Erster Brief

Sophie an Marien

Wären Sie doch jetzt ein Stündchen bey mir, meine Marie! Es sollte uns an Stoff zur Unterhaltung nicht fehlen. Sie werden zwar wohl meynen, daß ich Ihnen ja meinen Schatz von Neuigkeiten auch schriftlich mittheilen könnte. Aber, beyseite gesetzt, daß Schreiben und alle solche sitzende Handlungen eben nicht die Lieblingsgeschäfte meiner flüchtigen Person sind; so käme ich ja um alle Ihre Anmerkungen, oder erhielte sie wenigstens sehr spät, wenn ich vielleicht die ganze Sache schon vergessen habe.[1]

Doch die Vorrede darf nicht so lang, als die Erzählung selbst, seyn; diese Bemerkung ist mir noch so von meinem letzten Informator hängen geblieben. Also wollen wir zur Sache selbst schreiten.

Höre, Fiekchen, sagte diesen Morgen mein Onkel, legte wohlbedächtlich seine Pfeife nieder, schob die weiße baumwollne Mütze um zwey Zoll weiter zurück, rückte seinen Stuhl mir näher, und hub folgender Gestalt an:

»Du hast schon einige hübsche Parthien gehabt, die aber alle dein Eigensinn zurückgewiesen hat. Lege nun deine Grillen ab, mein Kind, und denke ernsthaft daran, daß eine alte Jungfer, die es aus eigner Schuld wurde, eine erbärmliche Creatur ist. Ich werde dir heute einen wackern Mann vorstellen, der ein Auge auf dich geworfen hat. Sey ja vernünftig gegen ihn.«[2]

Ich hatte zwar so allerley Anmerkungen auf der Zunge, weil aber mein Onkel in einigen Punkten keinen Scherz versteht, so unterdrückte ich sie, ob es mir gleich ein wenig sauer wurde. Ich kleidete mich an, und erwartete – vielleicht wohl ein klein wenig unruhiger als sonst – den Glockenschlag, der das Signal unserer Visiten ist. Es kamen einige Herren und Damen zum Besuch, die sich bey mir hatten melden lassen. Als eben die ersten. Unterhaltungen vom Wetter und vom jetzigen Moderoman zu Ende waren, trat meine Tante in das Zimmer, geführt von einem Herrn, dessen Gesicht seine Kleidung Lügen strafte; denn diese letztere zeigte einen Jüngling von 18 bis 20 Jahren an, da hingegen das erstere wenigstens 38 verrieth. Sein Haar war in künstlich nachlässige Locken gelegt; keine neidische Halsbinde verdeckte die Schönheit seines magern Halses, der sich ganz entblößt dem Auge[3] zeigte. Ein himmelblaues seidenes Kleid, merde d'oie gefüttert, Strümpfe vom schönsten Karmelit, machten einen vortrefflichen Kontrast, und zeigten, daß Herr Sternfeld Meister in der Farbenmischung sey. Er trug ein paar Schuhe, deren Vordertheil eben hinreichte, die Fußzehen zu bedecken; die Hacken waren so hoch, daß sie mit den meinigen wetteifern konnten. Schnallen, die gerade so breit waren, als die Schuhe; zwey Uhren mit den klingelndsten Berloquen versehen, welche die Ankunft seiner wichtigen Person schon von weitem verkündigten. Die Beinkleider waren an den Knien mit niedlichen Bändern zugebunden; in der einen Hand trug er ein Stöckchen, an der andern führte er meine Tante, die alles angewandt hatte, ihre Reize so zu erhöhen, daß sie dieses allerliebsten Führers nicht unwerth schien.[4]

Nachdem dieser Herr ein tiefes Kompliment gegen die Damen, und ein etwas nachlässigeres gegen die Herren gemacht hatte, hüpfte er auf mich zu, und küßte mit vieler Grazie meine Hand.

