Achtes Capitel

[92] Sie haben sich lange erwarten lassen, sagte der Freiherr, als an einem Abende der Caplan bei ihm eintrat, und fast wäre Ihre Gegenwart hier nicht mehr gefordert, denn ich kann Sie mit der erfreulichen Kunde empfangen, daß die Baronin ihrer Genesung entgegengeht. Wir sind also hoffentlich zum Längsten hier gewesen und werden die Schwüle der Stadt bald mit unserer frischen Luft vertauschen können, nach der auch unsere Kranke zu verlangen anfängt. Aber was bringen Sie uns, lieber Freund, der Sie von Hause kommen?

Zuerst meine Entschuldigung wegen meines späten Eintreffens.

Lassen Sie das, lassen Sie das! Unser ruhiges Leben hat Ihnen die Gewohnheit schnellen Aufbrechens genommen, ich kenne das, und im Grunde war das niemals Ihre Sache! rief der Freiherr, anscheinend in der besten Stimmung. Ich hoffe nur, daß nicht ein Unwohlsein Sie zurückgehalten hat!

Nur wirkliche Krankheit hätte mich hindern können, dem Rufe der Frau Baronin und meiner Pflicht zu folgen! sagte der Geistliche mit einer ernsten Zurückhaltung, die den Freiherrn zu der Frage veranlaßte: Sie hatten also andere Gründe, die Sie zum Verweilen zwangen?

Ja, Herr Baron, und sie waren nicht so erfreulich, als die angenehme Kunde, mit der ich hier empfangen werde! Da aber in allem Unglück sich immer noch etwas findet, was man[92] zu segnen hat, so möchte ich's ein Glück nennen, daß die Frau Baronin und die Frau Herzogin eben jetzt von Hause fern gewesen sind!

Der Freiherr sah den Geistlichen fest an und sagte: Sie lassen mich sehr langsam erfahren, was Sie mir zu sagen haben; es ist also sicher etwas recht Verdrießliches geschehen!

Leider mehr, als das! sprach der Caplan. Am Mittwoch vor Pfingsten langte der Wagen in Richten an, den man zum Abholen des Standbildes nach der Stadt gesandt hatte, und der Verabredung gemäß wurde es gleich nach Rothenfeld gebracht, um dort vor der Kirche abgeladen und ausgepackt zu werden. Da die Vorbereitungen für die Aufstellung im Voraus getroffen waren, gab der Bauführer denn auch die Weisung, mit der Errichtung der Gruppe sofort zu beginnen.

Und durch die Ungeschicklichkeit unserer Arbeiter ist sie beschädigt worden! rief der Freiherr.

Nein, Herr Baron! Der Bildhauer selbst hat sie, wie er übernommen, herausgebracht und auch die Auspackung besorgt.

Und die Arbeit, wie ist sie ausgefallen? unterbrach der Freiherr den Geistlichen noch einmal.

Es war eine lobenswerthe Arbeit; die Gestalt des Christus recht edel, der Kopf voll Ausdruck, und auch die Figur der büßenden Magdalena nahm sich schön und charakteristisch aus.

Sie sagen: es war eine schöne Arbeit, die Figur nahm sich gut aus – was soll das heißen? fragte der Freiherr.

Das Standbild ist zerstört! berichtete der Geistliche, und sein Ton und seine Miene verriethen die Empfindung, welcher er das Wort nicht gab.

Zerstört? Und wie, durch wen? rief der Freiherr lebhaft.

Durch geflissentlich erregten Glaubenshaß! antwortete der Caplan mit jener Selbstbeherrschung, welche ihm zur Natur geworden war.[93]

Den Freiherrn jedoch verließ in diesem Falle seine Fassung, und mit dem Fuße stampfend, rief er heftig: Unerhört! Das ist ganz unerhört! Sind denn jetzt alle Teufel los? – Aber er bereute diese Aufwallung eben so schnell, und sich niedersetzend, während er auch dem Geistlichen einen Sessel anwies, sprach er: Man sollte sich eigentlich in diesen Zeiten über nichts mehr wundern und auf jede Art von Ausschreitungen vorbereitet sein; dennoch überrascht uns, wenn uns widerfährt, was wir Andere in gleicher Weise erleben sahen. Verzeihen Sie meine Aufwallung und fahren Sie fort. Halten Sie mir nichts zurück, mein Freund, ich bin jetzt vollkommen vorbereitet.

