Gedenken

[21] An Theobald Nöthig.


Was soll die dunkelrote Rose,

Mir heute just ins Haus gebracht?

Da fällts mir ein, und vor mir seh ich

Den Freund, an den ich oft gedacht.


Begleitet war die schöne Blume

Von einem Schreiben, einem Wort:

»Gedenken eines heißen Tages.«

Und ich errate Zeit und Ort.


Wir lagen beide schwer verwundet

In eines Gartens Sommerlust.

Mir war das linke Bein zerschmettert,

Dir saß die Kugel in der Brust.


Ein voller Zweig hing uns zu Häupten,

Umqualmt, verschluckt von Pulverrauch;

Ich konnte noch die Arme biegen

Und brach die Rose aus dem Strauch.


Am dritten Knopfe stockt dir klebrig

Ein einziger schwarzer Tropfen Blut,

Und deine Augen grüßen schweigend

Mir Dank aus matter Wimpernhut.
[22]

Weit vor uns schon die Schlachtgenossen,

Wir sind von ihnen längst getrennt;

Und unablässig eilt vorüber

Batterie, Schwadron und Regiment.


Und Schleier ziehen sich allmählich

Und immer dichter um uns her,

Und tiefer sinken wir und sinken

Bewußtlos in ein stilles Meer.


Was denkst du heute jener Stunde;

Wir waren beide jung und frisch,

Und schwärmten ohne Arg und Zweifel,

Und hatten frohen Trunk und Tisch.


Fast drängt es mich zu wildem Wunsche:

Wär ich gefallen im Turnier!

Es kriecht ein Wurm aus deiner Rose –

Doch, alter Freund, ich danke dir.


Quelle:
Detlev von Liliencron: Gute Nacht. Berlin 1909, S. 21-23.
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