»Dieß ist also die Göttinn – so sprach er – von deren Macht und Reizen ich schon in der Ferne bezaubert worden bin?«

»In der That, Herr Sternfeld, diese Macht der Bezauberung in der Ferne hätte ich mir nie zugetraut. Sie müssen wohl sehr leicht zu bezaubern seyn.«

»O wenn so viel Schönheit mit solcher Bescheidenheit vereinigt ist, welches Herz kann dann ungerührt bleiben?«

»Mich dünkt, um den wahren Werth einer Sache zu schätzen, muß man doch wenigstens etwas davon selbst besitzen, und das scheint, mit der Bescheiden heit wenigstens, nicht Ihr Fall zu seyn.«[5]

Es scheint wohl, als wenn Herr Sternfeld nicht viel aus dem Stegreif zu reden vermag; wenigstens konnte er hierauf keine schickliche Antwort finden. Er drehte sich einmal auf dem Absatz herum, nahm Taback und fieng eine andre Materie an.

»Aber, mon Dieu, was ist heute für ein heißer Tag! Es ist nicht möglich, eine gescheidte Frisur zu behalten. Sollten Sie es wohl glauben, daß ich heute von Monsieur Dechamp nach der neuesten Pariser Mode frisirt bin? Und doch sieht jetzt mein Kopf so mal goufteux aus, daß ich mich schämen muß, vor den Damen zu erscheinen.«

Mamsell Ebard. »O, Ihr Kopfputz hat sich noch recht gut gehalten. Uebrigens aber ist es wahr, die Sonne ruinirt alles. Sehn Sie nur meinen Teint. Ob ich gleich nie ohne Schleyer und Sonnenschirm ausgehe, so bin ich doch gestern auf der Promenade so[6] schwarz gebrannt, wie eine Mohrinn. Nicht wahr, Herr von Grün, ich sehe ganz scheuslich aus?«

Herr von Grün widerlegte dieß natürlich sehr sinnreich, und nun kam die ganze Gesellschaft auf ein sehr interessantes Kapitel: wie die Haut im Sommer zu conserviren sey? Zwey Mittel, die besonders angepriesen wurden, notirte Herr Sternfeld in sein Taschenbuch. Mit dieser und ähnlichen Unterhaltungen verstrich der Nachmittag, und die Gesellschaft gieng aus einander. Sternfeld empfahl sich mir mit einem sehr zuversichtlichen Wesen, und schien zu glauben, daß er einen sehr günstigen Eindruck auf mein Herz gemacht hätte.

Und nun sagen Sie, Marie, kann ich mir nicht zu einem so liebenswürdigen Bräutigam Glück wünschen? Die mir so oft von Ihnen gepriesne Wahrheit: daß der Ehestand [7] unser Beruf sey, macht jetzt doppelten Eindruck auf mich, da ich einen so niedlichen Gefährten finde. Wahrhaftig, es würde eine allerliebste Ehe werden!

Nein, Marie, Freyheit ist das edelste Gut, und ich will dessen genießen, so lange ich kann. Ach! ich kenne die Männer: als Liebhaber sind sie schmeichelnd und kriechend, wie die Schooßhündchen; aber nach der Trauung verändert sich die Scene. Unser unterthäniger Diener wird hochgebietender Herr, und tyrannisirt das arme Weib für jede Schmeicheley, die er als Bräutigam ihr sagte. Und unter ein solches Joch sollte ich meinen Nacken beugen? Nimmermehr! Ich betrachte die Männer als Geschöpfe, die zum Scherzen und Tändeln in müßigen Stunden recht gut sind, die man sich aber ja nicht darf zu nahe kommen lassen. Es hat noch kein Mann Eindruck auf mich gemacht, und ich glaube gewiß,[8] daß es auch nie geschehen wird. Mein Herz soll eine unüberwindliche Festung bleiben, und nie andre als die Gefühle der Freundschaft kennen. Allein diese Empfindungen sind gegen meine Marie desto stärker, und stets wird mit gleicher Wärme für Sie schlagen das Herz

Ihrer

Sophie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 1-9.
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