Sursum corda?

[97] Was hemmst du, o Held, den Lauf deines Hengstes.

An den Sattelgurten rinnt ihm der Schweiß,

Sein Hals ist naß, die Flanken fliegen.

Aufs Kreuz ihm stützt du die Hand,

Und schaust zurück.

Die Feinde folgten dir wie die Wölfe dem Schlitten,

Schon sind sie nahe.

Was schaust du nach vorn,

Die Feinde kommen wie die Welle der Springflut,

Schon sind sie nah'.[97]

Was schaust du nach allen Seiten hin,

Die Feinde blies der Wind aus allen Richtungen auf dich,

Schon sind sie nahe mit funkelnden Augen,

Siehst auf der Aegis du Gorgos schreckliches Haupt –

Und kein Ausweg.

Hörst du sie heulen, hörst du das Donnern der Hufe?

Und eh' einmal der gierige Geier über dir

Den trägen Flügel schlägt,

Haben dich tausend Pfeile durchbohrt,

Haben tausend Speere dein Herz zerstoßen.

Sursum corda!


Was hältst du, o Freund, die Hand deines Weibes.

Sie ruht weiß und kalt und tot, und so schwer,

Dein Kind liegt neben ihr im Sterben.

Du stützt das Haupt in die Hand,

Verzweiflungsvoll.

Wer wagt in deinen Kisten und Kasten zu wühlen.

Wehe dir Armen,

Die Gläubiger sind's,

Die ohn' Erbarmen Alles pfänden und nehmen,

Nichts bleibt zurück,

Ach, kleinste Erinnerungen selbst.

Hat Hochmut, Eitelkeit, hat Schuld und Unglück gestürzt dich.

Weltklug, das Eiseswort, kanntest du nimmer,

Doch, ohne weltklug zu sein, Freund, kommst du nicht durch –

Und kein Ausweg.

Hörst du sie zischeln, hörst du das Lachen der Menschen,

Und eh' einmal der erzene Künder über dir

Vom Turm die Stunde ruft,

Haben dich tausend Siebe zerspellt,

Haben tausend Zungen dein Herz zerstoßen.

Sursum corda?

Quelle:
Detlev von Liliencron: Adjudantenritte und andere Gedichte, Leipzig 1883, S. 97-98.
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