Der Gouverneur

Auf einer Forscherfahrt im Ocean

Fand ich ein Inselchen, so leer und öde,

Als hätte jüngst das Schwert des Tamerlan

Den letzten Keim gebrochen, hart und schnöde,

Die Pest gezogen ihre Beulenbahn,

Daß wenig Menschen blieben, blaß und blöde.

Doch funkelten auch hier die stolzen Sterne,

Und Well' und Wolken spielten in die Ferne.


Kein Pflug, ernährend, riß die Ackerkrume,

Kein Jäger sang, am Hut die Feder keck.

Spärlich wuchs Gras und Moos und Hundeblume,

Zwergobst verkroch in's Blatt sich, grün vor Schreck.

Ein Städtchen lag, verlassen im Wehtume,

Am ganz verschlammten Hafen im Versteck.

Doch leuchteten auch hier die stolzen Sterne:

Beamte gab es hoch und Subalterne.


Voran geht immer der Herr Bürgermeister,

Er litt am Stein, war grämlich, matt und mager.

Es folgt der Richter, ein weit hergereister

Und sehr gerechter Mann, auch etwas hager.

Der Arzt, des wack'ren Todes Hilfeleister,

War lange schon des Apothekers Schwager.

Der Herr Empfänger für direkte Steuern

Fuhr vierteljährlich ein in weite Scheuern.
[1]

Der Zöllner spielte täglich seinen Skat

Acht Stunden mit den beiden Herrn Pastoren.

Wie Dornenröschen schlief der Advokat,

Kein Kundenprinz hat je sich hinverloren.

Im Sitzungssaale gähnt der hohe Rath,

Die Boten schnarchen auf den Korridoren.

Es drückt der Gouverneur, die Leuenkatze,

Auf all' die Mäuschen seine schwere Tatze.


Doch nein, das that er nicht. Im Gegentheil,

Er war ein milder und humaner Herr.

Ihm folgten Männer ohne Schwert und Beil.

Umdrängten ihn mit Hin- und Hergezerr

Die guten Leute, riefen alle Heil!

Heil! auch die Kinder mitt' im Schulgeplärr.

Von Yvetot der König, Bumm und Tusch!

Parademarsch, es nickt der Federbusch.


Es hatte auch das Städtchen Garnison,

An jedem Mittwoch war Parolausgabe.

Dann zog die Wache auf vom Bataillon

Mit Tschingdada, Dienstmädchen, Schusterknabe.

»Die Herrn Offiziere!« rief mit Donnerton

Der Gouverneur, umringt von seinem Stabe.

Ihm waren kommandiert zwei Adjutanten,

Die beid' auf ihre Stiefel viel verwandten.


Warum er hier, das konnte Keiner sagen.

Er lebte nun seit vierzig Jahren schon,

Im Sommer heiß, im Winter hoch den Kragen,

Auf diesem allerliebsten kleinen Thron.

Die einen sprachen, daß in frühern Tagen

Ihn sehr gekannt Herr Levy Nathansohn.

Die andern meinten, daß vielleicht Madame ...

Wie heißt das alte Wort? ... Cherchez la femme!
[2]

In einer Sommernacht im alten Garten.

Des Königs stand ein junger Offizier.

Es schlug die Nachtigall, die Frösche quarrten,

Der Mond beschien am Schloß den Grenadier.

Auf Muschelwegen, harten, leise knarrten

Zwei Stiefelchen ... Pst ... Liebster ... bist du hier ...

Der Offizier zog selig in den Arm

Des Königs Töchterlein ... daß Gott erbarm!


Denn gräßlich, gräßlich endet der Roman:

Es schlich, huhu! im Garten ein Lakai,

Der Schlingel hatte, bei Sankt Kilian!

Entlassen eben selbst erst seine Fei.

Der sah das Paar. Anzeige. Wutorkan –

Und ach, wie schnell entschwand des Lebens Mai.

Der König schrie: »Fort in mein fernstes Land,

Vom Hofe bist auf ewig du verbannt!«


Als ihn nun fror im kalten Aechtungsschatten,

Packt ihn zuerst ein wütend Heimatweh.

Es kam der Fluchtversuch ihm schlecht zu statten,

Als er dem Eiland sagen wollt' Ade.

Seit jener Zeit durchkreuzten zwei Fregatten

Vor seinem Felsenschlosse stets die See.

Bis ihn begnadet spät ein Königswort,

Dann wollt' er nicht mehr von der Insel fort.


So traf ich ihn. Sein Bart war lang und weiß,

Sein Wuchs der eines wuchtigen Athleten.

Für Alles interessierte sich der Greis,

Besonders auch für unsere Poeten.

Ich sah ihn manch modernes Dichterreis,

Oft vielgelesen, arg zusammentreten.

Sehr artig sprach er von Elise Polko,

Es reimt darauf der Rittername Bolko.
[3]

Sein Haus führt eine Wittwe, jung und schlank,

Mit einem Stumpfnäschen wie der Kirgise,

Die braunen Augen schmachteten wie krank

Nach Liebe, Lieb' auf stiller Waldeswiese.

Hier, leider, gab es keine, und so sank

Im Zimmer ich zu Füßen meiner Lise,

Das Gastrecht schlecht vergeltend; doch »was kann

Für die Gefühle« wohl der Biedermann.


Des Alten Leben ging wie nach der Schnur.

Am Posttag unterschrieb er Amtsberichte,

Schlag elf Uhr kam der Adjutant du jour,

Punkt sieben aß er drei bis vier Gerichte,

Durchflog alltags die neuste Litteratur,

Und schrieb Sonntags von neun bis zehn Gedichte.

Ich fand, im Waschtisch, sie, zerstreute Zettel,

Und las beim Grogk, ich trink ihn gern, den Bettel:

Quelle:
Detlev von Liliencron: Adjudantenritte und andere Gedichte, Leipzig 1883, S. 1-4.
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