Dritter Brief

Sophie an Marien

[16] Ich habe heute einige komische Originale kennen gelernt, die ich Ihnen, liebe Marie, auch bekannt machen will. Wir waren von dem Amtmann Cleberg zum Besuch gebeten; er wohnt zwey Stunden von hier zu Mayfeld, und ließ uns in seinem Wagen dahin abholen. Als wir ankamen, stand der Herr Amtmann nebst seiner Frau und zwey Töchtern vor der Thür, um uns zu empfangen. Ihr Anzug war ein sonderbarer Mischmasch von Stadt- und Landmode. Die Frau Amtmänninn freute sich denn sehr der Ehre mich zu sehen, wurde gewaltig bekümmert, wie sie hörte, daß mir vom Fahren etwas übel geworden wäre, erheiterte sich sehr, da ich versicherte, daß mir jetzt besser wäre, und bedauerte nur wiederum, daß ich so mit der Bewirthung ihres schlechten[16] Hauses würde vorlieb nehmen müssen. Bey dieser letzten Aeußerung zogen sich die Augenbraunen des Herrn Amtmanns etwas merklich zusammen. Ey, mein Kind, man muß nicht auf Kosten der Wahrheit höflich seyn; du solltest unsern Gästen wohl eine schöne Idee von unsrer Einrichtung beybringen! Dieß ist freylich nur ein Landhaus, aber es übertrifft denn doch wohl manche Stadthäuser. Sie sollen selbst davon urtheilen. Freylich, als ich hier einzog, sah es ganz anders aus; ich habe alles, was sie Gutes drinn sehen werden, müssen machen lassen. Aber nun ist es auch ein Haus geworden. Jeder, der es sonst gesehen hat, kann seine Verwundrung nicht genug bezeigen. Der Geheime Rath B. klopfte mir noch neulich auf die Schultern: ja, sagte er, unser Amtmann Cleberg, das ist doch noch ein Mann von Geschmack, der – Papa, unterbrach ihn Minchen, das jüngste Mädchen,[17] Sie vergessen ja, daß Sie die Fremden herumführen wollten.

Nun schleppte er uns, meiner Müdigkeit ungeachtet, durchs ganze Haus, und wir mußten uns an seinen Verbesserungen (so nannte ers, jeder andre hätte es Verschlimmerungen geheißen,) fast außer Athem bewundern. Ich will Ihnen nur eine dieser Veränderungen anführen. Es war ein großer Saal im Hause gewesen, den man immer, auch seiner schönen Aussicht wegen, als das vorzüglichste Zimmer betrachtet hatte. Der Herr Amtmann aber glaubte, es sey viel schicklicher, wenn eine Gesellschaft sich in mehrere Parthien vertheilen könne, und hielt es für sehr abgeschmackt, in Einem Zimmer zu seyn. Er ließ also vier Wände durchziehen, und machte aus dem schönen Saal fünf kleine Zimmerchen. Ein Fenster, das die schöne Aussicht hatte, wurde dadurch verbaut. Aber[18] nun zeigte sich ein schlimmer Umstand. Man hatte nun keinen Platz, wo eine zahlreiche Gesellschaft speisen konnte, auch keinen Raum zu den Bällen, die oft zu Mayfeld gehalten wurden. Was sollte der Herr Amtmann nun anfangen? Den Saal wieder in den vorigen Zustand setzen? Das hieße ja bekennen, daß man geirrt hätte, und das gesteht er nie ein, es koste auch was es wolle. Er ließ also ein ganz neues Nebengebäude errichten, in welchem zwey schöne Säle gebauet wurden. Dieses Nebenhaus kostete ihm mehr als dreytausend Thaler, denn er bezahlt alles noch einmal so theuer, als andre Leute, ob er gleich glaubt, alles wohlfeiler zu haben. Dem ohngeachtet aber ist er weit davon entfernt, dieß Geld zu bereuen, sondern hält es noch immer für sehr nützlich angewandt.

Als wir mit dem Hause fertig waren, wurden wir in den Garten geführt. Dieser war[19] sonst zum Küchengarten bestimmt gewesen. Er aber fand es angenehmer, ihn auf englische Art zu haben. Es wurden also viele auswärtige Gewächse herbey geschafft, und ein Bosquet, Grotten und Einsiedeleyen darinn angelegt. Um aber auch Abwechselung zu haben, ließ er einen andern Obstgarten auch umarbeiten. Wo sonst eine kühle dunkle Laube stand, prangte jetzt ein schönes Gewächshaus, und statt der Bäume, die sonst so voll Aepfel hiengen, daß die selige Frau Amtmänninn sie nie ohne Freude betrachtete, ragten griechische Büsten und Säulen hervor. Um den Theil des Gartens, der aufs Feld gieng, war ein Graben gezogen, wozu das Wasser sehr weit durch Kanäle hergeleitet wurde. Man konnte zwar mit einem Sprung bequem herüber kommen, um aber ganz vor Dieben gesichert zu seyn, hatte er eine kostbare Zugbrücke verfertigen lassen, die des Nachts aufgezogen wurde. Auch auf dem[20] Felde waren viel geschmackvolle Veränderungen angebracht. Es ist wahr, sprach er, ich kaufe jetzo viele Früchte, die mein Vorfahr verkaufte, aber solche Sachen sind auch jetzt so spottwohlfeil, daß es sich wahrhaftig der Mühe nicht verlohnt, sie selbst zu bauen, und das Vergnügen, das meine jetzige Einrichtung mir und meinen Freunden macht, ersetzt mir den kleinen Verlust reichlich, den ich etwa dabey habe.

