehr und nicht weniger willkommene Ursachen, so viel gute Absichten vereiteln können; und ich fühle mich so fort in der Befassung, in welcher sich jeder Mensch, der dieses Namens noch würdig ist, bei Erblickung eines ausgesetzten Kindes befindet. Er begnügt sich nicht, ihm nur nicht vollends den Garaus zu machen; es unbeschädigt und ungestört da liegen zu lassen, wo er es findet: er schafft oder trägt es in das Findelhaus, damit es wenigstens Taufe und Namen erhalte. Eines denn freilich wohl lieber als das andere: nach dem ihm das eine mehr angelächelt, als das andere; nach dem ihm das eine den Finger mehr gedrücket, als das andere.

Gerade so wünschte ich wenigstens – Denn was wäre es nun, wenn auch darum noch so viel Lumpen mehr, dergestalt verarbeitet werden müßten, daß sie Spuren eines unsterblichen Geistes zu tragen fähig würden? – wünschte ich wenigstens, alle und jede ausgesetzte Geburten des Geistes, mit eins in das große für sie bestimmte Findelhaus der Druckerei bringen zu können: und wenn ich deren selbst nur wenige wirklich dahin bringe, so liegt die Schuld gewiß nicht an mir allein. Ich tue was ich kann; und jeder tue nur eben so viel. Selbst die Ursache liegt oft in mir nicht allein, warum ich eher diese als jene hinbringe, warum ich mir von dem gesundern und freundlichern Findlinge den Finger umsonst muß drücken lassen: sondern es wirken auch hier meistens[239] so viel kleine unmerkliche Ursachen zusammen, daß man mit Recht sagen kann, habent sua fata libelli.

Aber nie habe ich diese meine Schwachheit, – wodurch ich, ich weiß nicht ob ich sagen soll, zum Bibliothekar geboren, oder zum Bibliothekar von der Natur verwahrloset bin, – nie habe ich diese meine Schwachheit denken können, ohne meine individuelle Lage glücklich zu preisen. Ich bin sehr glücklich, daß ich hier Bibliothekar bin, und an keinem andern Orte. Ich bin sehr glücklich, das ich dieses Herrn Bibliothekar bin, und keines andern. –

Unter den heidnischen Philosophen, welche in den ersten Jahrhunderten wider das Christentum schrieben, muß ohne Zweifel Porphyrius der gefährlichste gewesen sein, so wie er, aller Vermutung nach, der scharfsinnigste und gelehrteste war. Denn seine 15 Bücher κατα χριστιανων sind, auf Befehl des Constantinus und Theodosius, so sorgsam zusammengesucht und vernichtet worden, daß uns auch kein einziges kleines Fragment daraus übrig geblieben. Selbst die dreißig und mehr Verfasser, die ausdrücklich wider ihn geschrieben hatten, worunter sich sehr große Namen befinden, sind darüber verloren gegangen; vermutlich weil sie zu viele und zu große Stellen ihres Gegners, der nun einmal aus der Welt sollte, angeführet hatten. – Wenn es aber wahr sein sollte, was Isaac Vossius den Salvius wollen glauben machen11, daß dem ohngeachtet noch irgendwo ein Exemplar dieser so fürchterlichen Bücher des Porphyrius vorhanden sei; in der Mediceischen Bibliothek zu Florenz nämlich, wo es aber so heimlich gehalten werde, daß niemand es lesen, niemand das geringste der Welt daraus mitteilen dürfe: wahrlich, so möchte ich dort zu Florenz nicht Bibliothekar sein, und wenn ich Großherzog zugleich sein könnte. Oder vielmehr, ich möchte es nur unter dieser Bedingung sein, damit ich ein der Wahrheit und dem Christentume so nachteiliges Verbot geschwind aufheben, geschwind den Porphyrius in meinem herzoglichen Palaste drucken lassen, und geschwind das Großherzogtum, welches mir itzt schon im Gedanken zur Last ist, geschwind wieder an seine Behörde abgeben könnte. –[240]

