Sonntag Nachmittag

[36] Auf der Hügelhöh im Dorf

Wohnt die schöne Annmarei,

Und ich geh' dort gern vorbei,

Führt mein Weg in jene Richtung.

Auf der Hügelhöh im Dorf

Wohnt die schöne Annmarei,

Und ich geh' dort gern vorbei.

Könnt' ich sie doch einmal treffen,

Thät ich gleich die Segel reffen,

Ließ mein Schifflein ihr zur Seiten

Sanfthin eine Strecke gleiten,

Würde Bord mit Bord verbrücken,

Um die Hände ihr zu drücken.

Auf der Hügelhöh im Dorf

Wohnt die schöne Annmarei,

Und ich geh' dort gern vorbei,

Führt mein Weg in jene Richtung.


Sonntag war es, gegen fünf,

Unterm blauen Himmelsplan

Füllt sich Krug und Kegelbahn[37]

Mit geputzten Sommergästen.

Sonntag war es, gegen fünf,

Unterm blauen Himmelsplan

Füllt sich Krug und Kegelbahn.

Abseits diesem Frohgedränge

Schritt ich durch die Wiesenhänge.

Weiß ich's denn und kann ich's ändern,

Daß ich muß in's Dörfchen schlendern?

Alles scheint hier ausgeflogen,

In die weite Welt gezogen.

Sonntag war es, gegen fünf,

Unterm blauen Himmelsplan

Füllt sich Krug und Kegelbahn

Mit geputzten Sommergästen.


An die offne Thür gelehnt,

Fand verdrießlich ich Marein,

Und sie stand da ganz allein,

Um das leere Haus zu hüten.

An die offne Thür gelehnt,

Fand verdrießlich ich Marein,

Und sie stand da ganz allein.

Zu Bekannten heut in's Städtchen

Fuhren Eltern, Knecht und Mädchen,

Sagt sie schmollend auf mein Fragen,

Und ich denke, frisches Wagen

Hilft viel schneller aus der Schwebe,

Als ein langes Wortgewebe.

An die offne Thür gelehnt,

Fand verdrießlich ich Marein,

Und sie stand da ganz allein,

Um das leere Haus zu hüten.
[38]

Und ich bat mich ihr zu Gast,

Lachend bittet sie: Geschwind,

Findest mich als Waisenkind.

Und wir gehn durch Hof und Garten.

Und ich bat mich ihr zu Gast,

Lachend bittet sie: Geschwind,

Findest mich als Waisenkind.

Wie die Rosen einsam glühen,

Wie die Lilien einsam blühen,

Wie die Vögel einsam singen;

Und ein Zicklein seh' ich springen,

Und die Kühe hör' ich prusten

Und ein Pferd im Stalle husten.

Und ich bat mich ihr zu Gast,

Lachend bittet sie: Geschwind,

Findest mich als Waisenkind.

Und wir gehn durch Hof und Garten.


Freundlich bringt sie Milch und Brot,

Heiß ist's draußen, heiß und schwül,

Kühl im Zimmer, wunderkühl –

Macht Gelegenheit nicht Diebe?

Freundlich bringt sie Milch und Brot,

Heiß ist's draußen, heiß und schwül,

Kühl im Zimmer, wunderkühl.

Wie sich unsre Lippen fanden,

Haben wir uns nie gestanden.

Wie sich Mund zu Mund gefunden,

Wer vergäße solche Stunden.

Welch ein Kämpfen, welch ein Küssen,

Welch ein süßes Findenmüssen.

Freundlich bringt sie Milch und Brot,

Heiß ist's draußen, heiß und schwül,[39]

Kühl im Zimmer, wunderkühl –

Macht Gelegenheit nicht Diebe?


Endlich geht der Tag zur Ruh,

Und es dunkelt und wird Nacht,

Eh' das Lämpchen noch entfacht –

Vor der Pforte hält ein Wagen.

Endlich geht der Tag zur Ruh,

Und es dunkelt und wird Nacht,

Eh' das Lämpchen noch entfacht.

Auf verschwiegnen Waldeswegen

Klopft mein Herz in lauten Schlägen.

Windesstarre, Blätterschweigen

Hängt wie Sargtuch an den Zweigen.

Tod, was wirfst du deine Maschen,

Wo sich Liebesgötter haschen.

Endlich geht der Tag zur Ruh,

Und es dunkelt und wird Nacht,

Eh' das Lämpchen noch entfacht –

Vor der Pforte hielt ein Wagen.


Quelle:
Detlev von Liliencron: Der Haidegänger und andere Gedichte, Leipzig 1890, S. 36-40.
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