Am Mittwoch, fuhr der Caplan fort, war, wie gesagt, die Gruppe angekommen, Samstags, als die Feierstunde nahte, hatte man die Arbeit des Aufstellens beendet; ich fuhr also nach Rothenfeld, das Geleistete zu betrachten. Die Gruppe gereichte dem ganzen Baue zur Zierde; man konnte in jeder Weise seine Freude daran haben. Man hatte keine Schwierigkeiten, keine Störungen irgend welcher Art bei der Aufrichtung gehabt. Die Arbeiter, welche niemals ein Kunstwerk gesehen, hatten es angestaunt; nun standen die Kinder draußen an dem Gitter und betrachteten es neugierig. Des Försters Sohn, ein aufgeweckter Knabe, fragte mich, ob das die Mutter Maria sei, die an dem Kreuze kniee. Als ich ihm Bescheid gab, ging der Candidat vorüber. Er war, wie immer, zum Pfingstbesuch zu seinen Eltern nach Neudorf gekommen, aber er hatte sich, was er doch sonst zu thun pflegte, bei mir nicht sehen lassen.

Der Bursche war mir stets zuwider, bemerkte der Freiherr, den Erzähler unterbrechend, und er weiß es, daß seine ehrgeizige Scheinheiligkeit, wie man diese Richtung von oben her jetzt auch beschützt, bei mir ihre Wirkung verfehlt!

Um so größer und unheilvoller war aber die Wirkung, welche er auf die Gemeinde übte, berichtete der Geistliche, der[94] sich geflissentlich jedes Urtheils ent hielt und sich nur auf die Mittheilung der Thatsachen beschränkte. In der Absicht, die Leute an ihn zu gewöhnen, hatte der Pfarrer seinen Sohn, wie seit Jahren, auch jetzt wieder am zweiten Feiertage für sich die Predigt halten lassen, und der Candidat mochte die Abwesenheit der Herrschaften für den geeigneten Zeitpunkt angesehen haben, in welchem er seinem Zorne gegen unsere Kirche einmal Luft machen und bei seinen Vorgesetzten sich damit eine geneigte Anerkennung verdienen könne. Die Aufstellung des Standbildes, meine zufällige Unterredung mit dem Knaben, deren Zeuge der Candidat eben so zufällig geworden war, boten ihm dazu den erwünschtesten Stoff und Anlaß, und er hat sich denn in den heftigsten Ausdrücken, in jenen landläufigen Redensarten gegen den Baalsdienst, gegen die Götzenanbetung, gegen die heimliche Verführung zu derselben und gegen unsere Kirche überhaupt, so lange gehen lassen, bis er es der Gemeinde endlich förmlich an das Herz gelegt, sich über die Gewalt zu beschweren, die man ihr mit dem Baue der Kirche angethan habe, und die Errichtung von Götzenbildern in dem Lande der reinen Lehre nicht zu dulden.

Die Frechheit kennt nicht Maß, nicht Ziel! rief der Freiherr, sich von seinem Sessel erhebend. Und die Leute, wie verhielten sie sich? Was thaten sie?

Es traf sich übel, daß ihrer Aufregung eine Gelegenheit, sich zu bekunden, dargeboten wurde. Mißgestimmt waren sie seit langer Zeit, und die Menge liebt es ja, Alles, worunter sie zu leiden hat oder wovon sie sich beeinträchtigt glaubt, auf eine und dieselbe Ursache und Quelle zurückzuführen. Als die Leute von Neudorf aus der Kirche nach Rothenfeld zurückkehrten, machten die Kammerjungfer der Frau Herzogin und der Koch eben ihren Feiertags-Spaziergang. Aus ihrer Heimath des Anblicks gewohnt, den das Standbild ihnen darbot, warfen ihr[95] religiöses Gefühl und ihre Rührung bei dem Gedanken an das verlassene, unglückliche Vaterland sie betend zu den Füßen des Heilandes nieder. – Sie knieend im Gebet erblicken, an ihrer Andacht Aergerniß nehmen und diesem Aerger Ausdruck geben, war bei den vorübergehenden Leuten Eines. Wir wollen unseren Sabbath nicht durch Götzendiener schänden lassen! rief eine Stimme, und als hätte es nur dieses Anstoßes bedurft, so erhob sich von allen Seiten der Ruf: Nieder mit dem Götzenbilde! Nieder mit den Götzendienern! Jagt das fremde Pack zum Lande hinaus!

Weiter, weiter! drängte der Freiherr.