Nun giengs zur Tafel, die zwar reichlich besetzt, aber gar nicht schmackhaft bereitet war. Zudem war das Tischgeräthe nebst Tellern und Schüsseln zwar kostbar, aber gar nicht reinlich; auch die Wahl und der Aufsatz der Speisen war abgeschmackt. Die Frau Amtmänninn verlangte ein Glas Wasser; ein Bedienter eilte es ihr zu reichen. Sie bog sich auf einmal so stark zurück, daß sie dem Menschen das Glas aus der Hand stieß. Nun hätten[21] Sie das Spektakel hören sollen, das sie machte. Der arme Kerl hieß nun ein Tölpel und Flegel über den andern. Schert euch nur gleich vom Tisch, ihr dummer Klotz, ihr seyd doch zu nichts zu gebrauchen. Daß Johann statt eurer herauf kömmt. Nun, ihr Schöps, was steht ihr noch? Packt euch, oder ich werde euch das Glas an den Kopf werfen.

Minchen. »Ach liebe Mama, der arme Friedrich konnte ja nichts dafür, daß das Glas hinfiel, Sie waren selbst Schuld daran.«

Amtmänninn. »Schweig, dummes Mädchen, ich werde dich lehren deiner Mutter widersprechen. Augenblicklich geh vom Tisch, und leiste dem niederträchtigen Kerl Gesellschaft.«

Und nun mußte das arme Kind mit einer tüchtigen Ohrfeige zur Thür hinaus wandern. Das ist recht, sprach Lotte, die älteste Tochter, das kleine Mensch ist auch immer so naseweiß,[22] und will alles besser wissen. Karlsheim, ein liebenswürdiger Jüngling, der auch zum Besuch da war, wagte es mit der einnehmendsten feinsten Art von der Welt, der barbarischen Mutter einige Vorstellungen zu Minchens Besten zu thun; aber sie wiedersprach ihm mit einer solchen Art, die ihn auf immer abhielt ihr noch einmal zu widersprechen, wenn sie auch die ungereimtesten Dinge behauptete.

Nach Tische lenkte sie das Gespräch aufs Lesen. Weil diese Unterredung wirklich merkwürdig ist, so will ich sie Ihnen ganz hersetzen.

Fr. Amtm. »Was ist denn jetzt die Hauptlektüre in der Stadt, Herr Karlsheim?«

Karlsheim. »Das kann ich wirklich nicht sagen, Frau Amtmänninn, denn ich bin als ein Neuling noch in der Stadt bekannt. Ich lese jetzo zum zweytenmale den Messias

[23] Fr. Amtm. »Ey, ist denn das ein hübscher Roman?«

Karlsh. (lächelnd) »In der That ein sehr erhabener Roman, von dem erhabensten Gegenstande geschrieben.«

Fr. Amtm. »O so schicken Sie mir es doch, liebster Herr Karlsheim; so wird wohl vermuthlich viel von Prinzen und Prinzessinnen drinn stehen, so etwas lese ich gar zu gerne.«

Lotte. »Aber so müssen Sie mir auch ein Buch mitschicken, damit die Mama nicht allein eins hat. Hören Sie, vergessen Sie es doch ja nicht.«

Karlsh. »Nein, ich werde es gewiß nicht vergessen. Wenn ich nur wüßte, was ich Ihnen schicken sollte. Haben Sie den Wandsbecker Bothen gelesen?«

Fr. Amtm. (laut lachend) »Den hinkenden Bothen? O ja, aber das ist schon lange.«

[24] Karlsh. »Verzeihen Sie, den Wandsbecker Bothen meyne ich, der ist von etwas andrer Art, als der hinkende. Ist Ihnen der Name Asmus mehr bekannt?«

Lotte. »Ach Mama, ich besinne mich drauf, das ist der Mann, der mit seinen Kindern auf der Erde kroch, und blinde Kuh spielte. Es ist zum Todtlachen schnakisch.«

Fräulein B. »Ach ja, zum Lachen für den gemeinen Mann ist er wohl, aber auch zu weiter nichts. Es geht mir, wie den Leuten, die sich an starke Brühen und gewürzte Ragouts gewöhnt haben; denen schmeckt denn kein Milchbrey mehr. Ich überlasse den Wandsbecker Bothen gemeinen Leuten. Für meinen Geist ist er zu simpel.«

