Achtundsiebzigster Brief

Eduard an Barthold

[140] Da Dich das Schicksal des armen Henrichs so sehr zu beunruhigen scheint, so wird Dich die Nachricht erfreuen, daß er nicht mehr bey mir ist. Seine Seele war freylich nicht für feine Gefühle geschaffen, und ich merkte wohl, daß ihm die Art, wie wir unser Leben führten, nicht recht anstand. Der Prediger hatte sich auch nach ihm erkundigt, und ließ ihn zu sich holen, als er seinen Aufenthalt erfuhr. Er redete ihm seinen Kummer aus dem Herzen, verschaffte ihm eine andre Stelle, und wahrscheinlich wird er bald auch eine andre Frau wählen. Er war so gutherzig, Theil an meinem Kummer zu nehmen, und kam zu mir, um auch mich zu bekehren. Seine treuherzigen Reden rührten mich. Ich versicherte ihn aber, daß unsre Lage und Empfindungen gar zu verschieden wären, als daß[140] sein Trost bey mir recht wirksam seyn könnte. Ich billigte seinen Entschluß, – denn freylich der wäre ein Thor, der dem Kummer nachhängen wollte, wenn sein Herz freudiger Empfindungen fähig ist, – und gab ihm eine kleine Summe zur Unterstützung seiner neuangefangnen Haushaltung.

Auch ich bin nicht mehr der trostlose Eduard, der ich war. Eine süße Hoffnung hat mein Herz erfüllt. Ich habe an Marien geschrieben. Mit klopfendem Herzen sehe ich der Antwort des Engels entgegen. Wenn ich einen Menschen gehen höre, so springe ich ans Fenster, und denke, er kömmt von ihr, und mismüthig kehre ich um, wenn ich nur einen langsam schleichenden Bauer sehe. Aber was höre ich! Man nennt meinen Namen, man fragt nach mir? Glücklicher Eduard! ein Brief von Marien?

Barthold! ich bin verloren. Sie darf, sie kann nicht die Meinige werden. O Gott! so sollen[141] die übrigen Tage meines Lebens öd und in schrecklicher Einsamkeit dahin schleichen? Elender, unglücklicher Eduard!

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 140-142.
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