Sechsundsechzigster Brief

Wildberg an Amalien

[101] Bey meiner Seele, Amalie, Sie sind eine Zauberinn. Sie haben Ihre Rolle meisterhaft gespielt. Fast hätte ich selbst geglaubt, Ihr Erröthen, Ihre Verwirrung, die halbzurückgehaltne Thräne in Ihrem schwarzen Auge bey Albrechts erstem Besuche, wäre Ernst gewesen. Der Kaltblütige wurde auch ganz davon hingerissen. Ich glaube, er hätte gern zu Ihren Füßen Sie um Verzeihung wegen des vermeynten Kummers angefleht, den er Ihnen gemacht zu haben glaubte. Aber es ist nicht genug, daß[101] Sie ihn gefangen haben, Sie müssen jetzt alle Ihre Kräfte anwenden, ihn fest zu halten, und sein Herz gegen Marien zu stählen.

Sie hat ihm einen Brief geschrieben, der fast mich selbst gerührt hätte – wenigstens sah ich daraus, daß es mit dem Briefe von Eduard, den ich fand, ganz anders zusammen hängt, und daß sie an seiner Ankunft unschuldig ist. Doch das will ich Ihnen mündlich erklären; genug, daß mir dieser Brief bey Albrecht treffliche Dienste geleistet hat – dessen Wirkung auf ihn nur Amaliens Liebkosungen vernichten können. Ich suchte vergeblich, den Eindruck ganz zu vertilgen, den er auf Albrecht zu machen schien. Ihre Hülfe ist also durchaus nothwendig, um ihn ferner bey seinem Vorsatz, sich von ihr scheiden zu lassen, zu erhalten.

Es wäre ein verfluchter Streich, wenn er jetzt zurückspränge; ich werde auch alles so beschleunigen, daß der Scheidungsbrief schon übermorgen[102] ausgefertigt seyn wird. Für Geld kann man ja, dem Himmel sey Dank! alles bey unsern Gerichten zwingen, und ich habe auch die Sache glaubwürdig genug vorzutragen gewußt. Wenn es nur erst so weit wäre! Ich brenne vor lauter Ungeduld, uns an Marien gerächt zu sehen.

Ich will es Ihnen nur gestehen, mögen Sie doch spotten! die Liebe zu ihr ist noch nicht erloschen. Sie lodert noch aufs stärkste in meiner Brust, und ich hoffe noch immer ihr Herz zu gewinnen, wenn es nicht mehr an Albrecht gebunden ist. Der Schaafskopf Eduard soll mir nicht im Wege stehen; denn das ist ein Kerl ohne Muth und Stärke, der nichts kann, als winseln. Beym Teufel! eine solche Memme soll es nicht wagen, sich neben Wildberg zu stellen! Wenn sie nur erst geschieden ist, so soll es mir keine Mühe machen, die Schlafmütze aus ihrem Herzen zu vertreiben. Sie ist ohne ihn abgereiset; ich kann auch noch nicht erfahren, wo er[103] seyn mag. Indessen sey er wo er wolle. Mich soll er nicht hindern. Ich habe auch auf der Post Maaßregeln genommen, daß keine Briefe von ihm an sie einlaufen können, die nicht durch meine Hände gehen.

Leben Sie wohl, bis aufs Wiedersehen. Es ist mir höchst fatal, daß ich nicht zu Ihnen kommen darf, wenn ich will. Machen Sie Ihre Sache ja gut.

Wildberg.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 101-104.
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