Die drei Glaubensschiffe

[50] Maria Theresia, die deutsche Frau,

Die große Kaiserin, nimmt es genau

Mit ihrer katholischen Religion;

Für die andern Bekenntnisse hat sie den Fron.

Sie verfolgt die Evangelischen, wo sie kann,

Doch dürfen sie nach Siebenbürgen ziehn;

Dorthin tut sie sie in den Bann,

Dorthin darf ihr Glaube mit ihnen fliehn.


In Linz liegen drei Schiffe bereit;

Auf Deck stehn, gedrängt, im Abschiedsleid,

Viele Familien Hand in Hand

Zur Abfahrt ins ferne Karpathenland.

Sie schluchzen ihren Bergen den Scheidegruß,

Dann trägt die Donau für immer sie weg;

Sie setzen in die Ferne den Fuß,

Wo keiner von ihnen kennt Stein und Steg.


Noch sind die Taue nicht gelöst,

Noch harrt man des Rufs, der vom Lande stößt.

Ein letztes Kommando, warum kommt es nicht?

Ob in Wien es den Räten an Mut gebricht?

»Ein feste Burg ist unser Gott,«

Das klingt auf einmal von allen her;[51]

Sie ertragen den Schmerz, sie ertragen den Spott,

Ihr Glaube ist ihre einzige Wehr.


Plötzlich am Ufer Gedräng und Gewirr,

Wüster Lärm, Kreischen, Johlen, Geklirr:

Es eilen viele Büttel an Bord,

Und einer verkündet mit rauhem Wort:

»Wir haben Befehl: fahrt ab, fahrt zu,

Doch bleiben hier eure Kinder dafür,

Daß ihnen einst wird die himmlische Ruh,

Sonst sterben sie schutzlos am Ketzergeschwür.«


Die Leute sind erst wie vernichtet, erstarrt;

Das war ein Befehl, wie keiner so hart.

Unmöglich! »Zögert nicht, fahrt ab!

Der Befehl muß bestehn! Es brach euch der Stab!«

Wir können doch ohne die Kinder nicht fort!

»Gut! Ändert den Glauben, und ihr bleibt zu Haus.«

Der Glaube ist unser einziger Hort.

»So wandert ihr ohne Kinder aus.«


Auf Erden gibt es kein schwerer Leid:

Väter und Mütter sind bereit,

Sie küssen die Kinder zum letztenmal,

Und sinken zurück in die marterndste Qual.[52]

Eine Stimme: Stoßt ab! Die Sonne verschied.

In Gottes Namen soll es sein!

Dann singen sie alle das Lutherlied,

Die Schiffe verschwinden im Abendschein:


Nehmen sie den Leib,

Gut, Ehr, Kind und Weib:

Laß fahren dahin!

Sie habens kein'n Gewinn,

Das Reich muß uns doch bleiben.


Quelle:
Detlev von Liliencron: Gute Nacht. Berlin 1909, S. 50-53.
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