Widmungsgedicht zur Völkerwanderung

[212] an Seine Majestät König Ludwig II. von Bayern


Erhabner Herr, der König du zugleich

In deinem Lande bist, von Gott berufen,

Und König in der Ideale Reich,

Empfang dies Lied an deines Thrones Stufen!

Aus ferner Zeit her dämmert's sagenbleich

Von Größtem, was die deutschen Stämme schufen,

Wie sie um Heldenkön'ge sich geschart,

Die vorgeleuchtet ihrer kühnen Fahrt.


Sie hoben sich aus meerumrauschter Wiege

Empor, wie Eichen aus dem Bergesschoß,

Wo sie geträumt vom Ruhm der künft'gen Siege,

Im Grund, der ihrer Vorzeit Nacht umschloß;

Als ob der Flut ein Schlachtengott entstiege,

So urgewaltig kühn und riesengroß,

Und wie geweckt zu einem Weltgerichte

Betraten sie das Walfeld der Geschichte.


Wie sie von Meer zu Meer, von Nordlands Belt

Bis an den Saum der Wüste vorgedrungen,[212]

In Trümmer schlugen eine morsche Welt

Und aus den Trümmern Kronen sich errungen,

Wie sie Gesetz und Rechte neu bestellt,

Und wie sie dann, in Kämpfen unbezwungen,

Der Milde und Gesittung sich gebeugt,

Das hat die Welt, durch sie verjüngt, bezeugt.


So großen Vorwurf in ein Bild zu bringen,

Ich hab's gewagt, und mit der Worte Macht

Ein Chaos zu gestalten, zu durchdringen

Und zu erhellen jene ferne Nacht.

Wenn mir's gelang, darf ich den Dank dir bringen?

Durch deine Huld ward ja mein Werk vollbracht.

Du hast gewährt, daß dir dies Lied ertöne,

Daß sich das Werk mit deinem Namen kröne!


Nach andrem Ziel zwar ringt die Menschheit jetzt,

Als dort im Sturm der wilden Kriegsgedränge.

Ein Höh'res hat sie sich zum Ziel gesetzt,

Und ihre Hymnen sind nur sanftre Klänge;

Vergib darum, wenn sich wie blutbenetzt

Dir nahn die düsterschweren Schlachtgesänge!

Man sieht oft gern im blüh'nden Lebensglück

Auf längst vergangner Zeiten Grau'n zurück.


Nicht ganz verloren aber ging die Sage,

Nicht ganz verklungen ist das Heldenlied.

Denn welchem Erdenlos und welcher Klage

Die Dichtung einen höhern Wert beschied,

Da lebt und blüht es fort in fernste Tage,

Da kämpft noch hoch zu Roß der tote Cid,

Und Throne, die ihr Zauberkranz umsponnen,

Schau'n leuchtend durch der Zeiten Nacht wie Sonnen.


Die Muse mit der Künste heitern Reih'n

Kam stets, den Ruhmsaal deiner hohen Ahnen[213]

Und dein erlauchtes Herrscherhaus zu weih'n.

Du führtest in den Reigen ihrer Bahnen

Die zartbeschwingte, die Musik noch ein,

Zum Adlerflug den tonbegabten Schwanen,

Und wiesest aber nicht aus deiner Gunst

Die Schwestern, Poesie und Bildnerkunst.


Darf sich da nicht des Dichters Wunsch erheben,

Wenn volles Dankgefühl das Herz ergießt,

Es möcht' sein Lied auch ein'ge Strahlen geben

Zum Glanze, der dein Königshaupt umfließt?

Es mög', o Herr und König, dich umschweben,

Wenn Dunkel um die Bergeshöh'n sich schließt,

Weihvoll im goldnen Licht der Dämmerungen,

Ein Heldengeist der Völkerwanderungen!


Erhör denn auch der Himmel unser Flehn,

Sein Segen sei stets um dein Tun gebreitet,

Von ihm, in dessen Hand die Fürsten stehn,

Und der die Völker und ihr Schicksal leitet!

In dieser Zeit voll Kampf und Untergehn

Und in dem Kampf, den Licht und Dunkel streitet,

Wie Groß' und Edles nur dein Sinn erkor,

Geh siegesreich aus jedem Kampf hervor!

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 212-214.
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