Das fünfzehende Buch.

Die Begebenheiten des Ritters

von Castagnetta.

[426] Ich bin von Geburt ein Lampurdaner, aus dem Geschlecht der Marggrafen von Santa Columba de Queralto. Weil ich der dritte von meinen Brüdern und der jüngste vom Hause war, so nante man mich den Ritter von Castagnetta. Mein anderer Bruder wurde wegen seines schwächlichen Leibes, zum Closter gewidmet. Ich war nicht so bald den Händen des Frauenzimmers entkommen und männlicher Zucht untergeben, so bezeigte mein Vater eine ganz besondere Sorgfalt für meine Erziehung.

Als ich mein fünfzehendes Jahr bey nah zurück[426] geleget hatte, nahm er mich einsmahl vor sich: Lieber Sohn sprach er zu mir, es ist nun Zeit, daß du lernest deinen Verstand gebrauchen und aus eigner Uberzeugung das Gute wehlen. Du wirst in der Welt meist unglückselige Menschen finden, weil sie in dieser Wahl fehlen, und durch eitel Schein-Güter sich betrügen lassen. Es ist nur ein Weg zur Glückseligkeit, dieses ist der Weg der Tugend und der Weisheit, die GOTT denjenigen mittheilet, die ihn suchen und lieben. Du thust nun, mein Sohn, die erste Tritt in die Welt; Alles locket und reitzet dich darinn zum Bösen. Die Wohllust wird sich dir auf allen Ecken mit ihren schönen und verführischen Angesicht zeigen: Die Ruhm-Sucht wird sich bey dir unter dem Schein der wahren Ehre einschmeicheln: Sie wird den Namen der Tafferkeit, der Grosmuth und der Freygebigkeit entlehnen. Ich aber sage dir: Fliehe die Lüste, meide den Ehrgeitz, und hüte dich für der Verschwendung, so wirst du finden, daß die Tugend ihre selbst eigene Belohnung, wie das Laster seine selbst eigene Straffe mit sich führet.

Indem mein Vater dieses sagte, schloß er mich mit innigster Zärtlichkeit in seine Arme. Ich küßte ihm die Hände, die ich mit meinen Thränen benetzte, und war so bewegt, daß ich nicht reden konte: Meine Gebehrden aber sprachen für mich, und versicherten den besten[427] Vater, daß ich ihm dasjenige, was er von mir verlangte, mehr mit dem Hertzen als mit dem Mund zusagte.

Er ließ darauf auch meinen Hofmeister ins Zimmer kommen, und befahl mich seiner Treu und Sorgfalt mit sehr andringenden Worten. Dieser war ein stiller und gelehrter Mensch. Viel Geist hatte er nicht: Ein anhaltender Fleiß und ein gutes Gedächtnüs brachten ihn nichts destoweniger sehr weit. Wir giengen kurtz darauf nach Tolosa, wo damahls die berühmteste Leute in allen Wissenschaften sich befanden.

Ein so grosser Ort und eine solche Menge von allerhand Menschen hatte für mich etwas neues: Ich war von Natur sehr eitel: Ich wolte immer in Gesellschaften und in die Schauspiele gehen. Ich bekam eine Neigung mich nett und kostbar zu kleiden. Ich bildete mir ein, ich gefiel; Diese Einbildung war mir nicht zu verdencken: Ich kante die Welt noch nicht: Alle Leute, die mit mir umgiengen, sagten mir tausend Schmeicheleyen: Ich wuste nicht, daß man einem dergleichen Dinge vorsagte, ohne daß man auch solche glaubte.

Nach drey Jahren kam ich wieder zurück nach Hauß, ich that hernach in Begleitung meines Hofmeisters auch meine Reisen, und fand bey meiner Wiederkunft meinen Bruder[428] verheyrathet. Dieser war von einem neidischen und eigennützigen Gemüth: Er betrachtete mich nur wie den Cadet vom Hause, und konte nicht wohl leiden, daß ich mir das Ansehen gab, als ob ich mir auch ein Recht darinn anmaste.

Mein Vater wuste solches: Er war darüber sehr betrübt. Ich behielt dich, mein liebster Sohn, sprach er einsmahl zu mir, gern noch eine Weile bey mir: ich werde baufällig, und darf über einige Jahre zu leben nicht mehr hinaus rechnen. Wie vergnügt wolt ich sterben, wenn du mir köntest die Augen zudrücken. Allein, ich sehe mit bekümmertem Hertzen, daß dich dein Bruder nicht liebet. Wir können doch nicht immer beysammen bleiben. Lasset uns deswegen von einander scheiden, ehe der Tod uns trennet. Entziehe dich der Verachtung deines Bruders: folge einem höheren Beruf: begib dich nach Hof: diene dem König und dem Staat: ich habe an dem ersten Staats-Minister zu Novarena, dem Herzog von Albamar, noch einen alten Freund: ich will dich zu ihm schicken: ich zweifle nicht, er werde sich deiner annehmen.

Wir schieden kurz darauf nicht ohne grose Bewegung, von einander. Ich kam nach Novarena. Der Herzog von Albamar empfieng mich mit der grösten Freundschaft: Er brachte mich vor den König: Dieser war ein kluger Fürst, und liebte die Künste und Wissenschaften.[429] Ritter, redete er mich an: ihr habt studiret: ich werde euch gebrauchen können: ich mach euch zum Edelmann von meiner Cammer. Der Herzog von Albamar kan euch dabey etwas zu thun geben. Ich bog darauf nach Hesperischer Art die Knie: der König reichte mir die Hand: ich küste solche, und von derselben Zeit an erschien ich täglich bey Hof.

Der Herzog von Albamar bediente sich meiner in seiner Geheim-Schreiberey: ich kam zuweilen gantze Nächte nicht ins Bette; nachdem die Geschäffte eine schnelle Ausfertigung erforderten. Er sahe, daß ich arbeitsam und verschwiegen war: Dergleichen Leute waren ihm angenehm: er hatte zwey Söhne und eine Tochter: wir sahen uns einander schier täglich, der älteste von den Söhnen hies Don Diego, der andere Don Juan, und ihre Schwester Donna Leonora.

Ich lebte mit Don Juan in der genauesten Freundschafft: unsere beyde Gemüther hatten zusammen eine grosse Ubereinstimmung; der Vater brauchte ihn, wie mich, in seinen Geschäften: wir halffen einander redlich, und machten uns hernach zusammen auch wider allerhand Ergötzlichkeiten. Er führte mich in die beste Gesellschafften, und brachte mich unter andern auch in das Haus des Fürsten von Alfaresch.

Dieser war ein rauher, unfreundlicher und hochmüthiger Mann: er lachte nie, als wenn[430] er böses im Sinn hatte: er redete sehr wenig, und wenn er redete, so waren alle seine Worte abgemessen: nichts war steiffer, langweiliger und verdrießlicher als sein Umgang. Diesen Mangel aller Leutseligkeit ersetzte seine noch junge Gemahlin. Der Fürst hatte sie erstlich geheyrathet, nachdem er schon eine lange Zeit war Wittwer gewesen. Er hatte eine einzige Tochter von der ersten Ehe, Namens Elvira; diese lebte mit ihrer Stief-Mutter in ziemlich gutem vernehmen: Die Mutter war nicht viel älter als sie, und besaß nicht weniger Geist als Schönheit. Sie war aber dabey von derjenigen Eitelkeit eingenommen, daß sie glaubte, sie müste sich bessere Kenner, als die Augen ihres abgelebten Gemahls wehlen, um von dem Werth ihrer Annehmlichkeiten zu urtheilen. Die allzustrenge Beobachtung der Ehelichen Treu schien ihr eben kein Sacrament zu seyn: ihr Verstand muste ihr dazu dienen, allen Ausschweiffungen ihres Herzens das Wort zu reden. Die Vernunfft selbst schien ihr Ausflüchte an die Hand zu geben, wann die Religion sie verbinden wolte, einen Mann zu lieben, der so wenig liebens würdig war.

Donna Elvira hiengegen hatte ein gantz unschuldiges Wesen: sie war noch sehr jung: ihr Geist begunte sich kaum, wie ihre Schönheit, gleich den ersten Frühlings-Rosen, zu entblättern. Ich wurde von ihr im ersten Augenblick gerührt, und empfand für sie eine Neigung, welche der Liebe nicht unähnlich sah. Ich hatte[431] einen Mit-Buhler an Don Ferdinand von Orihuela. Er war ein Sohn des Herzogen dieses Namens; ansehnlich, reich, und von einem der mächtigsten Häuser in Hesperin. Ich wuste, daß die Liebe ihre eigene Gesetze hatte; allein, daß man solchen im Heyrathen insgemein am wenigsten zu folgen pflegte. Ich war ein Cadet von einem Marck-Gräflichen Hause, der mit Don Ferdinand auf keinerley Weise zu vergleichen war. Ich konte nicht närrisch hochmüthig seyn, noch mir einbilden, daß man mich, der ich so wenig in der Welt zu bedeuten hatte, dem Don Ferdinand vorziehen würde.

Ich gieng einsmahl voll trauriger Gedanken nach dem Pallast des obersten Staats-Ministers. Donna Leonora, die aus der Gutsche stieg, und mich ankommen sah, bot mir die Hand, sie hinauf zu führen: ich brachte sie auf ihr Zimmer. Sie kam von der Donna Elvira: sie lebten beyde zusammen in grosser Vertraulichkeit. Wisset ihr, sagte sie zu mir, daß Don Ferdinand Elviren liebet? Dieses ist richtig, war meine Antwort, ich wuste aber noch nicht, daß Don Juez, ein Sohn des Herzogs von Sandossa, die Donna Lecnora heyrathen werde: wenn ich mit darzu gehöre, antwortete diese, so ist die Sach noch weit entfernet. Don Juez giebt sich meinetwegen viel Mühe: er hat bereits bey meinem Vater um mich anhalten lassen; allein ich habe mich zu nichts erkläret; ich will hören, was sie mir rathen. Wie! fragte ich mit Verwunderung, ich soll ihnen rathen?[432] folgen sie dem Trieb ihres Herzens, fuhr ich fort, wenn sie glücklich seyn wollen. So wird nichts daraus, erwiederte sie mit einem tief geholten Seufzer: ich werde ledig bleiben müssen: weil ich sehe, daß die Liebe mir nicht günstig ist.

