Zweyter Brief

Marie an Sophien

[9] Ich erkenne Sie ganz in Ihrem muntern Briefe, liebe Sophie. Aber ob mir gleich das Lesen desselben viel Vergnügen gemacht hat; so bin ich doch mit Ihrer letzten Erklärung nicht zufrieden. Ich höre meine muntre Freundinn gern scherzen, aber nur nicht über einen so wichtigen Gegenstand, als die Ehe[9] ist. Sie haben zwar darinnen Recht, daß mit dem Liebhaber als Ehemann oft eine Veränderung vorgeht, aber wer ist mehr Schuld daran, als die Mädchen selbst? Sie verlangen als Göttinnen von ihrem Liebhaber angebetet zu werden, und fordern eine kriechende Verehrung von ihm. Ist es nicht sehr begreiflich, daß er diese ihm höchst unnatürliche Lage so bald als möglich ablegt, und daß er nun vielleicht die Rechte übertreibt, die ihm der Priester vor dem Altare giebt? Dieser neue Ton muß denn wohl freylich die junge Frau sehr befremden.

Sie, meine Freundinn, werden gewiß nie eine solche nachtheilige Veränderung zu befürchten haben. Ich traue Ihnen zu, daß Sie als Braut wohl zärtliche Liebe und gegenseitige Gefälligkeit von Ihrem Geliebten fodern, aber nie zugeben werden, daß der Mann sich zum sklavischen Anbeter erniedrige. Sie werden[10] sich gewiß durch nachgebende Aufmerksamkeit und durch eine genaue Erfüllung Ihrer Pflichten die Achtung Ihres Gatten zu erhalten wissen. Und was kann denn wohl schöneres gedacht werden, als die Vereinigung zweyer Personen, die sich verbinden, alle Freuden des Lebens durch gemeinschaftlichen Genuß sich zu verdoppeln, und das Leiden durch gegenseitiges Theilnehmen sich erträglicher zu machen!

Und welch eine noch größere Quelle der Freude glänzt uns im Ehestande! Giebt es ein erhabeners Glück als das, sich selbst wieder in Kindern aufleben zu sehen, mit ihnen aufs neue wiederum die Ruhe und den Frieden zu fühlen, der so ganz das Eigenthum dieser Jahre der Unschuld ist? Zu sehen, wie eine Seelenkraft nach der andern sich entwickelt? – Wie ist es der zärtlichen Mutter so leicht, den Keim zu Tugend und Glückseligkeit[11] in das junge Herz zu legen, und wie ärndtet sie schon in dem zarten Alter des Kindes den süßen Lohn ihrer Sorgfalt durch seine unschuldsvolle Anhänglichkeit an sie!

O wie hasse ich die Mütter, die, gleichgültig gegen diese Freude, ihre Kinder fremden Ammen und Wärterinnen übergeben! Durch diese Art der Erziehung höchst unartig und eigensinnig gemacht, muß sich die Mutter bey jeder Gelegenheit der kleinen Unglücklichen schämen. Was ist also zu thun? Sie entfernt sie ganz von sich, und steckt sie in eine Kinderstube. Die Töchter werden unerträgliche Geschöpfe, die nur ihr Geld, oder ihres Vaters Ansehen an den Mann zu bringen fähig ist. Die Söhne werden auf Universitäten geschickt, ohne das mindeste der dazu nöthigen Kenntnisse zu haben. Froh, der Ruthe der Französinn entlaufen zu seyn, führen sie das ungebundenste Leben, kehren mit leerem[12] Kopf und Beutel zurück, und sind dann die würdigen Glieder, von welchen die Bedienungen unsers Staats bekleidet werden.

Nie werde ich meiner Mutter die Sorgfalt genug verdanken können, mit der sie mich erzog. Nie kam ich von ihrer Seite. Geschäfte. Vergnügungen, alles opferte sie mir auf. Wenn ich noch an die rührenden Ermahnungen denke, womit sie zu Pflicht und Tugend mich ermunterte, so fließen ihrem Andenken heiße Thränen, und ich bitte Gott, daß er mich werth mache, einst meinen Kindern das zu seyn, was die Selige mir war. Gott sey gedankt, daß er mir das Glück aufbehielt, noch in ihren letzten Stunden ihr Freude zu machen, und sie mit einem zufriedenen Lächeln über meine Folgsamkeit aus der Welt gehen zu sehen!

Sie wissen die Geschichte meiner Jugend. Sie wissen, daß ich mich lange der Verheyrathung[13] mit Albrecht wiedersetzte, daß auf ihrem Todbette die Selige in mich drang, ihn zu heyrathen. Ich konnte ihren Bitten nicht widerstehen; und wäre auch nun mein Ehe stand unglücklich, so würde doch das mir meine Leiden versüßen, daß ich durch meine Einwilligung die letzten Stunden einer sterbenden Mutter erheiterte. Aber Gottlob! unglücklich ist er nicht. Mein Albrecht ist ein guter Mann. Er ist zwar etwas zu kalt, um alle Forderungen meines Herzens zu befriedigen, das so ganz zur innigsten Liebe geschaffen ist. Aber ich hoffe, wenn es mir erst gelungen ist, alle Eindrücke vergangner Zeiten, die sich zuweilen mir aufdrängen, völlig zu verbannen, die gar zu große Empfänglichkeit meiner Empfindungen zu mäßigen – mein Mann kränkt mich oft dadurch, daß er dieses übertriebne Empfindsamkeit nennt – und mein Herz ganz unter die Herrschaft der Vernunft zu beugen,[14] daß dann unser Ehestand einer der glücklichsten seyn wird.

Ganz glücklich zu seyn, ist freylich schwer, wenn die Empfindungen von Natur nicht gleichgestimmt sind. Aber es ist Pflicht für die Frau, sich nach der Denkungsart ihres Mannes zu bilden, und ihn den Unterschied ihrer Gefühle so wenig als möglich fühlen zu lassen. Verzeihen Sie mir diese lange Ausschweifung, meine Liebe. Es wird vielleicht bald die Zeit kommen, da Sie ganz meiner Meynung seyn werden. Ihr Herz wird gewiß nicht immer so unempfindlich bleiben, als es bisher gewesen ist. Es kömmt nur darauf an, daß ein gefährlicherer Feind, als Herr Sternfeld, es angreift. Ihre Beschreibung von diesem hat mich sehr belustigt. Melden Sie mir doch ja immer die weitern Fortschritte, die er bey Ihnen macht. Leben Sie recht wohl, meine Sophie.

Marie.[15]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 9-16.
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