Abälard ist der Mann, den ich oben12 in Gedanken hatte, als ich sagte, daß selbst in jenen barbarischen Zeiten mehr Einwürfe gegen die Religion gemacht worden, als die Mönche zu beantworten Lust hatten, die beliebter Kürze und Bequemlichkeit wegen, den nur gleich zu allen Teufeln zu schicken bereit waren, der sich mit seinen Einwürfen an das Licht wagte. Denn sollte man wohl glauben, daß Trotz den Streitigkeiten, welche der h. Bernhardus dem Abälard gegen verschiedene seiner Schriften erregte; Trotz der Sammlung, welche Amboise mit seiner nicht geringen Gefahr von den Schriften des Abälards machte; Trotz den Nachlesen, welche Martene und Durand und B. Petz zu dieser Sammlung gehalten haben, uns doch noch dasjenige Werk des Abälard mangelt, aus welchem die Religionsgesinnungen desselben vornehmlich zu ersehen sein müßten. D'Achery hatte es, ich weiß nicht in welcher Bibliothek gefunden, hatte eine Abschrift davon genommen, und war Willens, es drucken zu lassen. Aber D'Achery ging oder mußte mit andern Gelehrten – auch Benediktinern ohne Zweifel – vorher noch darüber zu Rate gehen, und so konnte aus dem Druck nichts werden; die glücklich aufgefundene Schrift des Abälard, in quo, genio suo indulgens, omnia christianae religionis mysteria in utramque partem versat, ward zu ewigen Finsternissen verdammet13. Die Abschrift des D'Achery kam in die Hände des Martene und Durand; und diese, welche so viel historischen und theologischen Schund dem Untergange entrissen hatten, hatten eben so wenig das Herz, noch ein bißchen Schund mehr der Welt aufzubewahren; weil es doch nur philosophischer Schund war. – Arme Scharteke! Gott führe dich mir in die Hände, ich lasse dich so gewiß drucken, so gewiß ich kein Benediktiner bin! – Aber wünschen einer zu sein, konnte ich fast, wenn man nur als ein solcher mehr dergleichen Manuskripte zu sehen bekäme. Was wäre es, wenn ich auch gleich das erste Jahr wieder aus dem Orden gestoßen würde?

Und das würde ich gewiß. Denn ich würde zu viel wollen drucken lassen, wozu mir der Orden den Vorschub verweigerte.[241] Der alte Lutheraner würde mich noch zu oft in den Nacken schlagen; und ich würde mich nimmermehr bereden können, daß eine Maxime, welche der päbstischen Hierarchie so zuträglich ist, auch dem wahren Christentume zuträglich sein könne.

»Doch das alles heißt ja nur eine Missetat durch das Jucken entschuldigen wollen, welches man, sie zu begehen, unwiderstehlich fühlet. Wenn es denn deine Schwachheit ist, dich verlassener Handschriften anzunehmen, so leide auch für deine Schwachheit. Genug, von dieser Handschrift hätte schlechterdings nichts müssen gedruckt werden, weil sie wenigstens eben so schlimm ist, als das Toldos Jeschu.«

Wohl angemerkt! Und also hätte auch wohl Toldos Jeschu nicht müssen gedruckt werden? Also waren die, welche es unter uns bekannt, und durch den Druck bekannt machten, keine Christen? Freilich war der, welcher es den Christen zuerst gleichsam unter die Nase rieb, nur ein getaufter Jude. Aber Porchetus? Aber Luther? Und Wagenseil, der sogar das Hebräische Original retten zu müssen glaubte! O der unbesonnene, der heimtückische Wagenseil! Sonst bekam unter tausend Juden kaum einer Toldos Jeschu zu lesen: nun können es alle lesen. Und was er auch sonst noch einmal vor dem Richterstuhl Gottes schwer wird zu verantworten haben, der böse Wagenseil! Aus seiner Ausgabe hat der abscheuliche Voltaire seine skurrilen Auszüge gemacht, die er zu machen wohl unterlassen haben würde, wenn er das Buch erst in den alten Drucken des Raimundus oder Porchetus hätte aufsuchen müssen. –

Nicht wahr, Herr Hauptpastor? Ich setze hinzu: die er zu machen auch wohl gar hätte müssen bleiben lassen, wenn Wagenseil das Lästerbuch anstatt hebräisch und lateinisch, hebräisch und deutsch hätte drucken lassen. Das wäre denn ein kleines Exempelchen, von welchem allgemeinen Nutzen es ist, wenn die Schriften wider die Religion nur lateinisch zu haben sind. Nicht wahr, Herr Hauptpastor?

Indes, Herr Hauptpastor, hat doch Wagenseil, in der weitläuftigen Vorrede zu seinen Telis igneis Satanae, sein Unternehmen so ziemlich gut verteidiget. Und wollen Sie wohl erlauben, daß ich nur eine einzige Stelle daraus hersetze, in welcher auch ich mit eingeschlossen zu sein glaube? Es ist die, welche den Hauptinhalt[242] der ganzen Vorrede in wenig Worte faßt. Neque vero, non legere tantum Haereticorum scripta, sed et opiniones illorum manifestare, librorumque ab iis compositorum, sive fragmenta aut compendia, sive integrum contextum, additis quidem plerumque confutationibus, aliquando tamen etiam sine iis, publice edere, imo et blasphemias impiorum hominum recitare, viri docti piique olim et nunc fas esse arbitrati sunt.[243]

10

Anti-Goeze I. S. 4.

11

Ritmeieri Conringiana Epistolica p. 71.

12

A. G. IV. S. 16.

13

Thes. Anecdot. T. V. Praef.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 8, München 1970 ff., S. 237-244.
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