Im Begriffe, mich hieher zu Ihnen zu begeben, kam ich mit meinem Wagen durch Rothenfeld. Schon beim Einfahren in das Dorf sah ich, daß etwas Ungewöhnliches vor sich gehen müsse, und das wüste Durcheinander lärmender Stimmen zeigte mir den Weg. – Der Caplan hielt einen Augenblick inne, dann sagte er: Erlassen Sie es mir, Ihnen die Scene zu schildern, die ich auf dem Kirchhofe erleben mußte. Die Leute kannten sich nicht in ihrer Aufregung. Alt und Jung, Männer und Weiber waren über die beiden Unglücklichen hergefallen. Man machte ihnen die Flucht unmöglich, man steinigte sie buchstäblich, während die kräftigsten unter den Männern das Standbild zu Boden rissen und mit Aexten darauf einhieben. Das Flehen, der Angstschrei der beiden Gemarterten übertönten das Geschrei und Toben der Wüthenden.

Aber war denn Niemand da, der Einhalt that? fragte der Freiherr, athemlos vor zorniger Erregung. Wo war der Pfarrer? Wo war Steinert? Wo war der Justitiarius? Und Sie selbst, Caplan ....

Sie vergessen, Herr Baron, daß der unselige Vorfall sich nicht in Neudorf, sondern in Rothenfeld ereignete, daß der Pfarrer also nichts davon erfuhr, bis Alles vorüber war –[96] und es wird ihm dies sicherlich das Erwünschteste gewesen sein. Steinert war über Land gefahren, und der Justitiarius, der sich unter den Besuchern der Kirche befunden hatte und gleich herzukam, hatte, wie ich, vollauf zu thun, die beiden Verwundeten ....

Verwundet – die Unglücklichen sind verwundet? Aber doch nicht ernstlich, es hat doch mit ihnen keine Gefahr, Caplan?

Der Caplan zuckte die Schultern. Die Verwundung des Kochs war unbedeutend, er ist völlig davon hergestellt. Mademoiselle Lise aber, die ein Steinwurf an die Schläfe traf – ist todt!

Der Geistliche hielt inne; der Freiherr schloß unwillkürlich die Augen. Er sprach kein Wort. Die Hände auf dem Rücken ging er mit schwerem Schritte im Zimmer auf und nieder. Ein Mord, sagte er endlich tonlos, ein Mord an einem schwachen, wehrlosen Weibe – entsetzlich! – Und die Herzogin – wie wird sie es vernehmen? – Und wieder fing er an umherzuschreiten.

Nach einer Weile hob der Caplan noch einmal an: Auch mich hatte ein Stein am Hinterkopfe verletzt ....

Sie, Sie, mein Freund? rief der Freiherr, in der Sorge um den altbewährten Lebensgenossen alles Andere vergessend und an den Geistlichen herantretend, dessen Hände er in lebhafter Bewegung ergriff. Darum also fiel mir Ihr übles Aussehen auf; aber freilich solch einen Anlaß, solch einen Grund war ich mir nicht vermuthend. Und jetzt, wie fühlen Sie sich jetzt?

Denken Sie nicht an mich, sprach der Caplan, die Wunde war nicht schwer, und – fügte er mit seiner sanften Stimme begütigend hinzu – der sie mir schlug, des Hirten armer, schwachsinniger Bube, wußte in Wahrheit kaum, was er gethan hatte.

Der Freiherr athmete schwer auf, drückte dem Geistlichen[97] tief ergriffen die Hand und wandte sich ab. Es widerstand ihm, seine Erschütterung zu zeigen. Er trat an das Fenster, das auf den Markt hinaussah, aber er gewahrte nichts von dem, was draußen vor seinen Augen vorging. Er war einzig mit dem so eben Gehörten beschäftigt, ganz in seine Gedanken versunken. So verging eine geraume Zeit. Beide Männer hielten vor einander zurück, was doch ausgesprochen werden mußte, und beiden ward das Schweigen drückender, je länger es sich fortsetzte.

Endlich raffte der Freiherr sich zusammen. Lassen Sie uns zu Ende kommen! sagte er finster und gepreßt. Wie verlief die Sache, und wie verließen Sie die Dinge?