Nach diesem Ausspruch, den sie gewiß irgendwo entlehnt hatte, warf sie mit einer zufriednen Miene den Kopf zurück, als hätte sie den Ausspruch der Weisheit gethan. Karlsheim[25] lächelte wieder und schwieg, ohngeachtet sie ihn mit einem Beyfall fordernden Blick ansah. –

Fr. Amtm. »Ach ja, es war nicht viel Rares daran, das erinnere ich mich auch noch wohl. Ich lobe mir dafür die Geschichte des – –«

Lotte. »Ich ja, das ist auch ein herrliches Buch. Es steht so viel vom lieben Mond darinn, und von dem Blümlein »Vergißmein nicht,« daß es einen recht rührt, und das ist so schön, wie Wilhelm sich zu den Füßen seiner Grausamen erstechen will. Es ward mir dabey im Herzen so bange, daß ich über eine Stunde weinte. Der arme Wilhelm! Ich war so begierig auf das Ende, daß ich drüber vergaß in die Küche zu gehen, und da war der Braten ganz verbrannt, und das Gemüse hatte sich an den Topf gehängt. Der Papa keifte so sehr, aber meine Mama[26] sagte, es wäre besser, daß ich ein empfindsames Herz hätte, als wenn ich nach der Küche sähe, sollten auch noch mehr Braten darüber verderben. Papa behauptete zwar, eine gute Mahlzeit sey für einen hungrigen Magen besser, als Empfindsamkeit, aber Mama belehrte ihn eines andery. Ach, Sie glauben gar nicht, wie weichherzig ich bin. Es geht mir so nahe, wenn ich ein Huhn schlachten sehe; ich möchte über das arme Thier weinen.«

Ein alter gebrechlicher Mann unterbrach sie, und bat demüthig um eine kleine Gabe. Ihr fauler Kerl, schrie Lotte, könnt ihr nicht arbeiten? ihr seyd ja noch ganz rüstig. – Ach Mamsell, wenn Sie meine Umstände wüßten, so würden Sie nicht so hart seyn. – Was? ihr habt noch ein loses Maul dazu? Gleich packt euch vom Hofe, oder ich lasse die Hunde auf euch hetzen. – Der alte Mann blickte[27] seufzend gen Himmel, und schlich gebückt an seinem Stabe fort. Während daß Lotte und ihre Mutter sich noch über das unverschämte Lumpenpack ereiferten, gieng Karlsheim unter einem Vorwande hinaus.

Minchen, das gute Kind, war vors Thor gesprungen, um dem Mann heimlich ein Stück Brod zu geben, und erzählte mir nachher, es hätte eine lahme Frau mit zwey Kindern vor dem Thore gesessen; das eine Kind wäre dem Alten entgegen gesprungen, und hätte gefragt, ob er viel Brod mitgebracht habe; der Mann hätte sehr betrübt geantwortet. Darauf sey Karlsheim gekommen, und habe dem Alten einige große Stücke Geld gegeben, und wäre eilig weggegangen. Der alte Mann hätte mit gefaltnen Händen ausgerufen: O Gott! so giebt es doch noch barmherzige Menschen, vergieb mir, Vater, wenn ich eben gegen dich murrte! und darauf wären sie weiter gegangen.[28]

Wir wurden stark genöthigt, den Abend da zu bleiben. Mein Onkel aber, dem es auch sehr da misfiel, lehnte es ab, und wir fuhren weg. Ich wurde, von den Danksagungen der Amtmänninn für meinen angenehmen Besuch ganz betäubt, und von den Liebkosungen der Familie fast erstickt, in den Wagen geführt. Minchen weinte, als ich wegfuhr; auch mir gieng der Abschied von dem kleinen lieben Mädchen nahe. Karlsheim fuhr mit uns zurück. Ich muß gestehen, ich erwartete, daß er nun viele spöttische Anmerkungen über die Familie, die wir verließen, machen würde. Aber, wie wurde ich beschämt, als er gar nichts davon erwähnte, sondern uns auf die angenehmste Art von andern Dingen unterhielt! Er ist ein sehr angenehmer Mensch: schlank gewachsen, blondes Haar, blaue schöne Augen, die etwas Schmachtendes haben, und oft sehr viel sagen, einen allerliebsten Mund, eine[29] griechische Nase und Stirn, eine sanfte, liebliche Sprache: kurz, er würde für jedes Mädchen ein gefährliches Geschöpf seyn, außer für Ihre Sophie, deren unüberwindliches Herz Sie kennen. Beym Abschiede küßte er mir die Hand: ich glaube, es kam von einer Bewegung des Wagens, daß er sie etwas drückte; ich fühlte aber doch, daß ich ein wenig roth wurde. Er bat sich die Erlaubniß aus, sich morgen nach meinem Wohlseyn erkundigen zu dürfen. Mich soll es Wunder nehmen, ob er kömmt; vielleicht vergißt er es wohl. Ich bin vom Schreiben so müde, daß ich Ihnen heute nichts auf Ihren schönen Brief antworten kann. Schlafen Sie recht wohl, liebe Marie. Ewig die Ihrige

Sophie.[30]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 16-31.
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