Auf dem Vesuv

[30] Wir hatten uns am Kraterrand

Die Fackeln angezündet

Und schwangen nun in unsrer Hand

Die Glut vom Feuerherde,

Der aus dem Grund der Erde

In Flammen sich entschlündet.


Ich ließ voraus den Führer gehn

Und blieb in Nacht und Stille

Allein noch bei den Felsen stehn,

Nur über mir die Sterne,

Nur tief aus dunkler Ferne

Der Nachtgesang der Grille.


Nur hie und da ein Meteor

Stieg aus den Kratertiefen

Ins schweigende Azur empor

Und zeigte mir die Spuren

Erloschner Lavafluren,

Die ringsum lautlos schliefen.
[30]

Welch ungeheures Totenreich!

Und außer mir kein Leben,

Kein Leben fühlt' ich, und zugleich

Fühlt' ich ein tödlich Trauern,

Ein namenloses Schauern

Mein einsam Herz durchbeben.


Ich sah in dieser dunkeln Kraft,

Die ewig gärt und nimmer

Trotz aller Gluten Segen schafft,

Das Abbild eines Strebens,

Das groß ist, doch vergebens,

Das schön ist, doch nur Schimmer.


Unendlich einsam fühlt' ich mich;

Mir war's, als ob der warme

Aus meiner Brust der Odem wich',

Als sänk' ich schon den kalten

Planetischen Gewalten

Versteinert in die Arme.


Und eine Sehnsucht ging mich an

Nach oft geschmähten Banden;

Mich zog's nach allem Weh und Wahn

Des Erdenlebens wieder.

Erhöhter stieg ich nieder,

Als oben ich gestanden.


Wie leuchtete das Licht so schön

Aus den gestirnten Fluren

Auf Buchten, Haine, Rebenhöh'n

Durchs Dunkel der Kastanien!

Die Nacht lag auf Campanien

Und auf dem Meer azuren.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 30-31.
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