Sie begleitete diese Worte mit einem Blick, der mir bis in die Seele fuhr: ich verstund sie. Ich schlug die Augen nieder: ich war verwirret: ich verwies mir als eine Untreu, daß ich ihr meine Liebe zu der Donna Elvira bisher verschwiegen hatte: ich wuste, daß Donna Leonora mir wohl wolte, und daß ich ihr bisher durch die Kennzeichen meiner Hochachtung zugleich die Meynung beygebracht hatte, als ob ich auch einer zärtlichen Neigung gegen sie fähig wär.

Ich warf mich deswegen voller Schaam und Verwirrung zu ihren Füssen: wertheste Leonora, sprach ich zu ihr, verzeihet einem undanckbaren; ich bin der Gunst, welche ihr mir erzeiget, gantz unwürdig. Ich liebe Elviren, und ich habe euch bisher dieses Geheimnüs verborgen; da ich doch nach unserer genauen Freundschafft, euch solches zu offenbahren, war verbunden gewesen.

Ich konte nach dieser kurtzen Geständnüs nicht weiter reden. Leonora schien darüber für Bestürtzung ausser sich. Wie! sprach sie, ihr liebet Elviren? und man hat mir dieses[433] Geheimnüs verborgen? O unglückseelige Freundschafft! wie hast du mich betrogen? Was aber, fuhr sie mit gleicher Bewegung fort, was hat euch veranlasset, mir solches zu verschweigen? Ich bat sie deswegen tausendmahl um Vergebung; und zeigte ihr dabey einen so tiefen Kummer, daß sie mich beklagte.

Nur nicht den Muth verlohren, mein lieber Marggraf, sagte sie mit einem großmüthigen Wesen, man ist nicht Meister von seinem Herzen. Ihr habt mich bisher für eure beste Freundin gehalten; ich will euch zeugen, daß ihr euch an mir nicht betrogen habt. Nur saget mir, wie ihr Elviren liebet, und doch bey ihr das Wort für den Don Ferdinand, euren Mitbuhler, redet? sie selbst hat mir davon Eröfnung gethan und schien darüber eben so verwundert zu seyn, als ich.

Ich war noch kaum einen Monath an diesem Hof, erklärte ich mich hierauf, so wurde ich von Elviren eingenommen: sie lies mir, so offt ich sie zu sehen bekam, eine gewisse Güte sehen, die meiner Eigen-Liebe schmeichelte: sie schenckte mir auf eine Art ihre Freundschafft, die mir von ihrem Herzen auch etwas zärtliches zu versprechen schien. Ich wiederstund anfangs dieser Einbildung; allein, ihre Augen hatten für mich die allerverführischte Beredsamkeit. Ich unterstund mich dem ungeacht niemahls mich ihr deutlich zu erklären; nur meine Blicke und meine Gebehrden gaben ihr mein heim iches Leyden zu erkennen;[434] meine Neigungen waren zu demüthig, mir zu liebkosen, und zu starck, solche zu überwinden. Sie hatten etwas, das Elviren gefiel: und wenn sie sah, daß ich darüber den Muth verlohr, so zeigte sie mit ein gewisses Mitleyden, das mich auf einmahl wieder mit neuer Hoffnung belebte. Mein seltsames Verhängnüs machte mir auch ihre Stiefmutter gewögen: ich gewann dadurch zwar einen desto freyern Zutritt in ihrem Haus; allein, ich gerieth dadurch auch zugleich in ein solches Labyrinth, daraus ich mir nicht helffen konnte. Ich muste der Mutter schmeicheln, um die Tochter zu sehen, und war in steter Gefahr, bald die Freundschaft der einen, oder der andern zu verliehren.

Die gröste Verwirrung kam noch darzu, als Don Ferdinand, weil er sah, daß mir diese beyde Damen wohl wolten, mir seine Neigung für Elviren entdeckte, und sich dabey meine Freundschaft ausbath. Ich kont ihm solche nicht versagen: doch wolt ich ihm auch nicht bergen, daß ich selbst die Donna Elvira liebte. Er war über diese meine Erklärung, damit ich mich eben so offenhertzig gegen ihn, als er sich gegen mich heraus lies, ungemein bestürtzt. Ich beruhigte ihn aber damit, daß ich ihm sagte: ich liebte ohne Hofnung, und gönte ihm deswegen Elviren vor einem andern.

Ich nahm in der That hierauf bey ihr dessen Parthie: ich rühmte seine gute Gestalt, seine ernsthaffte Tugend, sein redliches Gemüthe, seine[435] gründliche Vernunfft, und mehr als alles dieses, seine grosse Reichthümer. Die Mutter war mir dafür verbunden; die Tochter aber zeigte mir, zu meinem heimlichen Vergnügen darüber ihre Verachtung.

Dieses sind, wertheste Leonora, endigte ich hier meine Erzehlung, die Umstände, worinn ihr mich sehet. Ich liebe Elviren: ich liebe sie ohne alle Hofnung.

Donna Leonora wurde durch diese Nachricht sehr gerühret: sie schien mit vielem Nachdencken dasjennige zu überlegen, was sie von mir gehöret hatte: sie schlug die Augen vor sich hin: sie seuffzete. Ich bemerckte bey ihr einen innerlichen Streit. Die Großmuth siegte: O ich thörichte, fieng sie an, daß ich dieses Spiel nicht besser eingesehen! doch, ich habe mich verbunden, euch meine Aufrichtigkeit zu zeigen; ich will euch Wort halten, und morgen solt ihr wissen, was ihr bey Elviren zu hoffen habt.

Die Umstände, worin ich mich fand, waren die wunderlichste von der Welt: Eine Dame, die mich selber liebte, suchte mich bey ihrer Mitbuhlerin glücklich zu machen, und ich sprach bey meiner Geliebten für einen Mitbuhler. Hat die Liebe auch wohl jemahls ihre Neigungen seltsamer verwirret?

Donna Leonora fuhr den andern Tag zur Donna Elvira: Diese wolte sich anfangs gegen[436] ihr nicht heraus lassen: Endlich gab sie sich durch ihren Eifer bloß: sie meynte, wann ich sie liebte, so würde ich nicht für den Don Ferdinand reden. Donna Leonora sagte mir dieses wieder. Sie schmeichelte mir mit der süsesten Hofnung; als gleich darauf ein unglückseliger Zufall mich derselben auf einmahl entsetzte.

Ich fande mich in einer grossen Gesellschaft bey der Herzogin von Tabosa: ich stund an einem Fenster, welches in Garten gieng, und unterredete mich mit dem Fürsten von Piscara. Der Graf von Pradez gesellte sich zu uns: Er sprach von der genauen Freundschaft, die sich einige Zeit her unter mir und Don Ferdinand geäussert hätte: er nannte mich einen feinen Hofmann, weil ich diesen meinen Mitbuhler dergestalt an mich gebunden hätte, daß er keinen Schritt ohne mich thun könte. Ich bat ihn, nicht so unbescheiden von Don Ferdinand zu reden; der Fürst von Piscara aber, der ein Vetter des Don Ferdinand war, und der eigentlich diese Heyrath zu machen suchte, knirschte darüber für Eifer die Zahne, und gieng stehenden Fusses zu seinem Vettern, welcher in einem andern Zimmer mit einigen Damen spielte; er bat ihn, sein Spiel einem andern zu geben, und verfügte sich mit ihm auf einen Balcon vor dem Saal.

Der Graf von Pradez hatte sich unterdessen zu seinem Glück weggemacht, es währte nicht[437] lang, so kam Don Ferdinand wieder in das Zimmer getreten; der Zorn flammte ihm aus den Augen; Wo ist der plauderhafte Pradez? redete er mich an, ich will sehen, ob er auch das Herze haben wird, mir dasjenige ins Gesicht zu sagen, was er sich gegen euch und meinen Vettern hat verlauten lassen. Ich suchte ihn darauf mit den glimpflichsten Reden zu besänfftigen, ich hielt ihn zurück, als er dem Pradez nachfolgen und ihn aufsuchen wolte; er erhitzte sich darüber noch mehr. Don Diego, der unsern starcken Wort-Wechsel hörte, nahete sich zum grösten Unglück zu uns; er wolte die Ursache wissen, warum wir beyde so aufgebracht wären? Don Ferdinand, ohne ihm solche zu entdecken, bediente sich gegen mich einiger Redens-Arten, die sehr anzüglich waren. Ich that, als ob ich solche nicht auf mich zög; dem Don Diego aber, der sehr stolz und jäh-zornig war, wolte meine Sanftmuth nicht einleuchten, er hielt solche für eine Zaghaftigkeit.

Ich gieng darauf mit ihm und seinem Bruder dem Don Juan nach dem grossen Garten, wohin wir unsere Leute bestellet hatten. Unter Wegs stichelte Don Diego beständig auf mich. Er sagte, daß er alle Freundschafft für mich hätte; allein, daß er nicht läugnen könte, wie ihm meine allzugrosse Eingezogenheit, damit ich Don Ferdinand seine Reden beantwortet hätte, schimpflich vorkäm. Ich machte darüber seinen Bruder zum Richter, und erzehlte[438] ihnen beyden die ganze Begebenheit. Don Juan gab mir Beyfall, und rühmte meine Vorsichtigkeit: dieses verdroß seinen Bruder ungemein: der Zorn übernahm ihn: er schalt uns beyde zaghaft.

