Neunundsiebzigster Brief

Ferdinand an Eduard

[142] Endlich ist es mir gelungen, ein paar Worte mit dem unglücklichen Jüngling zu sprechen, der mir, ohne daß ich weiß, wodurch? so vielen Antheil an seinem Schicksal eingeflößt hat.

Brand wollte vergangne Nacht einen Hauptausfall vornehmen, bey dem er nur seine geschicktesten Leute mitnahm. Wir furchtsamen Hasen – so nennt er uns, – die noch kein Pulver riechen können, blieben zurück, nebst noch einigen andern, die er aus besondern Ursachen auch nicht mitnahm. Des Abends wurde stark gezecht. Feldheim trank unter dem Vorwand eines heftigen Kopfwehs gar nicht, und winkte auch mir[142] verstohlen mit den Augen. Dieses wäre nicht einmal nöthig gewesen, um mich vom Trinken zurückzuhalten: denn die Lust zum Weintrinken ist mir vergangen; auch erregt es immer ein äußerst peinliches Gefühl in mir, mit diesen Lotterbuben aus einem Glase zu trinken, und mich von ihnen Bruder nennen zu hören. Im Anfang sah ich mich immer ängstlich um, ob auch jemand unsre Vertraulichkeit sähe.

Die andern also machten sich unsre Mäßigkeit auf eine so vortheilhafte Art zu Nutze, daß sie, von der doppelten Portion benebelt, bald auf die Bank taumelten und laut schnarchend schliefen. Sobald Feldheim dieses merkte, kam er näher zu mir.

»Mich dünkt, sagte er, ich sehe an Ihnen beständig so deutliche Zeichen eines geheimen Verdrusses, daß ich glaube, Sie sind eben so ungern in der Gesellschaft dieses Auswurfs der Menschheit als ich. Ich bin von gutem Hause.[143] Allerley Umstände, deren Erzählung jetzt zu weitläuftig seyn würde, brachten mich zu dem Entschlusse, mein väterliches Haus zu verlassen. Ich wurde nebst meinem Gefährten von Brand und einigen andern im Walde angehalten. Mein Gesellschafter wurde ermordet. Voller Angst flehte ich um mein Leben; meine Jugend schien Eindruck auf sie zu machen.«

»Den Burschen könnten wir brauchen, sprach Brand: er ist schmächtig, und würde gut zum Einsteigen durch schmale Löcher zu brauchen seyn. Höre, junger Mensch, willst du uns folgen, und dich zur Treue verpflichten, so sollst du es recht gut bey uns haben. Willst du aber nicht, so mußt du sterben, wie dein Gefährte.«

»Die Liebe zum Leben überwand meinen Abscheu gegen diese Mörder. Ich folgte ihnen, aber nur um so lange bey ihnen zu bleiben, bis sich mir eine Gelegenheit zur Flucht zeigte. Vier Tage nach meiner Aufnahme kamen Sie[144] zu uns. Bey Ihrem Anblick belebte mich eine gewisse süße Hoffnung, die mich auch noch nicht verlassen hat. Wollen wir uns verbinden, einander zu retten, so bald wir können?«

»Ich bin es gern zufrieden; denn diese niedrige Lebensart ist mir verhaßt.«

»Aber wollen Sie mir auch versprechen, mich nach meines Vaters Hause zu bringen? Wie mag der gute Alte wegen meines Schicksals in Sorgen seyn! Ich bin sein einziges Kind, und er hat mir gewiß meinen Fehler vergeben, und seufzt nach meiner Zurückkunft. Sie sind alter und beherzter als ich, deswegen wäre mir Ihre Begleitung lieb; denn ich getraue mir kaum, die Reise allein zu machen.«

Ich versprach dieß; denn, wie gesagt, ich liebe Feldheim sehr, und es ist ja gleichviel, wohin mich mein Schicksal führt. Wir versuchten, ob es nicht möglich wäre, jetzt gleich zu entkommen, aber Brand hatte sorgfältig alle Ausgänge[145] verschlossen, und wir durften keinen Lärm machen, damit unsre Kameraden unsern Vorsatz nicht merkten. Wir verabredeten also, uns heiter zu stellen, und zu thun, als wären wir begierig, auch bey einem Diebstahl gebraucht zu werden; alsdann wollten wir zu entfliehen suchen. Wollte der Himmel, unser Vorsatz wäre schon ausgeführt! Mein Leben wird mir hier zur Quaal, und der Gedanke an meinen armen Vater martert mich unaufhörlich. O daß ich so muthwillig das Glück meines Lebens zerstörte! denn zerstört ist es auf immer. Wenn ich auch aus dieser höllischen Bande entrinne, so ist doch das Trommelfell mein höchstes Ziel. Einer andern Bestimmung habe ich mich unwerth gemacht.

Ferdinand.[146]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 142-147.
Lizenz:
Kategorien: