Sechsundachtzigster Brief

Wildberg an Amalien

[206] Ihre Vermuthung war gegründet, Amalie. Ich bin auf einer verliebten Reise gewesen, habe aber leider! nicht viel Trost erlangt. Es war mir unmöglich, länger zu leben, ohne Marien zu sehen, oder Nachricht von ihr zu haben; auch fürchtete ich, daß vielleicht mein Nebenbuhler seine Zeit bey ihr besser nutzen möchte, und Eifersucht und Liebe trieben mich nach ihrem Dorfe. Ich eilte ins Pfarrhaus; denn ich mochte mich nicht melden lassen, weil ich eine abschlägige Antwort befürchtete. Ich öffne ein Zimmer, in welchem ich reden hörte, und welch ein Anblick! Marie, oder vielmehr eine blasse abgehärmte Gestalt, mehr einem Geist ähnlich als ihr, einst[206] der größten Schönheit unsrer Stadt! saß auf einem Stuhl, lauter kleine Mädchen mit Arbeitszeug um sie herum. Eins davon ließ sie auf ihrem Schooß lesen; ein andres stand neben ihr, begierig wartend, bis die Gespielinn fertig wäre.

Ich kann Ihnen meine Empfindung, mit welcher ich dieses alles ansah, nicht beschreiben. Vielleicht würden Sie auch nur darüber spotten. Genug, ich hatte noch nie eine so starke Erschütterung gefühlt. Sie blickte von ihrem Geschäfte auf, welches sie anfangs mich wahrzunehmen gehindert hatte, sah mich, stieß einen lauten Schrey aus, und nun stürzte eine alte Frau nebst Sophien herein. Sie zeigte nach der Thür, und die Alte führte sie hinaus; denn sie vermochte nicht allein zu gehen. Die Kinder weinten, und Sophie sagte sehr ernsthaft zu mir:

»Mich wundert, Herr Wildberg, wie Sie sich erdreisten können, meiner Frundinn unter die Augen zu treten. Ihr Anblick müßte jetzt[207] auch den ärgsten Bösewicht erschüttern, und ihn abhalten, die wenigen Tage ihres Lebens nicht noch mehr zu trüben. Haben Sie noch einen kleinen Ueberrest menschlicher Gefühle, so verlassen Sie das Haus, und entweihen diese Freystatt der leidenden Tugend nie wieder durch Ihre Gegenwart!«

»Mademoiselle, sagte ich wüthend, Sie wissen nicht –«

»Mein Herr! Ihre Drohungen oder Schimpfreden, kurz, alles, was Sie mir sagen können, ist mir gleichgültig, und ich will Ihnen die Gelegenheit ersparen, Ihre Galle an mir auszuschütten.«

Mit diesen Worten gieng sie hinaus, und ließ mich in keiner rühmlichen Verfassung da stehen. Ich machte mich fort, als ich sah, daß ich nichts ausrichten konnte, voller Aerger, daß ich gekommen war. Ich kann nicht läugnen, daß Mariens elender Anblick allerley Empfindungen[208] in mir erregte, aber den Nachrichten von ihrem nahen Tode messe ich keinen Glauben bey. Frauenzimmer sterben nicht von Kummer. Sie wird ihre Gesundheit und ihr Ansehen hier auf dem Lande wieder erlangen, wenn erst ihr heftiger Schmerz vorüber ist. Bis dahin will ich mich gedulden, und dann die Sache schon anders einlenken; denn mein muß sie werden, es gehe wie es wolle. Ich liebe sie bis zur Raserey!

Seyn Sie Albrechts wegen nur unbesorgt. Er wird nicht umkehren, dafür lassen Sie mich nur sorgen. Verdoppeln Sie nur Ihre Zärtlichkeit gegen ihn, oder spielen Sie auch einmal die Spröde. Sie kennen ja seine Schwäche besser als ich. Ihr Projekt mit dem Engländer taugt nichts. Als Liebhaber können Sie ihn immer behalten, wenn Sie es heimlich genug zu treiben wissen. Aber denken Sie ja nicht daran, daß er Sie jemals heyrathen wird. Und als Maitresse würde er Ihrer bald satt werden, denn solche[209] junge Flüchtlinge lieben die Veränderung. Bey Albrecht gehen Sie weit sichrer. Ich habe das Vertrauen zu Ihrer mir bekannten Klugheit, daß Sie seine Grillen zerstreuen werden, sobald Sie nur wollen, und daß ich alles wieder im besten Zustand finden werde. Es wird Ihnen auch, falls es nöthig seyn sollte, aus allen Kräften darinn beystehen

Ihr

ergebenster

Wildberg.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 206-210.
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