Ich spürte, daß sich das Blut bey mir in allen Adern regte: der Odem wurde mir kürzer und das Feuer stieg mir wie Strahlen nach dem Haupt. Haltet ein, Don Diego, sagt ich mit einem erhabenen Ton, haltet ein mit euren Beleidigungen, oder ihr werdet mich zwingen, euch einen Muth zu zeigen, an welchem ihr zweifelt. Ich hatte diese Worte kaum ausgesprochen, so stieß mich Don Diego mit einem ergrimmten Auge auf die Seiten; ich faste aber denselben in gleicher Bewegung mit dem Elnbogen, und schmiß ihn übern Hauffen. Wir zogen damit beyde von Leder: Don Diego drang als ein Verzweiffelter auf mich ein. Ich war also gezwungen, mich gegen den Bruder von Don Juan, und von Leonoren zu wehren: in dieser Betrachtung suchte ich alle seine Stösse zu pariren, und ihn mehr als mich selbst zu schonen. Meine Meinung war, ihn zu entwafnen; ich gab ihm deßwegen eine Blöse über meinen rechten Arm, und streckte mit steiffer Hand die Klinge nach ihm hin; mein Gegner aber war von seiner Wuth geblendet: er sah weder seinen Vortheil, noch meinen Degen. Er rannt in meine Klinge, welche ihm durch die Brust gieng, und fiel als todt zur Erden nieder.[439]

Ich war der erste, der ihm zu Hülf eilte: sein Bruder aber riß mich von ihm weg, und bat mich um GOttes Willen, auf meine Sicherheit zu gedencken; und als ich noch nicht mich entschliessen konte, einen so unglücklichen Platz zu verlassen, so warf er mich mit Gewalt in einen Lehn-Wagen, und befahl dem Gutscher, mich auf einen gewissen Hof, der eine Meile von der Stadt lag, zu bringen.

Ich war noch keine viertel Stund daselbst, so kam mein Cammer-Diener mir nachgerannt. Er war für Schrecken ausser sich: alle Glieder zitterten ihm; Ach, gnädiger Herr, sprach er: was haben sie angefangen? Ich erzehlte ihm mein Unglück, und bat ihn, mir einen guten Rath zu geben. Sie sind hier, war seine Antwort, keinen Augenblick sicher. Der Herzog von Albemar, dessen Sohn sie entleibet haben, denn man zweiffelt an seiner Aufkunfft, wird nicht ruhen, an ihnen die vollkommenste Rache zu nehmen. Don Juan, der an Grosmuth seiner unvergleichlichen Schwester nichts nachgab, und um so viel mehr Mitleiden mit mir hatte, weil er ein Zeuge meiner Unschuld war; hatte aus Vorsichtigkeit meinem Cammer-Diener, nebst einigen Reise-Kleidern, auch so viel Geld mitgegeben, als ich zu einer schnellen Flucht vonnöthen hatte.

Er schrieb mir dabey folgende Zeilen: Mein bis auf den Tod verwundeter Bruder[440] fordert euer Blut von meinen Händen: Die Gerechtigkeit aber und das Band unserer Freundschaft wollen / daß ich euch wie mein Leben schütze. Welcher Regung soll ich folgen: Ich kan euch nicht wieder sehen / ohne euch meine Feindschaft anzukündigen / und kan nicht einen Bruder rächen / ohne den Himmel zu beleydigen / fliehes deswegen vor einem Feind / der euch liebet / und vor einem Freund / der euch hassen soll.

Ich machte mich also auf die Reise: Ich blieb mit meinem Cammer-Diener auf keiner Land-Strasse: Wir durchstrichen die dickste Wälder, und schliefen des Tages unter den Bäumen, um die Nacht desto sicherer über den Weg zu kommen. Nach dreyen Tagen erreichten wir die Aquitanische Grenzen. Wir hielten uns in einem Flecken auf. Mein Kummer und die Heftigkeit meiner Leidenschaften, schienen mich alles Trostes unfähig zu machen. Ich litte grausam: Auf einmahl alles was Glück und Liebe, und Freundschaft mich hoffen lies, zu verliehren; und noch über dem einen Vater zu betrüben, vor dessen Vergnügen ich allein mein Leben würde aufgeopfert haben; dieses waren für ein Gemüth, wie das meinige, solche Umstände, die es nothwendig niederschlagen musten.

So gros mir auch immer die Gefahr schiene, wann ich mich zu meinem Vater[441] begeben würde, so konte ich doch unmöglich dem zärtlichen Trieb länger widerstehen, mich zu dessen Füssen zu werfen, und ihn um Vergebung zu bitten. Ich wagte es also, und reiste nach Hause.

Ich war noch kaum unten im Hof vom Pferde gestiegen, so kamen mir einige von seinen Bedienten mit weinenden Augen entgegen, und sagten mir, daß er diesen Augenblick verschieden wär. Diese Nachricht erschütterte mich so heftig, daß ich, ohne ein Wort zu sprechen, meinem Cammer-Diener in die Arme sanck, und als ein Mensch, den seine Lebens-Geister verlassen hatten, in das nechste Zimmer gebracht würde. Als ich wieder zu mir selber kam, sah ich einen Bruder vor mir; der nicht wuste, wie er seine Kaltsinnigkeit und seine Verachtung mir genugsam verbergen solte.

Mein frommer Vater hatte ihm noch auf feinem Todbette vieles zu meinem besten anbeföhlen; Allein, diese Zärtlichkeit hatte bey meinem Bruder keine an dere Wirckung, als daß er sich gegen mich desto unempfindlicher und härter bezeigte. Er nahm alles unter seine Schlüssel, und machte mit mir was er wolte: Er gab mir dabey unter der Hand zu verstehen, daß ich bey ihm nicht sicher wär, weil man mich bereits bey ihm hätte aufsuchen lassen.[442]

Ich kante meinen Bruder, und wuste, daß es ihm nicht zu viel wär, mich selbst zu verrathen: Ich verlies also Bruder, Freunde, Güter, Königreich und alles. Ich gieng nach dem nechsten Hafen, und segelte mit dem ersten Schiff nach Sicilien. So bald war ich nicht zu Palermo angekemmen, so erhielt ich von Novarena die traurigste Nachrichten: Don Diego, schrieb mir sein Bruder, ist noch an seiner Wunde kranck, und dürfte schwerlich vollkommen genesen: Der König wär deswegen auf mich ungnädig: Sein Vater aber beklagte mich mehr, als er mich haßte: Seine Schwester wär aus Unmuth in ein Closter gegangen, und wolte von der Wett nichts mehr sehen noch hören. Donna Elvira hätte sich Anfangs meinen Zufall sehr zu Gemüth gezogen, und lies deswegen Don Ferdinand, als die Ursach meines Unglücks, nicht mehr vor sich kommen. Unterdessen aber so gieng das Gespräch, sie würde den Prinzen von Oviedo heyrathen.

Hierbey bekam ich auch von einem andern Freund aus Novarena die Nachricht, daß mein unwürdiger Bruder daselbst, um die Belehnung meiner Herrschaft Castagnetta hätte anhätten lassen, und solche auch durch die Bestechung einiger Minister wircklich erhalten. In dem erneuerten Duell-Mandat war zwar untern andern Strafen diese mit enthalten, daß die Verbrecher, wann sie Lehen-Männer wären, auch ihrer Lehen-Güter verlustig seyn[443] solten; allein, es dachte niemand bey Hofe daran, daß ich durch den mit Don Diego zufälliger Weis gehabten Zweykampf eine gleiche Strafe solte verdienet haben. Nichts destoweniger, so wuste mein Bruder die Sache selbst rege zu machen, und zu seinem Vortheil zur Ausfertigung zu bringen.

Dieser heimtückische Streich gieng mir um destomehr zu Herzen, weil ich dadurch, in Ansehung der nöthigsten Unterhaltungs-Mittel, von meinem Bruder allein abhängig gemacht wurde, welcher mir es noch für eine Gnade anschriebe, daß er mir von einer Herrschaft, die jährlich über vier tausend Thaler auswarf, eintausend zu meiner Leibzucht wiedmete. So theuer kam mir also ein unglückseliges Gespräch, in welches ich ganz unschuldig mit eingezogen wurde, zu stehen; und so kan öfters ein einziger unglücklicher Zufall durch einen fortlauffenden Zusammenhang der Ursachen, da immer ein Ubel aus dem andern entstehet, gar hurtig die gantze Wohlfahrt eines Menschen zu Boden werffen. Bey so gestalten Umständen wuste ich keinen bessern Trost, als in den Lehren der Weisheit zu finden, die noch durch meines Vaters Geist in meinem Hertzen lebten; allein, weil ich noch in dem stärcksten Feuer meiner Jugend war, so konten sie mich auch nicht völlig beruhigen.

Ich fand unterdessen an dem Sicilianischen Hof eine Gelegenheit, mich bekant zu machen:[444]

Dieser hatte immer mit den Barbarischen See-Räubern zu thun, welche beständig auf den Sicilianischen Küsten herum creutzten, und alles, was sie antraffen, wegkaperten: Ihr Vortheil bestund in ihren leichten Schiffen, damit sie, mit einer ungemeinen Behendigkeit, die See durchschnitten.

Ich hatte mich von Jugend auf mit der Seefahrt und der Schiffbau-Kunst erlustiget: Man hatte von meines Vaters Schloß nicht über drey kleine Stunden bis nach dem Hafen Sanrivo, welcher durch nichts als seinen Schiff-Bau berühmt ist. Hier verbracht ich in meinen jungen Jahren die angenehmste Stunden: Ich hatte immer einige leichte Jagden, damit ich von meines Vaters Schloß bis nach dem Hafen auf und nieder segelte, und mich zu einem Spiel der Wind und Wellen machte; ja ich wagte zuweilen mich damit so weit in die See, daß ich öfters darüber unsere Küsten aus den Augen verlohr.

Mein Vater, als er diese starcke Neigung an mir entdeckte, ließ mich in allen Mathemathischen Wissenschaften auf das gründlichste unterrichten: Man hatte dergleichen Leute an dem Sicilianischen Hofe nöthig: Ich konte also meine Wissenschaften hier gelten machen. Der König ließ einige Galeren nach meinem Entwurf verfertigen, solche ausrüsten und in See gehen: Er machte mich darüber zum Befehlshaber. Ich suchte damit die See-Rauber[445] auf; allein, es war, als ob sie auf einmahl verschwunden wären. Ich kam etlich mahl wieder in die Sicilianische Häfen zurück, ohne feindliche Schiffe entdeckt zu haben.

Mein Volck war damit nicht zufrieden. Man hatte ihm gute Beute versprochen; Es nöthigte mich also etlich mahl bis an die Küsten von Algir und Tunis zu creutzen.

