Heidebilder

[39] Tiefeinsamkeit spannt weit die schönen Flügel,

Weit über stille Felder aus.

Wie ferne Küsten grenzen graue Hügel,

Sie schützen vor dem Menschengraus.


Im Frühling rauscht in mitternächtiger Stunde

Die Wildgans hoch in raschem Flug.

Das alte Gaukelspiel: in weiter Runde

Hör' ich Gesang im Wolkenzug.


Verschlafen sinkt der Mond in schwarze Gründe,

Beglänzt noch einmal Schilf und Rohr.

Gelangweilt ob so mancher holden Sünde,

Verläßt er Garten, Wald und Moor.
[39]

Die Mittagsonne brütet auf der Heide,

Im Süden droht ein schwarzer Ring.

Verdurstet hängt das magere Getreide,

Behaglich treibt der Schmetterling.


Ermattet ruhn der Hirt und seine Schafe,

Die Ente träumt im Binsenkraut,

Die Ringelnatter sonnt in trägem Schlafe

Unregbar ihre Tigerhaut.


Im Zickzack zuckt ein Blitz, und Wasserfluten

Entstürzen gierig feuchtem Zelt.

Es jauchzt der Sturm und peitscht mit seinen Ruten

Erlösend meine Heidewelt.


In Herbstestagen bricht mit starkem Flügel

Der Reiher durch den Nebelduft.

Wie still es ist, kaum hör' ich um den Hügel

Noch einen Laut in weiter Luft.


Auf eines Birkenstämmchens schwanker Krone

Ruht sich ein Wanderfalke aus.

Doch schläft er nicht, von seinem leichten Throne

Aeugt er durchdringend scharf hinaus.


Der alte Bauer mit verhaltnem Schritte

Schleicht neben seinem Wagen Torf.

Und holpernd, stolpernd schleppt mit lahmem Tritte

Der alte Schimmel ihn in's Dorf.


Die Sonne leiht dem Schnee das Prachtgeschmeide,

Doch ach! wie kurz ist Schein und Licht.

Ein Nebel tropft, und traurig zieht im Leide

Die Landschaft ihren Schleier dicht.
[40]

Ein Häslein nur fühlt noch des Lebens Wärme,

Am Weidenstumpfe hockt es bang.

Doch kreischen hungrig schon die Rabenschwärme

Und hacken auf den sichern Fang.


Bis auf den schwarzen Schlammgrund sind gefroren

Die Wasserlöcher und der See.

Zuweilen geht ein Wimmern, wie verloren,

Dann stirbt im toten Wald ein Reh.


Tiefeinsamkeit, es schlingt um deine Pforte

Die Erika das rote Band.

Von Menschen leer, was braucht es noch der Worte,

Sei mir gegrüßt du stilles Land.

Quelle:
Detlev von Liliencron: Adjudantenritte und andere Gedichte, Leipzig 1883, S. 39-41.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon