Vierundachtzigster Brief

Barthold an Eduard

[193] Nein, Freund! ich werde nicht mehr in Dich dringen. Ich fühle mit Ueberzeugung, daß Du nach Marien keine andre mehr lieben kannst. Ihr Brief hat mich durchdrungen. Ich saß in stummen Tiefsinn versenkt und von Bewundrung erfüllt. Indem trat Karoline herein.

»Was macht Sie denn so tiefsinnig? Sie scheinen ja sehr gerührt zu seyn.«

»O Mademoiselle, Sie würden es auch seyn, wenn Sie diesen Brief läsen.«

»Darf ich es nicht?« sagte sie mit einer gewissen Beängstigung, als ahndete sie, wen er beträfe. Ich hielt es für einen glücklichen Zeitpunkt, sie zu heilen, und alle Hoffnung zu zernichten, die sie vielleicht noch haben könnte. –

»Er betrifft meinen Freund Eduard, der so glücklich war, einige Jahre bey Ihnen zuzubringen.[193] – Sie erröthen, meine Theure? Sie brauchen sich der Empfindungen nicht zu schämen, die diese Röthe bey Ihnen hervorbringen. Eduard war ein liebenswürdiger Jüngling, werth des Antheils einer schönen gefühlvollen Seele, wie die Ihrige ist. – Ich küßte ihre Hand und führte sie zu einem Stuhl. – Glauben Sie sicher, daß er immer mit der feinsten Achtung von Ihnen schrieb, und daß ihm seine Treue gegen Marien manchen Kampf kostete.«

»Seine Treue ist mir immer ehrwürdig gewesen. Ich schäme mich des Eindrucks nicht, den er auf mein unerfahrnes Herz machte; aber ich bin weit davon entfernt, zu wünschen, daß er um mich seine Erstgeliebte möchte vergessen haben. Er würde mir sogar verächtlich gewesen seyn, wenn er es gekonnt hätte. Aber sagen Sie mir: war seine Geliebte so treu als er?«[194]

Ich erzählte ihr Deine Geschichte, und viele Thränen flossen über Dein Schicksal. Ich zeigte ihr Deine letzten Briefe und den von Marien.

»O Gott! – rief sie aus – welch eine Seele voll Größe und Edelmuth! Warum mußte sie von dem Jünglinge getrennt werden, der ihrer so werth war? Nein, ich würde Eduard hassen, wenn er nach ihr noch eine andre lieben könnte. Ich werde mich nun weit leichter über seinen Verlust beruhigen, da ich die selige erhabne Fassung Mariens zum Vorbilde habe.«

Ihr Onkel trat herein, und unterbrach sie.

»Nun was giebts? Ist ein neues Unglück geschehen? Ihr seht ja beyde so weinerlich aus.«

Karolinens feines Gefühl würde zu sehr bey einer nochmaligen Erzählung gelitten haben. Sie gieng also hinaus, und ich sagte ihm die Ursache unsrer Rührung. Er sah die Geschichte mit andern Augen an als wir, und sagte mir vieles, das ich nicht wiederlegen konnte, mit dessen Wiederholung[195] ich Dich aber nicht quälen will, weil ich glaube, daß solche Reflexionen doch fruchtlos bey Dir bleiben würden. – Er sprach aber doch noch mit vieler Liebe von Dir, und bedauerte, daß die schönen Anlagen, die Du – doch wozu diese Wiederholung?

»Die Stelle, fuhr er fort, die ich ihm antrug, ist noch offen. Ich wünschte sie von einem Mann bekleidet zu sehen, der fähig genug wäre, ihr gut vorzustehen. Sie haben mir eine vortheilhafte Meynung von Ihrem moralischen Werth beygebracht. Wollten Sie mir wohl durch ein kleines Examen Gelegenheit geben, Ihre wissenschaftlichen Kenntnisse zu prüfen?«

Ich dankte ihm gerührt von seiner Güte, und er prüfte mich mit so vielem Scharfsinn, daß ich erstaunte. Er war so gütig, mir seinen Beyfall zu geben, und fragte mich, ob ich wohl in der Verfassung zu seyn glaubte, die Stelle künftige Woche antreten zu können?[196]

Eine Versorgung hat mir also der gütige Himmel angewiesen, früher als ich zu hoffen wagte; aber, Freund, ich habe noch andre lebhafte Wünsche, deren Erfüllung mir mehr, als Ehre und Reichthum, am Herzen liegt! Doch ich vergesse ja unsern Ferdinand und Wilhelminen.