Man lauerte uns endlich auf den Dienst. Wir erblickten einsmahlen auf der hohen See zwey grose Schiff mit Battavischen Flaggen; Wir gaben uns einander den gewöhnlichen Grus, und strichen weiter fort. Indem wandten sich die beyde fremde Schiffe, steckten Tunesische Flaggen auf, und suchten uns in die Mitte zu fassen. Wir hatten solche vor Kauffardey-Schiff gehalten, und meynten nicht, daß sie, ausser den Matrosen, auch Volck an Boord hätten. Wir wolten dem ungeacht nicht fliehen: Wir liessen sie unserm Schiffe nähern, und gaben dem einen unsere ganze Lage. Mittlerweile aber, daß wir mit diesem zu thun hatten, suchte das andere uns zu endtern: Wir sahen ihren Boord auf einmahl mit Volck bedeckt; sie bemeisterten sich bald unseres Schiffes; Meine Soldaten schlug der Schrecken nieder. Ich suchte sie vergebens durch mein Exempel zum Fechten aufzumuntern, sie streckten ihr Gewehr von sich, und gaben sich gefangen.[446]

Wir wurden nach der Barbarey geführet. Der Befehlshaber dieser als See-Rauber beschrienen Völcker begegnete mir nicht allein höflich; sondern übertraff auch in der Leutseligkeit noch die meiste Christliche Schifs-Capitäne. Er sprach vollkommen gut Illorisch, und ich war nicht misvergnügt, in seiner Gesellschaft nach Tunis zu segeln.

Wir stiegen daselbst den andern Morgen an Land; man brachte mich für den Bey. Ich bin dein Gefangener, mächtiger Bey, sprach ich zu ihm: Ich habe das Vertrauen zu deiner Grösmuth, du werdest mich und meine Leute so lange wohl halten, bis wir aus Sicilien Nachricht haben können, daß wir sollen ausgelöset werden.

Man hatte ihm gesagt: wer ich wär: Er empfieng mich deswegen wohl, und befahl, mir und meinen Leuten in der Stadt ein Quartier anzuweisen, wo wir für unser Geld bis zu unserer Auslösung zehren könten.

Ich suchte meinem Gemüth in dieser fremden Welt alle mögliche Veränderungen zu geben, um solches von den traurigen Betrachtungen meiner bisher so schnell auf einander gefolgten Unglücks-Fälle abzuziehen: Ich besuchte öfters den Aquitanischen Consul, der ein sehr redlicher Mann war. Es fanden sich auch in Tunis einige Misionarien; deren listige Art aber die Christen-Sclaven aszulösen,[447] mir so wenig, als die Methode, womit sie das Christenthum lehrten, gefiel. Die verwüstete Denckmahle von Carthago, welche ich an diesem Ort beobachtete, hatten etwas, das meinen Geist besonders rührte: Man entdeckte hier kaum noch die Spuren dieser ehmahls prächtigen Mitbuhlerin des alten Roms: Die Zeit hatte schier alles in Staub und Graus verkehret.

Ich sah mich, dem Namen nach, unter Barbaren, welche gleichwohl sich rühmen dorften, ehrlicher und aufrichtiger zu seyn als die Christen selbst. Ich bin nie der Meynung gewesen, daß nicht auch andere Völcker die Gründe der Menschheit in sich haben solten: Ich halte dafür, daß nur die Religion, die Auferziehung und die verschiedene Regierungs-Art den Unterschied mache. Die Bosheit und das Verderben aber unter den Menschen äussert sich allenthalben. Ich fand solches in Tunis, wie in meinem Vaterland. Ich seufzete heimlich darüber, als ich sah, wie wenig wir vor diesen Barbarischen Völckern voraus hatten.

Wir entsetzen uns über ihre Grausamkeit, damit sie die Christen-Sclaven tractiren, und nehmen es gleichwohl vielen unserer Europäischen Fürsten kaum ein mahl übel, wenn sie öfters ihren eigenen Unterthanen mit gleicher Härte begegnen. Das Recht, welches die[448] Corsaren über ihre Kriegs-Gefangene gewinnen, scheinet ihr unbarmhertziges Verfahren gegen dieselbe noch einigermassen zu entschuldigen: allein ich sehe in dem ganzen Natur-Recht nichts, das unsern Fürsten zum Vorwand dienen könte, diejenige zu plagen und zu peinigen, um deren Sicherheit und Wohlfart zu schützen, sie Fürsten sind.

Wann auch der Bekehrungs-Eifer bey uns für recht und gut gehalten wird, so sind darinn die Tuneser noch weit frömmer als wir. Sie bekehren die Menschen, welche sie für unglaubig halten, nicht durch Schärgen, Hencker und Dragoner: sie locken sie durch Freundlichkeit und Liebe: und geben oft geringen Sclaven, wenn sie gute Eigenschaften besitzen, die artigste und reicheste Weiber.

Der Bey vernahm nicht so bald durch den Aquitanischen Consul, daß ich von vornehmer Geburt sey, und so wohl in der Kriegs-Ban-Kunst, als in andern Wissenschaften erfahren wär, so ließ er mich öffters zu ihm bringen. Er bezeigte mir eine besondere Hochachtung, welche endlich so lebhaft wurde, daß er mir versprach, mich zum glücklichsten Menschen von der Welt zu machen, wenn ich bey ihm bleiben und zu der Mahomedanischen Religion übertreten wolte. Dieses zeiget uns, wie ein jeder sich einbildet, den besten Glauben zu haben, und wie der Eifer andere zu bekehren allenthalben in der Welt Mode ist.[449]

Der Bey hatte ein besonderes Vergnügen, mit mir von der Religion zu sprechen: Er war der Meynung, die Seinige wär die beste. Ich hatte eine leichte Sache, ihm das Gegentheil zu erweisen. Der Bey hatte Verstand und Einsicht: er hatte viel gelesen, und wuste was zu einem richtigen Schluß gehörte.

Ich sagte ihm, seine ganze Religion wär auf das Ansehen eines einzigen Menschen gegründet, welche man entweder mit oder ohne Vernunft annehmen müste: wär es das erste, so dürfte man sie untersuchen: dörfte man sie untersuchen, so würde man bald finden, daß sie die Eigenschaft der Göttlichkeit nicht hätte: dürfte man sie aber nicht untersuchen, so hätte Numa Pompilus so viel Recht als Mahomed gehabt, eine Religion nach seinen Absichten zu schmiden.

Der Bey meynte, daß wir ebenfalls keinen andern Beweis von der Warheit unserer Religion hätten, als das Ansehen von Mose und Christo; allein ich zeigte ihm, daß diejenige Religion, welche uns dieselbe lehrten, sich gar nicht auf menschliches Ansehen, sondern auf die Warheit selbst gründete; und daher auch alle Untersuchung litte; Sie lehrte uns von GOtt auf eine der Göttlichkeit gemässe Art dencken; sie schickte sich für unsern Leib, indem sie uns zur Mäßigkeit und zur Gesundheit anwies; sie schikte sich für unsern Geist, indem sie dessen Begierden nach einer ewigen Weißheit und Glückseligkeit[450] mit Erkäntnüs und Trost erfüllete; sie schikte sich für den Staat und für die bürgerliche Gesellschafft, indem sie die Gerechtigkeit und die Ordnung zum Grund setzte.

Wie aber steht es um eure Geheimnüsse, fragte hier auf der Bey? Geheimnüsse, war meine Antwort, haben wir in unserer Religion eigentlich keine; aber in Ansehung unserer Begriffe, sehr viele. Unser Glaube, fuhr ich fort, macht uns aus nichts Geheimnüsse? er entdecket uns vielmehr die Tiefen der Gottheit, und die allerverborgenste Weisheit. Wir sind aber gleichsam noch wie die Frucht in Mutterleibe, die erstlich soll geboren werden; wir leben noch in einem dunckeln Ort, und sehen nur das Licht von ferne; So bald wir aber anfangen weise zu werden, so kommen wir von einer Klarheit zur andern, und wachsen unendlich in aller Erkänntnüs, Wahrheit und Heiligkeit.

Die Himmlische Cörper, Sonn, Mond und Sterne, scheinen in unsern Augen durch die unermessene Tiefe nur kleine Lichter; Sie sind uns nicht verborgen als Geheimnüsse; unsere Augen reichen nur nicht so weit; wir sind wegen ihrer Entfernung nicht fähig ihre Grösse zu messen, und ihre Cörper recht zu erkennen. Solche Beschaffenheit, sagte ich, hat es auch mit den vermeinten Geheimnüssen unserer Religion.[451]

Wie kommt es aber, unterbrach der Cadi, daß ihr in eurer Religion gleichwohl so viele Glaubens-Artickel habt, die ihr selbst nicht verstehet, und darüber ihr doch mit solcher Wuth und Grausamkeit euch einander hasset und verfolget, ja gar um Leib und Leben bringet?

Hier antwortete ich dem Bey mit Schaam und Seufzen; die Christen, sagte ich, machen es hierin nicht viel besser, als wie die Schüler des Alcorans, deren einige den Auslegungen des Ali, die andere dem Omar folgen; und hernach wieder in unzehliche andere Secten sich zertheilen. Dieses ist ein allgemeines Ubel unter den Menschen. Nachdem sie einmahl die wahre Aufrichtigkeit verlohren, so sind sie auf ein unnützes und sinnloses Geschwäz verfallen; sie haben sich in ihre eigene Weißheit verliebet, und der weltliche Arm hat die Ehre ihrer Einbildungen unterstützen helffen. Christus hat uns den Glauben ganz anders gelehret; seine Worte waren Kraft und Leben, es bestund alles bey ihm in der Liebe, in der Sanftmuth, in der Demuth, und in dem Frieden. Es wäre zu weitläuftig alle Gespräche, die ich über dergleichen Materien mit dem Bey gehabt, hier anzuführen.

Das Geld, um mich und meine Leute auszulösen, war unterdessen angekommen. Ich hatte das Glück, dem Bey gewisse Vortheile begreiflich zu machen, wenn die Tuneser mit den benachbarten[452] Sicilianern in gutem Vernehmen leben würden; Er brachte solches vor den Divan, und gab mir darauf Befehl mit meinem Hof über ein und andere Artickel, welche das gute Verständnüs dieser beyden Völcker und ihre Handelschafft betraffen, zu tractiren. Ich zweiffelte nicht, in diesem Geschäffte glücklich zu seyn; allein, da die Zeit herbey kam, daß ich von Tunis verreisen solte, so muste mich der Bey daran erinnern.