Es war, als ob der Unfall, den ich erlitten hatte, sie zur Besinnung brächte. Ein paar Frauen in meiner Nähe riefen meinen Namen, sprangen mir bei, versuchten mich zu schützen. Ich redete ihnen zu, verlangte ihre Hülfe für die Unglückliche, der Anblick der Sterbenden erschreckte die Sinnlosen und brachte einen Stillstand in ihre wilde Aufregung. Diesen benutzte der Justitiarius. Er nannte sie Verbrecher und verlangte die Auslieferung des Mörders. Sie hatten nicht daran gedacht, daß sie ein Verbrechen begangen, daß sie einen Mord verübt hatten; sie schwankten, ob sie dieses Bewußtsein durch neue Unthat in sich übertäuben, ob sie sich durch neue Wildheit über ihr Erschrecken forthelfen oder sich aus Furcht zerstreuen sollten.

Da haben Sie das Volk, rief der Freiherr mit bitterem Hohne, da haben Sie das Volk, dessen Menschenrechte man anerkennen, dem man Freiheit und Gleichheit zugestehen, dem man Antheil an der Regierung des Landes zuerkennen soll! Rohe, wilde Bestien, nur durch Zwang zu bändigen, durch Strenge und Gewalt in den Schranken der Menschlichkeit zu erhalten! – Das sind die Freiheitshelden, die jenseit des Rheines ihr Wesen getrieben haben – Kirchenschänder und Mörder! Aber so wahr Gott lebt, ich denke es ihnen gründlich zu verleiden![98]

Ja, sagte der Caplan, sie bedürfen der Zucht, sie können der Führung, der Leitung nicht entbehren und werden dies jemals schwerlich können. Aber soll das Messer für die That einstehen, die man mit ihm verübt? Soll die bildungslose Masse dafür einstehen, daß man also die freie Gleichberechtigung der Culte ausübt? Soll ein armer, irregeleiteter Bauernbursche es entgelten, wenn man von den Kanzeln des Landes unsere heilige Kirche schmähen darf? Soll es ihm hingehen, dem unreifen jungen Manne, dem lutherischen Candidaten, daß er sich auflehnte gegen das Gesetz seines Landes, gegen den Willen seines Königs, der unsere Gewissensfreiheit und unsere freie Religionsübung so gut wie die der Andersglaubenden zu schützen hat? Wollen Sie es dulden, daß dieser freche anmaßende Mensch Ihren Entschließungen, Ihrem freien Willen auf der Kanzel Ihrer eigenen Kirche entgegentritt? daß er Ihre Leute zur Beurtheilung Ihrer Handlungen aufreizt, daß er sie zu Ihren Richtern macht? – Ich für meinen Theil habe gleich gethan, was meines Amtes war. Ich habe noch an demselben Tage dem Fürstbischof einen Bericht der Vorgänge eingesandt. Ich habe ihn aufgefordert, bei der Regierung Beschwerde über den Angriff zu führen, der durch den Candidaten gegen unsere freie Religionsübung vollführt ist, und es müßte keine Gerechtigkeit im Lande mehr zu finden sein, wenn uns unser Recht, und dem Gotthard nicht das seinige werden sollte.

Es war selten, daß der Caplan sich also lebhaft äußerte, und dem Freiherrn fiel es daher auf. Er hatte in dem ruhigen Laufe der Zeiten es fast vergessen, daß sein alter Lebensgenosse noch etwas Anderes als nur sein Hausgeistlicher, daß er ein Mitglied jenes großen Clerus, jenes wundervollen Organismus sei, dessen Mitglieder, aus allen Schichten des Volkes hervorgehend, über die ganze Welt zerstreut, in sich vereinigt, und losgelöst von allen Banden der Familie, in Einem der Ihrigen[99] gipfeln, der sich die höchste irdische und geistliche Machtvollkommenheit zuerkennt, von welcher ein Theil auch dem geringsten Angehörigen dieses Bundes übertragen wird, so daß ein jeder zur Befestigung und Stärkung des großen Ganzen mitwirkt, während er sich von demselben getragen, gehoben und beschützt weiß. Aber es war dem Freiherrn nicht willkommen, daß der Caplan ihn in diesem Augenblicke an seinen Zusammenhang mit seiner Kirche mahnte, daß er für seinen Theil Maßregeln getroffen und selbstständige Schritte gethan hatte. Er sah dies als einen Uebergriff in seine Rechte an und er war eben jetzt noch weniger als sonst gewillt, seinen Rechten etwas zu vergeben.

Ohne daher auf die Anmahnungen des Caplans weiter einzugehen, sprach er kalt und ernst: Ehe wir daran denken dürfen, die Freiheit unseres Cultus zu vertreten, scheint es mir nothwendig, daß den Verbrechern ihre Strafe, daß Justiz geübt werde, wo gegen das Gesetz gefrevelt ward. – Was hat der Justitiarius gethan?

