Achtzigster Brief

Ferdinand an Eduard

[147] Es ist uns gelungen, das Vertrauen des Hauptmanns ganz zu gewinnen. Als er den andern Morgen zurückkam, stellten wir uns ganz mismüthig. Er bemerkte es und fragte mich, was mir fehle?

»Meynen Sie denn – sprach ich – daß es mir gleichgültig seyn kann, bey allen den schönen Unternehmungen, die Sie machen, zu Hause gelassen zu werden? Zeigt das nicht deutlich, daß Sie mich für einen Schaafkopf halten, der zu nichts zu gebrauchen ist? Oder vielleicht glauben Sie, daß ich kein Pulver riechen kann. Und das ist mir sehr empfindlich.«

»Ich bin freylich wohl nicht so beherzt – sprach Feldheim – wie unsre andern tapfern Brüder, und getraue mir nicht, mit der Pistole oder dem Degen in der Hand so gut wie Sie, Herr Hauptmann,[147] zu fechten; aber wenn es auf List und Ränke ankömmt, so bin ich gewiß so gut als einer; denn die habe ich in meiner Kindheit gelernt. Ich kann so sachte auf den Zehen schleichen, daß mich niemand hört, getraue mir auch wohl ganz leise ein festes Schloß aufzubrechen; meiner Mutter Geldschrank hat diese meine Geschicklichkeit wenigstens oft genug erfahren.«

Brand. »Es ist mir lieb, Kinder, daß ihr so viel Muth und Ambition habt. Ich hätte es euch nicht zugetraut.«

Ich. »Zum Teufel, Herr Hauptmann! Sie haben mir keine Courage zugetraut? Das sollte mir beym Henker kein andrer sagen. Ich bin jetzt eben in der Laune, mir einen Gegner zu wünschen; ich wollte wahrhaftig jeden zu Paaren treiben, der sich mir widersetzte!«

Brand. »Verspare deinen Muth, mein Sohn, du sollst bald Gelegenheit finden, ihn zu gebrauchen.[148] Hier in der Nähe liegt ein artiges Gut, auf dem nur ein Alter mit seiner Tochter wohnt. Er hat viel Geld und eine öffentliche Kasse in Händen. Das kann ein reicher Schnitt werden. Ich muß nur noch nähere Kundschaft von dem Dinge einziehen. Bey dieser Unternehmung will ich euch brauchen, wenn ihr versprecht hübsch vorsichtig zu seyn.«

Feldheim. »O wenns auf Vorsicht und leises Wesen ankömmt! Beydes habe ich.«

Brand. »Gut, mein Sohn! Vielleicht brauche ich dich, ins Fenster zu steigen, weil du schmal bist. Aber würde dir nicht bange werden?«

Feldheim. »O! nicht im mindesten. Ich weiß ja, daß ich brave Gehülfen hinter mir habe.«

Brand. »Gut gesprochen, mein Kind! Du hast Recht, wir haben tafere Kerle unter uns, die mit dem Teufel selbst fechten würden. Wißt[149] ihr wohl, daß unsre Bande ihrer Herzhaftigkeit wegen in der ganzen Gegend berühmt ist? Es fürchten sich alle, die von uns gehört haben, uns anzugreifen. Sonst würden wir auch nicht mehr alle beysammen seyn. Man hat aber doch schon starken Argwohn auf uns, und sucht uns durch List nachzustellen; deswegen wollen wir diese Gegend gleich verlassen, wenn wir diesen Coup ausgeführt haben.«

Ich. »Was mich aber anbetrifft, so bitte ich unterthänig, daß Sie mich nicht bloß zum Einsteigen in die Fenster brauchen, sondern daß ich unter die andern Fechter gestellt werde.«

Brand. »Es wird meine Sache seyn, jedem von Euch seinen bestimmten Platz anzuweisen. Aber jetzt wollen wir erst eins saufen. Nicht wahr, Jungen, jetzt seyd ihr doch gern bey uns? Im Anfang saht ihr beyde aus, wie die Ritter von der traurigen Gestalt.«

[150] Ich. »Das hat sich geändert. Ich muß gestehen, daß ich freylich im Anfang so allerley Bedenklichkeiten hatte; aber jetzt sind sie überwunden, und ich wünsche mir in meinem Leben keine bessere Lage, als unsre jetzige ist.«

Brand. »Bravo, mein Sohn! Nun bist du mir noch einmal so lieb. –«

Wir gewannen den Tag sein Vertrauen völlig. Es kam mir sehr sauer an, so gegen meine Ueberzeugung zu sprechen; denn es ist gar nicht meine Sache, mich zu verstellen. Aber mein Wunsch, aus dieser Rotte zu kommen, und den armen Feldheim zu befreyen, ist gar zu lebhaft. Wir wissen nur noch nicht, auf welche Art die Sache am besten anzufangen ist; denn wir dürfen nicht allein mit einander reden, und müssen überhaupt sorgfältig allen Schein eines geheimen Verständnisses vermeiden. Doch ich hoffe, der Himmel wird um des unschuldigen Feldheims willen unser Unternehmen begünstigen. Wäre nur erst[151] der Tag der Ausführung da! Lange kann ich diese verhaßte Rolle nicht mehr spielen.

Ferdinand.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 147-152.
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