Er hatte eine Tochter mit Namen Roxelane, welche eine der ausbündigsten Schönheiten war, die ich je gesehen hatte. Ihr Vater liebte sie ungemein; sie war schier immer bey ihm, wenn er sich mit mir in Gesprächen unterhielt. Ihre Blicke hatten einen unüberwindlichen Liebreitz: so bald schlug ich nicht meine Augen in die Höh, so blitzten mir die ihrigen entgegen, und trieben mir die Röthe ins Angesicht: der Bey bekam deswegen öfters von mir solche verkehrte Antworten, daß er mir die Abwesenheit meiner Gedancken vorwarf; Er merckte bald, daß die Gegenwart seiner Tochter solches bey mir verursachte: er hatte darüber ein heimliches Vergnügen: er fragte mich endlich, ob mir seine Tochter gefiel? ich bekannte ihm solches; er sagte mir, daß es nur auf mich ankäme, alles, was ich wolte, von ihm zu erlangen.

Ich erklärte mich, wenn es eine Möglichkeit wär, seine Hochachtung und Roxelanen zu[453] besitzen, ohne meinen Glauben zu verändern, so würde ich in der Welt nichts höher schätzen. Seyd nicht so eigensinnig, versetzte der Bey hierauf, wenn euch meine Tochter und meine Freundschafft lieb ist, so könt ihr euch ja leicht zu unserm Glauben bekennen, weil wir mit euch doch einen GOtt verehren: wir erkennen dabey euren Christum für einen grossen Propheten. Warum wolt ihr unserm Mahomed nicht gleiche Ehre erweisen? Christus und Mahomed, war meine Antwort, sind in ihrer Person und in ihren Lehren allzuweit von einander entfernet, als daß man sie jemahl gegen einander solte vergleichen können. Der Bey seufzete darüber, und schlug die Augen gen Himmel. GOtt, sprach er, geb uns zu erkennen, wer von uns beyden den rechten Glauben hat.

Ich fühlte unterdessen bey mir ein ausserordentliches Leyden: bis schöne Mahomedanerin hatte mir ein allzuchristliches Gesichte; ich meynte, sie solte sich deswegen viel besser für meinen Glauben schicken, wo in einer tugendhaften Ehe eine reine ungetheilte Liebe herrschte. Ich unterhielt mich mit diesen Gedanken, als ich einsmahls, kurtz vor meiner bestimten Abreise, da ich, nach meiner Gewohnheit, längst dem Ufer des Meers spatzieren gieng, eines Schwartzen gewahr wurde, der mir auf dem Fuß nachfolgte: er überreichte mir ein Papier: ich eröffnete solches, und fand darin diese Worte:
[454]

Tugendhafter Fremdling.


Ihr wollt verreisen und ich liebe euch: ich möchte gern deswegen euch alleine sprechen. Folget diesem Sclaven / er wird euch sicher zu mir bringen.

Roxelane.


Diese Zeilen machten mich bestürtzt: ich wuste nicht, was ich thun solte: Ich sah in dieser Sache nichts als Gefahr vor mir; die Liebe gab indessen den Ausschlag. Ich folgte dem Schwartzen, er brachte mich in den Garten, worinn ich öffters Roxelanen mit ihrem Vater gesehen hatte: Er hieß mich hier warten, und verlies mich.

Roxelane erschien: eine angenehme Demmerung, welche den Glantz des Mondes erhellete, gab mir ihre Schönheit vollkommen zu erkennen: sie war auf eine Art gekleidet, die mir alle Reitzungen davon entdeckte: ein lichter Silber-Flor hieng von ihrem Haupt herunter: ihre Haare waren künstlich in Locken gelegt, und mit grossen Orientalischen Perlen durchflochten; ein dreyeckigt gebogenes Silber-Blech mit doppelt geschliffenen Diamanten besetzt, gläntzete auf ihrer Stirne: ihre Brüste waren nur mit einem dünnen Schleyer bedeckt, und zeigten zugleich den feinsten Wuchs des schönsten Leibes. Kurz, ihr gantzes Wesen[455] hatte etwas so einnehmendes und entzücken des, daß ich als ein Mensch, der ausser sich war, vor ihren Füssen niedersanck. Ich küste ihre Hände, ich umfaste ihre Knie: ich seufzete und konte kein Wort zum andern bringen.

Roxelane schien nicht weniger gerührt; Mein Vater, sagte sie mit einer schwachen Stimme, hat euch zu meinem Bräutigam erwehlet, und mein Herz hat dessen Wahl gebilliget; eure Augen haben mich beredt, ihr wäret damit zu frieden; und nun wolt ihr verreisen? dieses verschmähet mich. Ich kan euch meine Empfindlichkeit darüber nicht bergen; entdecket mir davon die Ursach. Liebet ihr mich nicht, so will ich euch nicht nöthigen hier zu bleiben; es wäre mehr meine Schuld als eure, wann ich euch nicht gefiel. Liebet ihr mich aber, wie mich dessen eure Augen und eure Gebehrden so offt beredet haben, warum wolt ihr mich verlassen?

Dürfte ich, o himmlische Roxelane, war meine Antwort, keinen andern Gesetzen, als den Bewegungen meines Herzens folgen; so würde ich mein Leben für mehr als glücklich schätzen, wann ich es auch nur als ein Sclave in euren süsen Banden zubringen könte; allein, ich bekenne mich zu einem Glauben, welchen man hier verabscheuet. Ich bin ein Christ, und achte es für meine höchste Ehre ein solcher zu seyn; ich würde tausendmahl lieber den schmählichsten Tod leyden, als eine Wahrheit verleugnen,[456] deren mich der HErr Himmels und der Erden zu überzeugen gewürdiget hat.

Euer Eiffer, großmüthiger Christ, sagte Roxelane, gefällt mir wohl: er schickt sich für eine so edle Seele: ich liebe die Leute, die nach ihrer Art GOtt mit einer solchen Aufrichtigkeit verehren. Dieses zeiget ein Herz, auf dessen Treu man sich verlassen kan. Saget mir aber, geliebter Freund, fuhr sie fort, verbietet euch dann euer Glaube eine Mahomedanerin zu heyrathen, die mit euch einen GOtt verehret, nemlich den Schöpffer der Welt, der uns durch seine Propheten den Weg der Tugend hat lehren lassen?

Was mir hierinn, erklärte ich mich, meine Religion erlaubet, verbietet euch die eurige: Euer Vater, schönste Roxelane, hat mir eine Bedingung vorgeleget: ich soll meinen Glauben verleugnen, und den seinigen annehmen: dieses hies euch für einen ehrlichen Mann einen Heuchler geben; der, wenn er an GOtt untreu ist, sich auch kein Gewissen daraus machen würde, solches gegen euch und euren Vater zu seyn.

Roxelane beantwortete diese Rede mit einem tiefen Seufzer: Sie schlug ihre Augen, aus welchen einige Thränen flossen, beweglich gen Himmel. Ach! rief sie aus, du einiger GOtt! warum trennet dasjenige dein Gesetz, was doch die Liebe und die Tugend verbindet?[457]

Sie schwieg hierauf still, und schien demjenigen, was ihr die Liebe für mich eingab, tief denckend nachzusinnen. Wohlan, mein Freund, brach sie endlich heraus: Ich will mit euch diese Ufer verlassen, und euch noch mehr als eine geborne Christin lieben. Das sey ferne, versetzte ich hierauf, daß ich die Wohlthaten des grossen Beys, eures Vaters, mit einer solchen Untreu belohnen, und ihm das liebste, was er hat, dafür entführen soll? Dieses ist auch nicht meine Meynung, erwiederte Roxelane: ich hoffe meinen Vater mit gutem darzu zu bereden; denn ich fühle in meiner Brust eine unwiderstrebliche Regung eine Christin zu werden: ich habe verschiedene von euren Büchern gelesen: eure Gespräche mit meinem Vater haben mich darauf völlig überzeuget. Ich habe ihm solches entdeckt. Er hat mich auch darüber bestraffet; allein, ich hab Ursach zu glauben, daß ihm solches nicht von Herzen gehet, und daß er vielleicht selbst ein Christ werden würde, wenn er nicht zuviel dabey zu verliehren hätte.

Indem sie dieses sagte, hörten wir eine Thür im Seraglio aufgehen, und sahen den Bey auf uns zukommen. O Himmel, sprach er, indem er sich uns näherte, und zugleich die Hand an seinen Säbel legte, was sehe ich hier? Ach Vater! schrye ihm Roxelane voller Schrecken entgegen, indem sie sich zu seinen Füssen warf, mäßiget euren Zorn: ist meine That gleich ungewöhnlich, so ist sie doch unschuldig. Wie,[458] vermessener Ausländer, redete er mich darauf an, ist dieses diejenige Tugend, damit ihr die Vortreflichkeit eures Glaubens beweisen wollet? Entrüstet euch nicht, geliebter Vater, unterbrach hier abermahl Roxelane, indem sie ihm noch fest an den Knien lag, höret mich, und wo ihr ein Verbrechen findet, so wendet allen euren Zorn gegen mich: ich, nur ich allein, bin schuldig.

Roxelane erzehlte ihm hierauf, wie sie mich hätte zu ihr in Garten kommen lassen, und wie großmüthig und tugendhaft ich mich gegen sie erkläret hätte. Der Bey wurde darüber bewegt: ich schelte euch nicht, meine Tochter, sagte er zu ihr, mit einem besänftigten Wesen, daß ihr diesen Ausländer liebet: ich selbst bin ihm gewogen; allein, mein Freund, fuhr er fort, indem er sich zu mir wendete, ihr wisset meine Meinung: ohne ein Mahomedaner zu werden, könnet ihr meine Tochter nicht besitzen. Wollet ihr diese Bedingung nicht eingehen, so verlasset uns, und stürzet uns beyde nicht ins Unglück. Er reichte mir darauf zum Zeichen seiner Freundschaft die Hand, welche ich mit Ehrerbietung küste, und lies mich wieder durch lange Gallerien aus dem Seraglio bringen.