Die beyden Väter kamen den Tag nach unsrer Ankunft fast zu gleicher Zeit an. Der geheimde Rath hatte die jungen Leute zu entfernen gewußt. Ich war unter einem Vorwand zu Hause geblieben, und war in einem Nebenzimmer, in welchem ich unbemerkt alles sehen und hören konnte. Beyde Alten waren sehr bekümmert. Der geheimde Rath leitete zuerst das Gespräch auf Wilhelminen. Ihr Vater war noch unwillig auf sie. Sein trefflicher Bruder bemühte sich aber durch allerley Vorstellungen sein Herz wieder zu zärtlichen Vatergefühlen für sie zu stimmen, und als er merkte, daß seine Bemühung gelang, wußte er ihm auch so sanfte treffende Vorwürfe über seine[197] zu große Härte, und über die Sucht nach Reichthum, die ihn alle schlechte Eigenschaften des Herrn D. übersehen ließ, zu machen, daß er höchst gerührt mit Thränen das Gelübde that, seine Tochter nie wieder zu einer Heyrath zu zwingen, wenn er so glücklich seyn sollte, sie jemals wieder zu sehen. Er fürchtete aber, daß dieses Glück ihm nicht mehr aufbehalten wäre.

Seine Klagen machten, daß auch Ferdinands Vater den verlornen Sohn beweinte, und nun, da beyde in rührende Klagen ausbrachen, führte sie der geheimde Rath ins Speisezimmer, und beyde erblickten ihre Kinder, die, von Freude und Schrecken durch drungen, sich zu ihren Füßen warfen. Die rührende Scene, welche nun folgte, ist unbeschreiblich.

Unser Ferdinand ist durch Wilhelminens Umgang ganz umgeschaffen. Sein rauhes Wesen hat sich verloren; seine Sitten sind sanfter und milder geworden, und er ist jetzt ein liebenswürdiger[198] Jüngling. Aus seinem Betragen blickt die heftigste Liebe hervor; auch bey ihr ist der Eindruck nicht zu verkennen, den er auf ihr Herz gemacht hat. Ihre gegenseitige Neigung wurde beyden Eltern merklich. Sie waren vertraute Freunde. Ferdinand war reich – ein großer Beweggrund bey Wilhelminens Vater – Wilhelmine hat zwar nur mittelmäßiges Vermögen, aber der alte Sudsberg hielt den Reichthum für die unwesentlichste Eigenschaft bey seiner künftigen Schwiegertochter. Die unentbehrlicheren zum Glück seines Sohnes glaubte er bey ihr zu finden. Dieses alles waren Bewegungsgründe genug auf beyden Seiten, um die Väter ebenfalls eine Verbindung ihrer Kinder wünschen zu lassen. Aber unser würdiger geheimder Rath, weiser und durchschauender, als beyde, that jetzt den Ausspruch:

»Ferdinand hat in seinem bisherigen Betragen nur den jungen Unbesonnenen – ich wähle[199] den gelindesten Ausdruck – sehen lassen. Er muß erst durch edlere Thaten zeigen, daß er fähig ist ein guter Ehemann und ein nützlicher Bürger des Staats zu seyn, ehe er auf Wilhelminen Ansprüche machen kann. Wir wollen ihm zwey Probejahre setzen, die er in ** zubringen soll. Ist, während dieser Zeit, seine Aufführung untadelhaft, und sein Fleiß so groß, daß er das Versäumte einbringt, und alle die Kenntnisse erwirbt, die von ihm gefordert werden können; tilgt er ferner durch schöne Handlungen den Schandfleck aus, den er auf sich gebracht hat: so kann, nach Verlauf dieser Zeit, die Gründlichkeit seiner Ansprüche auf Wilhelminen von ihr selbst und ihrem Vater bestimmt werden. Auch werde ich dafür sorgen, ihm eine anständige Bedienung zu verschaffen, wenn er meinen Wünschen ganz Genüge leistet. Aber ich werde ein strenger Richter seyn, sowohl in der Untersuchung seiner Aufführung, als in der[200] Prüfung seiner Kenntnisse. Ist die erste nur im mindesten zweydeutig, und die letzten mangelhaft: so ist Wilhelmine für ihn verloren. Finden Sie diesen Ausspruch zu hart?«

»O wie könnte ich Ihre weise Güte zu hart finden? Ich fühle, daß ich mich der Liebe Wilhelminens und meines Vaters, nebst der Achtung der Rechtschaffnen, unwerth gemacht habe; aber alle meine Kräfte sollen künftig nur dahin gehen, meine Fehler wieder gut zu machen. Ich müßte kein menschliches Gefühl haben, wenn ich je wieder vom guten Wege abfallen könnte, wenn nicht diese Güte, und die Verzeihung meines Vaters, meine ganze Seele durchdränge. Ob nach Verlauf der angesetzten Zeit das höchste Glück in Wilhelminens Armen mir blühen wird, das mögen Sie, Theuerste, selbst bestimmen.«

Wilhelminens Blicke bestimmten dieses so ziemlich deutlich, und nun herrschte die Freude[201] auf allen Gesichtern; nur auf Karolinens Stirn stand noch eine Wolke, und auch in meinem Herzen ist noch so ein gewisses Etwas, welches mir den ganz unbefangnen Genuß der Freude untersagt.

Barthold.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 193-202.
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