Fünfundachtzigster Brief

Amalie an Wildberg

[202] Rathen Sie mir, Wildberg. Ich weiß gar nicht, was ich mit Albrecht anfangen soll. Er ist seit einiger Zeit so tiefsinnig, daß er oft halbe Stunden bey mir sitzen kann, ohne ein Wort zu sprechen. Dann sieht er auf eine Stelle, und ist blind und taub bey allem, was vorgeht. Ich fürchte, es kommen ihm allerley Erinnerungen von Marien, die ihn so tiefsinnig machen. Wenn es mir nicht bald gelingt, ihn von seinen Grillen zu befreyen, so verzweifle ich fast, daß mein Plan, ihn zu heyrathen, durchgehen wird.[202] Ich bin es auch beynahe müde, mich in seiner Gesellschaft zu ennuyiren, und so genirt zu leben, wie ich jetzt thun muß.

Ich habe einen allerliebsten jungen Engländer, der sterblich in mich verliebt ist, mit dem ich aber sehr heimlich verfahren muß, damit Albrecht nichts merkt. Neulich traf er ihn in meinem Zimmer an. Er machte gewaltig große Augen, und ich war auch etwas verlegen, so daß mein junger Liebhaber es merkte und fortgieng. Nun hatte ich tausend Fragen von Albrecht auszustehen, und es kostete mir viel Mühe, ihn zu beruhigen. Dieses gelang mir nun zwar völlig, aber – ein weit größerer Kummer für mich – die Zeit verstrich, in der Sir Bredon mich zu besuchen pflegt, und er kam nicht, ließ sich auch den ganzen andern Tag nicht sehen. Ich schickte unter dem Vorwand, ein Buch holen zu lassen, zu ihm, und da mußte denn mein verschmitztes Mädchen ihm so ganz von ohngefähr erzählen,[203] daß ich sehr unpaß wäre. Bey dieser Nachricht ist er lebhaft erschrocken, und kurz nachher trieb ihn seine ängstliche Besorgniß für mich her.

Ich empfieng ihn mit einem zärtlichen Vorwurf über sein langes Ausbleiben, und der junge Herr erwiederte: ich hätte gestern bey der Ankunft des fremden Herrn so verlegen geschienen, und dieser hätte sich bey seinem Anblicke so sonderbar genommen, daß er gefürchtet hätte, mich zu belästigen, wenn er so bald wiederkäme.

Ich wußte denn meinem Bredon recht gut zu demonstriren, daß der fremde Herr ein Grobian wäre, dessen Besuche ich, meines Widerwillens ohngeachtet, doch besondrer Connexionen wegen dulden müßte, daß dieser Tropf es für ein Verbrechen hielte, mit einem jungen Menschen zu reden, daß die Furcht vor seiner trocknen Moral mich etwas verlegen gemacht hätte, und daß ich auch unsers Umgangs wegen vieles erdulden müssen.[204]

Dieses alles stellte ich ihm auf eine so einleuchtende Weise vor, daß seine Zärtlichkeit noch stärker angefacht wurde; und er belohnte mich mit einer reichen Uhr für den Kummer, welchen er mir gemacht zu haben glaubte.

Sie sehen, Wildberg, daß dieser Liebhaber nicht zu verachten ist. Wenn also Albrecht nicht bald fortmacht, so werde ich alle meine Segel nach diesem Liebhaber ausspannen, um ihn in ein festes Garn zu knüpfen. Ich will aber doch erst Ihren Rath erwarten. Antworten Sie also aufs schleunigste

Ihrer

Amalie.


N. S. Als ich diesen Brief nach Ihrem Hause schicke, erhalte ich die Antwort, daß Herr Wildberg verreist wäre. Und davon weiß ich kein Wort? Was gilts, Sie sind auf einem Ritterzuge nach Ihrer Prinzessinn. Ich hoffe doch[205] aber, daß Sie den Abend wieder hier seyn werden, und will alsdann nochmals fragen lassen.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 202-206.
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