Der Caplan, der sich zurückgewiesen sah und dies für sich und mehr noch für die heilige Sache, der er diente, schwer empfand, ließ den Freiherrn seine Antwort eine kleine Zeit erwarten. Dann sagte er: Bei dem wüsten Angriffe, den man auf unsere unglücklichen Glaubensgenossen richtete, bei der Plötzlichkeit und Wildheit, mit der Alle zugleich über die Beklagenswerthen herfielen, war es nicht zu sagen, wer die That verübt. Jeder konnte, Niemand wollte der Mörder sein, und noch hatte der Justitiarius nichts entschieden, als Steinert von seinem Ausfluge zurückkam. Mit Einem Blicke übersah er, was geschehen war, mit Einem Satze war er vom Pferde, und rasch den Stephan aus Neudorf bei der Brust fassend, rief er: Wer's gethan hat, das weiß in diesem Augenblicke Gott allein, aber sein Theil Schuld wird dieser hier an all dem Unheil haben, denn ich habe sie oft genug von ihm gehört, die Redensarten[100] gegen den Kirchenbau und gegen die Fremden und die Franzosen. Er wird auch jetzt wieder der Anführer gewesen sein! Führt diesen hier vor allen Dingen weg, und dann wollen wir weiter sehen; das Uebrige wird sich finden!

Und was dann? fragte der Freiherr, dessen Miene sich belebte, da er hörte, daß eine entschlossene Hand über die Aufrührischen gekommen war.

Steinert selbst übergab dann Stephan den beiden Amtsboten; in dem Bestreben, sich zu rechtfertigen, zieh der Verhaftete Andere der Schuld, und auch diese hat man festgenommen; es sitzen ihrer acht. Murrend und drohend gingen die Männer, weinend und schreiend gingen die Weiber aus einander. Steinert eilte nach Neudorf in die Pfarre. Ich war nicht im Stande, meine Reise an dem Nachmittage fortzusetzen, und hätte ich es vermocht, so wäre es doch nicht zulässig gewesen. Ich mußte bleiben, um die Stelle zu weihen, wo die Erschlagene ruhen sollte, und um sie zu bestatten, und in Beidem habe ich keine Störungen erlitten. Ich habe ihr Grab in der Nähe des zertrümmerten Standbildes graben lassen, damit die Leute es auf ihrem täglichen Wege vor den Augen haben.

Der Caplan schwieg, der Freiherr hatte sich niedergelassen und den Kopf auf die Hand gestützt. Er schauderte zusammen, aber er sagte nicht, was ihn bewegte, bis er sich plötzlich mit dem Ausrufe: Gleich morgen muß ich hin, gleich morgen! von seinem Sessel erhob.

Um Ihre Rückkehr zu bitten, hatten sowohl Steinert als der Justitiarius mir auch aufgetragen! meldete der Caplan, indem er gleichfalls aufstand.

Und weshalb das? fragte der Freiherr.

Um zu begnadigen, wo jene nur Gerechtigkeit zu üben hätten!

Der Freiherr blieb vor ihm stehen. Und Sie würden[101] mir rathen, dem Gesetze vorzugreifen? Sie würden der Meinung sein, daß ich durch schwache Nachgiebigkeit ähnlichen Freveln Thür und Thor öffne?

Ich würde die höchste Strenge für den bewußten Urheber des Frevels fordern und Gnade üben ....

Der Freiherr fuhr auf. Strenge fordern, wo ich nicht zu richten habe, und freveln lassen, wo ich Herr bin? – Nein, Caplan! Ich gehe nach Hause, morgen – aber sie sollen sich meiner Rückkehr nicht zu freuen haben, sie sollen sehen, daß ich der Herr bin!

Der Caplan versuchte, Einspruch zu thun, des Freiherrn Ansicht umzustimmen, aber es gelang ihm nicht.

Ueberzeugung gegen Ueberzeugung! sagte der Freiherr. Sie folgten Ihrem Gewissen, als Sie sich an den Fürstbischof wandten, ich folge dem meinigen, indem ich mich meines Rechtes bediene, mir selber Recht schaffe, und ich muß der verruchten Rotte zeigen, was sie vor meinem Willen und Belieben gilt! Aber vor allen Dingen muß ich die Herzogin sehen! – Und der Thüre zuschreitend, sprach er zu sich selber: Das ist ein schwerer, schwerer Gang![102]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 5, Berlin 1871, S. 92-103.
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