Die Liebe zu Roxelanen verursachte bey mir eine recht peinliche Leydenschaft, sie schien mir eine allzuschöne Seele zu haben, als daß ich zu ihrer völligen Bekehrung nicht alles wagen solte:[459] gleichwohl sah ich mich durch eben die Gesetze des Christenthums gebunden, in dieser Sache mich keiner andern Mittel zu bedienen, als die mit der wahren Aufrichtigkeit übereinkamen. Meine Liebe zu Roxelanen wurde durch die mindeste Absicht beflecket, die nicht mit der Reinigkeit des Christenthums übereinstimmte.

Der Bey sand mir den andern Morgen nicht nur das ihm gezahlte Löse-Geld wieder zurück; sondern begleitete solches auch mit ansehnlichen Geschencken. Wobey er mir zugleich andeuten lies, daß eine Gallere für mich fertig hielt, mich samt meinen Leuten nach Sicilien zu begleiten. Dieses war ein Befehl: ich konte solchem nicht entgegen handeln. Ich nahm also von dem Bey Abschied, und zeigte ihm für seine mir erwiesene Grosmuth die lebhafteste Danckbarkeit.

Es wurde mir nicht erlaubt, Roxelanen noch einmahl vor meiner Abreise zu sehen. Ich hielt deswegen einen Brief an dieselbe fertig, in Meynung solchen dem Schwarzen einzuhändigen, wenn er sich noch einmahl bey mir melden würde. Ich betrog mich nicht in meiner Hofnung: meine Leute waren bereits an Boord: ich saß noch auf einem niedrigen Gemäuer an dem Hafen, und hatte meine Augen beständig nach dem Seraglio hingewandt. Die Segel wurden aufgezogen, die Ancker gelöset, und man kam mir anzudeuten, daß man bereit wär vom Land zu stossen, und die hohe See zu gewinnen: Ich[460] stund mit schwerem Herzen von meiner Stelle auf, und gieng mit langsamen Schritten nach dem Boot, welches mich in mein Schiff bringen solte. Indem erblickte ich den Schwarzen: er kam und überreichte mir ein Kästgen. Ich gab ihm dargegen, nebst einem kleinen Geschenck, einen Brief an Roxelanen, darinn ich diese schöne Africanerin meiner ewigen Liebe versicherte, und sie zugleich ersuchte, mir von ihrem Zustand und den Fortgängen ihres Christenthums Nachricht zu geben.

Ich gieng damit zu Schiff, und verließ das Tunesische Gestade mit weit mehr Unruh, als ich war dahin gekommen. So bald ich alleine war, öfnete ich das von Roxelanen mir überschickte Kästgen, und fand darinn, nebst einigen Kleinodien, ihr mit Diamanten eingefastes Bildnüs: ich betrachtete solches mit einer entzückenden Freude: ich fand dabey ein gefaltenes Papier, und las darinn folgende Zeilen:


Geliebter Freund.


Ich sehe euch verreisen: ich begleite euch mit meinen Thränen. Ihr verlasset mich / nachdem ihr mein Herz mit der zärtlichsten Liebe für euch / und mit dem sehnlichsten Verlangen euren Glauben anzunehmen / erfüllet habt. Was soll ich nun anfangen: werd ich euch jemahls wieder sehen: O vergesset nicht eine unglaubige / die mit solchem Eifer sucht glaubig zu werden. Schreibt mir durch[461] den Armenischen Kauf mann Carajutz von Damasco: Seine Frau wird die richtige Bestellung eurer Briefe besorgen. Verschmähet unterdessen nicht die Abbildung von einem Weibs-Bild / welches euch eurer Tugend halben liebet. Mein Herze solte euch vielleicht besser gefallen /wann ihr solches kennen würdet. Ich bin eure getreue Roxelane.

Lebet wohl.


In vier und zwantzig Stunden kam ich mit meinem Volck glücklich wieder nach Sicilien. Der Hof war über meine Verrichtungen, so schlecht sie auch waren, doch nicht mißvergnügt. Ich rühmte die Grosmuth des Bey, und hatte das Glück, daß die Friedens-Tractaten, wie ich solche mit den Tunesern verabredet hatte, unterschrieben und durch mich ausgefertiget wurden. Ich sandt solche an den Bey, und bat mir keine geringere Vergeltung dargegen aus, als Roxelanen.

Ich schrieb zugleich an dieselbe: Ich bat sie, ihren Vater mit guter Art zu seiner Einwilligung in unsere Heyrath zu bereden. Es verflossen bey nah fünf Monathe, ehe der Bey der Liebe seiner Tochter nachsehen wolte. Er wurde endlich durch das Lesen guter Bücher, und durch die beständige Gespräche des Armeniers Carajutz, von den Wahrheiten der Christlichen Religion dergestalt überzeuget, daß er mir seine Tochter bewilligte, und dabey[462] heimlich den Endschluß faßte, mit der Zeit seine höchste Stelle in der Regierung abzudancken, und sich zu uns nach Sicilien zu begeben.

Ich erhielt diese Nachricht mit einer unaussprechlichen Freude. Roxelane meldete mir dabey, wie, auf was Art und zu welcher Zeit ich sie zu Pessara von meinen Leuten in Türckischer Kleidung solte empfangen lassen.

Ich kam ihren vorsichtigen Erinnerungen in allem nach: Ich hielt bereits acht Tage mit meiner Gallere in besagtem Hafen. Ich begunte zu fürchten, man mögte unsern Anschlag entdecket haben, weil ich binnen dieser Zeit nichts von Roxelanen vernahm. Wenn man liebet, so ist einem das Warten in dergleichen Fällen die gröste Marter; zumahl, wenn die Furcht darzu kommt, dasjenige, was man liebet, zu verliehren.

Endlich ließ sich auf der hohen See ein grosses Tunesisches Fahrzeug sehen, welches einen Boot nach dem Hafen schickte, und sich nach Griechischen Kauf-Leuten, die nach der Levante segeln solten, erkundigte. Meine Leute waren gleich an Boord, es fand sich keiner von denen, die mit mir zu Tunis waren, darunter. Sie fuhren nach dem Tunesischen Schiff: Roxelane wurde ihnen mit verdecktem Angesicht von einigen Tunesern, als eine vorgegebene Braut eines Bassa in der Levante,[463] überliefert. Meine Leute thaten darauf, als ob sie nach Copern segeln wolten; so bald aber hatten sie nicht das Tunesische Schiff aus dem Gesicht verlohren, so kehrten sie nach dem nechsten Hafen von Sicilien wieder zurück, derselbe lag nur drey Meilen von Pessara: Ich hatte mich mit einer kleinen Jagd dahin begeben; es war bereits Nacht, als Roxelane da ankam: Die Freude, die wir empfanden uns wieder zu sehen, litte keine Ausdruckungen. Ich bin nun gantz die eure, sprach Roxelane, indem sie mich in ihre Arme schloß, und ich werde nun solche ewig bleiben.

Sie brachte mir so viel Geld und Jubelen mit, daß ich meine Dienste bey Hof abdanckte, und mir in der anmuthigsten und fruchtbarsten Gegend von Sicilien, ein schönes Land-Gut kaufte. Ich gedachte hier mein Leben in der süssesten Vereinigung mit meiner liebenswürdigsten Tuneserin zuzubringen. Aber ach! wie eitel sind der Menschen Anschläge.

Ich liebte Roxelanen allzuheftig, als daß ich mich dadurch nicht so sehr an eine blosse Creatur solte gebunden haben; dergleichen innigste Vereinigung findet man nicht in dieser Welt: Sie war ein Vorschmack des Paradieses, wenn sie nicht die Furcht der Sterblichkeit beunruhigte. Es vergieng nicht leicht ein Tag, da wir uns dieses nicht vorstellten, und darüber eine gewisse Traurigkeit empfanden, die uns bey dem Genuß des grösten Vergnügens[464] seufzen machte. Wir hatten eine Ahndung, daß wir nicht lang beysammen bleiben würden. Es ist ein verborgener Zusammenhang in der Natur, und wie eine Säyte, die man an einem Ende beweget, ihre Rührung zugleich am andern Ende empfinden lässet; so spüret öfters unser Geist ein ihm unbekantes Gefühl von dem, was uns vorstehet. Meine Glückseligkeit war zu gros für eine Welt, darinn die meiste Menschen nur zum Leiden scheinen geboren zu seyn.

Es geschah auf Befehl des Bey, daß wir unsern Wohn-Sitz so nah bey der Barbarey genommen hatten: Seine Absichten giengen dahin, seine Würde niederzulegen und bey uns verborgen als ein Christ die übrige Lebens-Jahre zuzubringen. Das Schloß, welches wir bewohnten, lag unweit einem kleinen Meer-Port; Wir hatten eine treffliche Vieh-Zucht, und nebst der feinsten Seide auch die reinste Wolle. Die benachbarte Tuneser und Algierer kamen in der Menge herüber gefahren, um solche aufzukauffen. Wir wurden von ihnen bald ausgekundschaftet: Der verkehrte Religions-Eifer kan in der Welt nichts anders als Böses stiften: Ein Tuneser wuste unter andern bey mir und meiner Frauen ungemein sich einzuschmeicheln. Dieser Böswicht war von den Dervis abgeschickt, um meine Frau aus der Welt zu schaffen: Ihr Vater hatte um eben diese Zeit ein gleiches Schicksal gehabt: Die Mahomedaner halten dieses für[465] ein Gesetz, alle diejenige, die von ihrem Glauben abfallen, aus dem Weg zu räumen.

