Einundachtzigster Brief

Barthold an Eduard

[152] Freue Dich mit mir, Eduard, wenn Du kannst. Ich bin auf eine Spur gekommen. Ich halte mich täglich in der Schenke auf, und trinke einen Krug Bier, um etwas nähere Nachricht von den Dieben zu hören. Die Bauern sitzen denn alle um mich her, und hören mit aufgesperrtem Maul und Nase zu, wenn ich von politischen Händeln und dergleichen rede. Es sind hier im Dorfe zwey große Politiker. Der eine davon ist einmal ein Jahr auf einer lateinischen Schule gewesen, hat aber, da sein älterer Bruder starb, wieder zum Pfluge zurückkehren müssen. Dieser spricht denn noch immer gern von gelehrten[152] Sachen, und bedauert den Zufall sehr, der ihn von seiner gelehrten Laufbahn zurück rief; denn er meynt, es würde einmal ein großer Mann aus ihm geworden seyn, wenn er beym Studieren hätte bleiben können. Er weiß denn auch den andern Bauern so viel von Sachen vorzuschwatzen, die er einmal hat nennen hören, und deren Namen er ganz jämmerlich verdreht, daß sie ihn für ein Wunder der Gelehrsamkeit halten.

Der andre ist der Schmidt des Dorfs, der, wie er sagt, weit auf Reisen gewesen ist. – Im Grunde aber bestehen seine ganzen Reisen darinn, daß er in einem Städtchen, zwey Meilen von hier, als Schmiedegeselle gearbeitet hat. – Dieser steht denn auch – sein handfester Körper trägt dazu nicht wenig bey – hier in großem Ansehen. Beyde wollen oft mit dem Schulmeister von hohen Dingen sprechen. Dieser aber fühlt seine Schwäche gegen sie, weil er einmal in einer[153] solchen Streitigkeit über die Farbe vom Schwanz eines Cometen, der sich vor einiger Zeit am Himmel sehen ließ, von den beyden andern besiegt worden ist, und dann die Leibesstärke des Herrn Schmidts lange in seinen Knochen empfunden hat, so daß er ihnen nun immer auf die höflichste Art Recht giebt. Wollen sie durchaus Widerspruch haben, um ihre Stärke in der Widerlegung des Gegners zu zeigen, so schleicht er sich sachte davon, und überläßt die beyden Kämpfer dem Misvergnügen, das sie empfinden, ihre besondern Gaben – das ist der Lieblingsausdruck des ehemaligen lateinischen Schülers – nicht zeigen zu können.

Es ist sehr lustig, diesen gelehrten Streitigkeiten beyzuwohnen, und zu sehen, wie sich diese Leute mit den wichtigsten Mienen von der Welt über Kleinigkeiten zanken, die andern nicht einmal der Rede werth scheinen. Ich vergleiche sie oft mit unsern Gelehrten, die über ein beh und[154] bäh, und oft über noch geringfügigere Sachen ganze Stöße von Streitschriften schreiben, die zu weiter nichts dienen, als dem Verleger Absatz zu verschaffen, wenn nämlich recht grobe persönliche Anzüglichkeiten darinn stehen. Denn leider sind wir Menschen in dem verderbten Geschmack, daß die boshaft aufgedeckten Fehler unsrer Mitbrüder am meisten unsre Aufmerksamkeit reizen. Ist dieß aber nicht der Fall, sondern wird bloß die Ursache des Streits abgehandelt, ohne tückische Nebenanekdoten und Schmähungen, die gar nicht zur Sache gehören, so erregen diese Schriften weiter keine Aufmerksamkeit, und dienen bloß dazu, daß der Krämer Käse hineinwickelt, oder Pfeffertüten daraus macht, wenn sie nicht zu einem noch unedlern Gebrauch angewandt werden.

Doch was gehen Dich und mich und unsre Bauern solche Kämpfe an? Die mögen die Herren Gelehrten unter sich halten, und ich will[155] den Faden meiner Erzählung wiederum anknüpfen.

Meine Bauern sprachen denn also wirklich davon, daß die Diebesbande sich in dem benachbarten Walde aufhalten müsse, und daß man es kaum wagen dürfe, diesen Weg zu passiren. Ich spitzte beyde Ohren und fragte sie, ob sie denn nicht einmal mit vereinter Macht einen Ausfall auf diese Spitzbuben thun wollten?

»Da wären wir gewaltige Narren, versetzten sie, wenn wir uns der Gefahr aussetzten, von diesen Kerlen ermordet zu werden. Das mag die Obrigkeit thun, und die vornehmen reichen Leute, die von ihnen geplündert werden. Uns können sie nichts nehmen, dafür sorgt unser gnädiger Landesherr und unser Herr Amtmann. Die Abgaben, die wir zahlen müssen, die Haasen und andres Wildpret, das unsre Feldfrüchte verdirbt, und das wir doch bey Lebensstrafe nicht erschießen dürfen, machen, daß wir selbst kaum[156] das liebe Leben durchschleppen, geschweige denn, daß wir noch was für Diebe übrig haben sollten. Wir können also ganz unbekümmert bey allen Diebstählen seyn.«

»Das dächte ich doch nicht, meine Freunde; denn wenn Ihr selbst auch nicht bestohlen werden könnt, so suchen doch Eure Gutsherren von Euch den Ersatz desjenigen herauszupressen, was ihnen entwandt wird.«

Die Richtigkeit dieses Satzes wurde durch ein allgemeines Fluchen bewiesen, aber dem ohngeachtet hatten sie doch gar keine Neigung, ihre eigne Haut in Gefahr zu setzen. Ich muß also einen Plan ausdenken, dessen Ausführung ich allein zu übernehmen vermag. Vielleicht giebt diese Nacht mir günstige Träume ein.

Barthold.[157]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 152-158.
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