Dreyundachtzigster Brief

Eduard an Barthold

[190] Deine edelmüthige Freundschaft rührt mich, und erweckt die dankbarsten Empfindungen gegen Dich in meinem Herzen, aber mehr kann sie nicht bey mir hervorbringen. Ich werde Marien hier nicht besitzen. Sie selbst hat diese Hoffnung auf immer vernichtet, und kein Wunsch nach ihrem Besitze bleibt mir mehr erlaubt. Aber dem ohngeachtet bin ich noch ganz der Ihrige. Ich liebe sie nicht mehr wie eine Sterbliche, ich verehre, ich bete sie an! Sie scheint mir nicht mehr ein menschliches Geschöpf voll Mängel und Schwachheit zu seyn, sondern eine Verklärte des Himmels. Ihr himmlischer, sanfter Geist ist auch über mich gekommen. Mein wüthender Schmerz ist gedämpft, und stille Wehmuth ist an seine Stelle getreten. Oft zwar überfällt er mich aufs neue, aber ein Gedanke an den Engel,[190] ein Blick auf ihren trefflichen Brief, den Abdruck ihrer schönen Seele, – und meine Wuth schmelzt in sanfte Thränen.

O du Engel des Himmels! warum mußtest du hier ein so trauriges Schicksal erdulden? Gewiß ließ es die weise Vorsehung zu, um durch dich ein Beyspiel des Heldenmuths im Leiden deinen Brüdern zur Stärkung zu geben! Theuerste Geliebte! ich will deinem großen Vorbilde folgen, will mich demüthig dem Willen des Himmels unterwerfen, und mit dir auf jene Welt mich freuen, die ewig uns vereinigen soll!

Und nun noch eine Bitte an Dich, lieber Barthold! Dringe nicht mehr Karolinens wegen in mich. Ich schätze ihre Verdienste, aber mein Herz kann ich ihr nie geben. Es soll ein reiner Tempel bleiben, in welchem meine Marie wohnt, und alle seine Wünsche und Begierden sollen nur ihr gewidmet seyn. Ich fühle, daß mit ihrem Leben auch das meinige zerreißen wird.[191] Ihr himmlischer Geist wird bald in eine Welt übergehen, die ihrer würdiger ist als diese, und dann werden meine Gebete zu Gott dringen, daß er auch mich von der Bürde des Körpers befreyen, und meinen Geist mit dem ihrigen zugleich hinnehmen möge!

Da, Freund! Ich habe Dir ihren Brief abgeschrieben. Diese Abschrift sey das letzte Denkmal, das ich Dir hinterlasse. Das Original soll mit mir in die Gruft gelegt werden, und mit meinem Herzen zugleich vermodern. Wehe Dir, wenn Du diese theuren Züge liesest, ohne der Dulderinn eine Thräne zu weihen, und wenn Du dann noch fähig bist, mir eine Zeile von einer andern Geliebten zu schreiben!

Eduard.[192]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 190-193.
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