Der Verräther stellte sich, als ob er dem Exempel der Roxelanen folgen wolte, welche gleich nach ihrer Ankunft den Christlichen Glauben mit der grösten Begierde angenommen hatte. Diese Verstellung machte, daß wir ihn zu uns nahmen und ihm alles vertrauten. Man behält noch immer eine natürliche Zuneigung zu solchen Leuten, die mit uns, unter einerley Himmels-Gegend, in diese Welt gekommen sind, und so zu sagen, mit uns einerley Luft und Speise genossen haben. Roxelane liebte insonderheit ein gewisses kühlendes Getränck, woran sie von Jugend auf gewohnet war. Ihr treuvermeynter Lands-Mann konte solches ungemein nach ihrem Geschmack verfertigen. Er nahm Gelegenheit, ihr damit zu vergeben, und machte sich darauf heimlich weg; Damit ich aber auch wissen mögte, wo der Streich herrührte, so hinterlies er folgende Nachricht: Roxelane hat ihren Glauben verläugnet: Der grosse Prophet hat allenthalben seine Abgesandten: Sie wird dafür den Tod leiden / und ich schätze mich selig / daß ich zu einem Werkzeug der Göttlichen Rache habe dienen können.

Das Gift that zwar langsam seine Wirckung; Roxelane aber spürte bald den Tod in ihren Gliedern wühlen. Sie verbarg mir,[466] was sie darüber leiden muste: Ich habe mir, sprach sie, wohl vorgestellet, daß wir nicht lang beysammen bleiben würden: Unsere Liebe ist zu vollkommen; Etwas vollkommenes aber hat keinen Bestand in dieser Welt. Wir müssen scheiden, und ich sterbe als eine Christin; Voll Verlangen und Sehnsucht bey demjenigen Heyland zu seyn, der sich mir auf eine so ausserordentliche Weise hat zu erkennen gegeben. Nur das einzige quälet mich, daß ich euch verlassen soll: Meine Empfindlichkeit würde darüber mehr als grausam seyn, wenn ich nicht wüste, daß der Tod nur unsern Leib, nicht aber unsern Geist trennet.

So starck sie auch ihr Glauben machte, so konte sie doch allhier ihrer Zärtlichkeit nicht vermehren, einige Thränen zu vergiessen. Ich war durch diesen Zufall dermassen gerühret, daß ich einem Sterbenden ähnlicher sah als Roxelane. Mein Schmertz und meine Empfindung gieng so weit, daß ich mit ihr sterben wolte. Ich konte in etlichen Tagen nicht die geringsten Speisen zu mir nehmen. Ich erfüllte das gantze Haus mit einem jämmerlichen Seufzen und Wehklagen. Ich gieng aus einem Zimmer in das andere, und konte in keinem bleiben. Der Verlust von Roxelanen schien mir unerträglich.

Diese, als sie mich in diesem traurigen Zustand sah, suchte alle ersinnliche Trost-Gründe hervor, um mich ein wenig aufzurichten.[467] Warum wollet ihr doch, mein lieber Mann, sprach sie, mir den Tod noch schwerer machen? Seyd ihr dann nicht auch ein Christ? Seyd ihr nicht das Mittel gewesen, daß ich eine Christin worden bin? Habt ihr mir nicht selbst gesagt: Jenes Leben sey unaussprechlich besser, als dieses? Zweiffelt ihr nun daran? Mißgönnet ihr mir solches? O nein! Ich weiß, daß ihr mich liebet, und daß euch deswegen meine Seligkeit erfreuen muß.

Einige Tage darauf richtete sich meine sterbende Frau in ihrem Bette auf: Sie hatte den Tod auf ihren Lippen, ihre Augen aber waren voller Glantz: Es belebte sie gleichsam ein himmlisches Licht: Fahret wohl, mein geliebter Gemahl, sagte sie zu mir, indem sie mich an ihre Brust mit gröster Bewegung druckte, fahret wohl, fasset euch, ich werde scheiden. Wir haben uns auf ewig zusammen verbunden; Der Tod will dieses Band zerreisen; allein seine Macht ist vergebens: er mag den Leib immer hinnehmen, dasjenige, was euch in mir liebet, ist unsterblich. Wir haben uns hier auf Erden nur kennen lernen, um in jenen Wohnungen der seligen Geister auf ewig mit einander zu leben.

Meine Frau redete diese Worte, als eine Seele, die bereits in einer Göttlichen Entzückung lag, und deswegen einen höhern Strahl des Lichts genosse; weil die unordentliche Bewegungen ihres Cörpers aufhörten, und den[468] Geist in der Beschauung des neuen Lebens, dem sie entgegen rückte, nicht weiter hinderlich waren. Ich fragte sie deswegen, ob sie dann vollkommen versichert stürbe, daß unsere Liebe auch in der Ewigkeit noch statt haben würde?

Mein lieber Mann, erklärte sich die Sterbende: Ich weiß, seitdem ich eine Christin bin, daß man im Himmel sich nicht freyen noch freyen lassen wird. Ich weiß aber auch durch eben den Geist, der uns solches offenbaret hat, daß diejenigen, die sich hier im Herrn geliebet haben, ihre Liebe auch in jener seligen Ewigkeit fortsetzen und unzertrennlich mit einander verbunden bleiben werden. Ja, diese Vereinigung wird sich nicht nur allein auf treue Ehgatten, sondern auch auf alle diejenige erstrecken, die wir allhier in tugendhafter und reiner Neigung, so wohl dem Blut als dem Gemüthe nach, geliebet haben. Dann unsere Tugend bleiben nicht in dieser Welt: sie sind weder dem Tod noch der Verwesung unterworffen: sie folgen uns nach, und vereinigen uns wieder mit GOtt, als ihrem Ursprung. Die Liebe ist die gröste unter allen; sie ist die Quelle, woraus alle andere herkommen: sie ist eine Ausfluß des Göttlichen Wesens, und fliesset auch wieder in das Göttliche Wesen ein. Sie vergöttert unsere Natur; sie verkläret uns in dasselbige Bild, und macht uns Göttlicher Eigenschaften theilhaftig.[469]

Die Liebe zu den Creaturen und die Liebe zu GOtt wird alsdann nicht mehr getrennet seyn; sondern einerley Neigung ausmachen; Wir werden alles in GOtt, und GOtt wieder in allem lieben. Wir werden in seine Absichten eingehen, und dabey seine Allmacht, seine Weisheit, und seine Liebe bewundern; Das Böse wird aufhören, und das Gute ewig bleiben. Unsere Liebe wird sich mit ihrem reinen Ursprung verbinden, und aus dieser unendlichen Quelle, ihre Anmuth, ihre Nahrung und ihre Ewigkeit schöpfen: sie wird noch immer vollkommener, glückseliger und Göttlicher werden.

Als sie hierauf ein wenig still geschwiegen, und gleichsam frischen Othem geschöpfet hatte, endigte sie mit diesen Worten: Ich empfinde nun für euch, sprach sie, mein Liebster, zum letzten mahl die Schwachheiten einer leidenden Natur. Es thut mir zärtlich weh, daß ich von euch scheiden muß. Diese Empfindung wird mit dem Cörper sterben: Unsere Geister aber werden sich nach diesem Leben auf ewig vereinen. Lebet wohl, mein Gemahl. Liebet mich auch nach dem Tode, wann es der Zustand von jener Welt und die mir noch unbekannte Ordnung des grossen Schöpfers leiden wird; so soll euch mein Geist von seinem Zustand, wie er von dem Leibe abgeschieden lebet, einige Nachricht ertheilen.

Sie reichte mir hierauf die Hand, und[470] verschied ohne die allergeringste Bewegung: mehr als ein Engel, der verschwindet, als ein Mensch, dessen Le bens-Bande sich mit Schmertzen trennen.

Ich war noch kein so starker Christ, diesen allzu herben Riß der Natur mir Standhaftigkeit zu ertragen; Ich sanck darüber zu Boden; Ich litte alle Schmertzen des Todes, und muste leben, um solche zu empfinden. Ich fiel darüber in einen so tieffen Kummer, daß ich wie eine Leiche herum gieng, alle Menschen floh, und mich den gantzen Tag hindurch in einem dunckeln Wald, der hinter meinem Garten lag, verborgen hielt.

Ich fand mich in einem Stand der Entblössung, worinn ich die Nichtigkeit meiner eignen Weisheit und Stärcke muste erkennen lernen: Es war mir alles entzogen, womit sich sonst die Menschen trösten können: Die Welt und alles war mir zuwider. Der König, der von meinem Zustand Nachricht eingezogen hatte, sandt mir seinen Leib-Artzt, nebst einem von meinen guten Freunden. Ich war gantz Leutscheu worden, und fühlte deswegen einen heimlichen Schauer, da ich dieser beyden Herrn ansichtig wurde. Diese Bewegung aber verlohr sich bald: sie suchten mich zu bereden mit ihnen nach Hof zu gehen, sie stellten mir vor, daß nichts mein Gemuth von seinem anhaltenden Leiden hurtiger abziehen würde, als die Veränderung der Vorwürffe.[471]

Ich ließ mir rathen: ich wolte nicht eigensinnig seyn: ich wuste, wie schädlich diese Gemüths-Art war. Die Bewegung der Reise, die Veränderung der Luft, die gute Gesellschaft; vornehmlich aber der Entschluß, mich gantz und gar der Göttlichen Schickung zu überlassen, machten, daß ich ziemlich wohl zu Palermo ankam.

Der König erzeigte mir viel Gnad: und nöthigte mich endlich gar, zum Zeichen seiner Gunst, eine junge Dame zu heyrathen, die aus einem der grösten Häuser von Sicilien war: Sie war jung, lebhaft und schön. Ich weiß nicht, warum GOtt diese andere Heyrath über mich verhänget hat. Vermuthlich solte mir dadurch alle Welt- und Creaturen-Liebe völlig verleidet werden.

Ich hatte noch kaum einige Wochen in dieser Ehe zugebracht, so entdeckte ich an meiner Gemahlin eine zu allen Ausschweiffungen geneigte Seele: Ihre Laster machten mich an die Tugenden der Roxelanen dencken; das Verlohrne schien mir unschätzbar, das Gegenwärtige unerträglich. Meine Frau hatte eine dermassen üble Erziehung gehabt, daß sie nicht einmahl wuste, was Ehre, was Tugend, und was Religion war.

Sie fand sich sehr beleydiget, da ich zum ersten mahl es wagte, ihr einige Vorstellungen zu thun. Wie! Mein Herr, sagte sie[472] bilden sie sich ein, daß sie mich hofmeistern wollen? O diesen Lusten lassen sie sich vergehen: sie haben keine Barbarische Tuneserin mehr vor sich. Ich habe mich deswegen nicht geheyrathet, um unter der Botmäßigkeit eines Mannes zu stehen, von dem ich mir eingebildet, daß er mir zu Gefallen leben würde. Alle meine Ermahnungen waren also bey ihr vergebens: Sie sagte, daß ihr meine Sitten-Lehren mißfielen, und daß sie nach ihrer Weise leben wolte. Damit war unser Verständnis auf einmahl aufgehoben, da wir kaum noch vier Monathe geheyrathet waren. Wir begegneten uns einander gantz fremde, und speiseten selten zusammen an einer Tafel.

Meine Frau ergab sich allen Unordnungen: Sie war bey allen Lustbarkeiten des Hofs: Jedermann schmeichelte ihr: dieses war ihre Haupt-Begierde: sie wolte gefallen, und suchte ihr Vergnügen in der Menge ihrer Anbeter und Liebhaber. Von den Pflichten eines vernünftigen Weibes wuste sie nichts: Sie hatte nicht einmahl Zeit daran zu dencken: Sie war allzu sehr in ihren Eitelkeiten und Wollüsten zerstreut.

Hätte ich mich darüber beklagen wollen, so würde man mich für einen wunderlichen und eigensinnigen Mann gehalten haben. Man lebte nicht anders in der grossen Welt. Es war nicht mehr Mode, daß sich die Weiber ehrbar und die Männer weise stellten. Die[473] Ehe war ein Sacrament für den Pöbel, und ein Stand der Freyheit für den Adel. Ich hatte davon andere Begriffe: ich liebte die Tugend: ich sah ihren Fortgang ewig, und das Ende der Laster mit Schrecken. Ich muste mich unterdessen verstellen: ich wolte mich weder lächerlich machen, noch viel weniger über eine Sache einen Rechts-Streit anfangen, wo der Gebrauch die Gesetze aus der Ubung gebracht hatte. Ich befand mich in diesen Umständen, und dachte ihnen nicht ohne betrübter Empfindung nach; als ich einmahls darüber in einen tiefen Schlaf fiel.

Mir träumete, ich wär in einem düstern Wald, wo ein braussender Wasserfall sich von einem wilden Gebürg herunter stürtzte, und zwischen ungeheuren Felsen und Klippen durchrauschte. Ich empfand hier eine Verachtung gegen alle Schönheiten dieser Erden. Ich entschloß mich, ein Feind der Menschen und ihrer Ergötzlichkeiten zu seyn. Ich sah allerhand wilde Thiere, die vor mir flohen, und hörte an statt der lieblichen Töne, die sonst in den Wäldern erschallen, nichts als ein zischendes Pfeiffen der Uncken und Hammelmäusgen; und das Rufen der Kautzgen und Nacht-Eulen. Man muß schon zu einem hohen Grad der Träumerey gelanget seyn, wenn einem solche Dinge mehr anmuthig als fürchterlich vorkommen: Ich fühlte bey mir eine Melancolie, welcher ich nachhieng; ich war traurig, und wolte es seyn:[474] mein Kummer war mir angenehm, und mein Leiden ein Vergnügen.

Auf einmahl wurde in diesem Wald alles lichte: nicht anders wie in den Schauspielen, wenn man den Vorhang aufziehet. Ich fand mich in der schönsten Gegend: ich beobachtete keinen Strich, der Himmel und Erden schied: ich sah ihre Tiefen mit Erstaunen: ein unendliches Licht erfüllete den unendlichen Raum: ich hörte Stimmen, welche die reinste Töne ausstiessen: ich fühlte eine Lufft, die meine Brust mit der süssesten Empfindung bewegte, und deren Hauch alles mit dem lieblichsten Geruch durchdrang: ich sah Geschöpffe von ungemeiner Schönheit, die theils den Menschen, theils den gemahlten Cherubinen glichen; Aus ihren Augen strahlte die Liebe, die Anmuth und die Holdseligkeit. Ich kam darüber in eine Entzückung, darinn ich bald mit Menschen, bald mit Engeln mich vermenget sah; ich erblikete darunter Roxelanen: ihre Gestallt war in einen hellgläntzenden Schleyer verhüllet, dadurch ich bald ihren gantzen Leib, bald aber nichts als ein bloses Licht erblickte; dessen Strahlen so scharff und durchdringend waren, daß ich darüber die Hände vor die Augen halten muste: endlich erschien sie vor mir in ihrer gewöhnlichen Kleidung: in ihren Augen lachte ein himmlisches Feuer, sie winckte mir mit der Hand, verbot mir aber, sie (nicht) anzurühren.

Ich bin selig, sagte sie zu mir: aber diese[475] Seligkeit ist unaussprechlich: Die Gegenwart GOttes erfüllet alles: die Seelen der Gerechten sind davon durchdrungen; doch finden sich in diesen Wohnungen unzehlich viele und verschiedene Gegenden. Die untersten, wo die Seelen, wann sie erst von dem Leibe scheiden, hinkommen, sind weder finster noch lichte: den meisten thut die Absonderung von ihrem Cörper leyd: sie sehnen sich deswegen, doch eine mehr als die andere, noch immer nach ihren vorigen Hütten. Die Geitzigen zehlen noch ihr Geld: die Hochmüthigen sinnen noch auf Pracht; und die Wollüstigen seufzen noch nach ihrer vorigen Lust: ihr Zustand ist noch immer nach denen Neigungen eingerichtet, welche sie mit aus der Welt bringen. Diejenige Seelen aber, welche bereits sich durch den Glauben und die Weißheit mit GOtt bekannt gemacht haben, die dringen hier mit einer ungemeinen Begierde und einer schnellen Erhebung, durch alle Zwischen-Räume hurtig durch, und gelangen also zu der Gemeinschafft GOttes, welche die Seligkeit ist; mittlerweile, daß hingegen die noch irrdisch gesinnte Seelen, so lang und so viel durch ihre böse Neigungen und Thorheiten herumgetrieben werden, biß sie endlich solche selbst erkennen und verfluchen lernen: da sie dann von einer Läuterung zur andern, und von Grad zu Grad erhöhet, des Einflusses des göttlichen Lichtes fähig werden. Bis endlich Christus, als das Haupt aller Glaubigen, sein Reich beginnen; unsere Leiber wieder mit dem Geist vereinigen und Licht und Recht, nach den Absichten[476] GOttes in der Schöpfung vollkommen herstellen wird. Sonst wissen eigentlich die Seelen hier nichts von dem, was sich auf der Erden begiebt; Es wird ihnen aber zuweilen vergönnet, wenn sie die Liebe zu den Hinterlassenen allzuheftig dringet, einen Blick dahin zu thun: sie versencken sich so dann in den Glanz des höchsten Lichtes, welches aus GOtt strahlet, und worinn sie als in einem Traum dasjenige sehen und zu wissen bekommen, was sonst niemand als GOtt allein wissen kan. Mehr kan kein irrdischer Verstand von diesen Dingen fassen. Trachte unterdessen in der Welt so zu wandeln, daß dir deine gute Wercke nachfolgen können, und daß ein aufrichtiges Verlangen nach GOtt, deiner Seele den Weg bahnen möge, durch alle Wohnungen der irrdischen Geister hurtig durchzu dringen und des göttlichen Lichtes theilhaftig zu werden. Fliehe unterdessen den Ort, der deiner Tugend gefährlich ist; rühre nichts unreines an; verlaß deine Ehebrecherin; begieb dich in ein Land, wo dich niemand kennet. Lebe daselbst entfernet von den Thorheiten dieser Welt. Nahe dich immer näher und näher zu GOtt, durch die Weisheit, die von oben kommt; so werden deine Jahre ruhig verschleissen, und dein Ausgang aus der Welt wird dein Eingang in den Himmel seyn.

Hierauf verschwand der schöne Geist der Roxelanen, und ich erwachte. Ich hielt sonst nichts auf Gesichter und Träume. Hier aber[477] schien mir der Traum von etwas mehr als einer menschlichen Fantasie herzurühren. Ich gieng mit mir selbst zu Rath und fand in mir eine starcke Uberzeugung, dasjenige ins Werck zu richten, was mir Roxelane im Schlaf angedeutet hatte.

Ich verlies Sicilien, den Hof, und meine ungetreue Gemahlin: ich nahm weiter nichts mit mir, als etwas weniges an Gold, nebst den Kleinodien von Roxelanen. Ich hatte niemand bey mir, als meinen Cammerdiener. Ich reiste damit durch ganz Illyrien, und kam bis an diesen Ort: ich fand eine Neigung in dieser Einöde zu bleiben, ich erblickte in der Ferne das Schloß des Grafens von Sylva: ich meldete mich bey ihm, und fragte ihn, ob ihm nicht ein Stück Landes jenseit des grossen Teiches feil wäre. Der Graf betrachtete mich mit besonderer Aufmerksamkeit: er erkundigte sich, wo ich her käm, und ob ich auch Geld hätte, ein Land-Gut zu kauffen? Ich antwortete ihm auf das erste, daß ich ein Lampurdaner wär, der wegen eines gehabten Unglücks ausser seinem Vaterland leben müste: wegen dem andern zeigte ich ihm eine Handvoll Perlen und Juwelen, die ich nebst dem Bildnüs meiner Roxelanen bey mir führte. Der Graf schien darüber verwundert, und lies mir nicht undeutlich einen Argwohn blicken, als ob ich diese Schätze nicht auf eine rechtmässige Art besitzte: solches beleidigte mich nicht, ich begnügte mich damit, ihn einfältig zu versichern, daß ich ein[478] ehrlicher Mann wär; und ersuchte ihn zugleich, meine Kostbarkeiten in Verwahrung zu behalten. Die Art, womit ich ihm dieses sagte, benahm ihm alles Mistrauen; er begegnete mir darauf nicht nur höflich, sondern als einer Person seines Standes; Er überließ mir diese kleine Länderey, welche sie hier von mir angebauet sehen.

Quelle:
Johann Michael von Loën: Der redliche Mann am Hofe. Frankfurt am Main 1742., S. 426-479.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon