13.

[79] Hier wird erzählt, wie Amor thut

Dem Liebenden, der wohlgemuth

Sich an der Blumen-Pracht entzückt,

Wo er die Knospe hat erblickt,

Und wie er so zu nahen tracht't,

Dass er sie ganz sein eigen macht,

Wagt er nicht vorzuthun den Fuss,

Weil Amor droht mit seinem Schuss'.


Der Gott der Lieb', der ungespart

Gespanntes Bogens immer harrt,

Zu schießen sich geduldet kaum,

Schleicht hinter einem Feigenbaum'

Herzu, und wie er mich da sieht,

Daß ich erwählet diese Blüth',

Die allso mächtig mir gefällt,

Wie keine andre in der Welt,

Nimmt rasch er einen Pfeil zur Hand,

Und wie die Senne nur gespannt,

Zieht er den Bogen wunder stark

Schier bis an's Ohr so weit und arg,[80]

Und zielt auf mich mit dem Bedacht,

Daß er durch's Aug' ins Herz mit Macht

Mir schieße und mit viel' Gewalt.

Da aber überlief mich's kalt,

Daß unter meinem warmen Kleid'

Mich Schauder schüttelte zur Zeit.


Nachdem mich so der Pfeil zerstach,

Fiel ich zur Erd' der Länge nach;

Mir fehlt das Herz, mir liegt der Muth –

Da lag ich lang ohn' Sinn und Blut

Und wie ich mich zusammennahm

Und zu Verstande wiederkam,

Da war ich matt und wähnt', es deck'

Die Erde da gar blut'ger Fleck,

Jedoch der Pfeil, der mich durchflog,

Aus mir durchaus kein Blut nicht zog,

Ganz trocken mir die Wunde schien.

Mit beiden Händen faßt ich kühn

Den Pfeil und begann ihn auszuzieh'n

Und aufzuseufzen beim Bemüh'n.

Und zog so lang, bis allgemach

Das Holz ich von dem Pfeile brach.

Jedoch des bärt'gen Pfeiles End',

Der Schönheit wurde zubenannt,

Wir also in mein Herz gedrückt,

Daß Nichts ihn von der Stelle rückt,[81]

So blieb darinnen denn der Stahl,

Und fiel kein Tropfen Bluts zu Thal.

Da war in Schreck und Angst ich gar

Um die verdoppelte Gefahr,

Wußt' Nichts zu sagen, noch zu thun,

Für meine Wund' kein Mittel nun,

Und keiner Wurzel, keinem Kraute,

Ich da als Heilung mehr vertraute.

So nach der Knospe ward geregt

Mein Herz, daß es nicht anders schlägt.

Hätt' ich nur sie in meiner Macht,

Mein Leben wär' zurück gebracht.

Das Ansehn schon und der Geruch

Erleichterten den Schmerz genug.

Und ich begann mich hinzuziehn,

Wo noch ich sah die Knospe blühn,

Doch Amor hatt' schon, aufgeregt,

Ein'n neuen Pfeil darauf gelegt:

Natürlichkeit benannt; der zweit',

Der manchen Mann und manche Maid

Schon in der Welt zur Lieb' geschaart.

Als Amor mich im Nahn gewahrt,

Drückt er auf mich ohn' Ziel und Wahl

Den Pfeil, der ohne Spitz' und Stahl,

Daß in den Leib durch's Auge drang

Der Pfeil, der nie zurücke sprang,

Wähn' ich, von einem Sterblichen.[82]

Vergeblich mit unendlichen

Versuchen wollt' ich aus ihn ziehn –

Jedoch der Pfeil der blieb darin.

Nun, wisset mit Wahrhaftigkeit,

Wenn mich's bereits vor dieser Zeit

Gelüstet nach der Knospe sehr,

So wuchs die Gier nur noch weit mehr.

Jemehr der Schmerz mich nun behext,

Um so viel mehr die Lust auch wächst,

Die stets der Rose nach sich schmiegt,

Die schöner als ein Veilchen riecht;

Und wenn mich auch noch mehr anficht,

Doch widerstehen kann ich nicht;

Denn was mein Herze mir gebeut,

Stets diesem nach mit Kräftigkeit

Gefällt' es mir, zu begeben mich.

Jedoch der Schütz' bemühet sich

Wie er zu rechter Qual mir wär',

Und läßt mich ohne Leid nicht mehr.

So läßt er, ganz mich zu verdrehn

Den dritten Pfeil in's Herz mir gehn.

Und Adlichkeit war der benannt.

Tief war die Wund' und breit von Rand',

So daß ich fiel ganz ohne Sinn

An einem laub'gen Oelbaum hin.

Reglos lag ich 'ne gute Weil',

Als ich mich nun erhol't, so eil'[83]

Ich, ob den Pfeil ich etwa mag

Herausziehn, der im Herzen stak.

Doch nimmer kann den Pfeil ich ziehn,

Wie ich mich immer mag bemühn.


So setzt' ich mich mit meiner Schmach,

Und sorgte viel, und dachte nach;

Gar mächtig reizte mich die Wunde,

Und trieb mich an, daß ich begunnte,

Zur Knosp' zu woll'n, die mir gelüst't.

Da zeigt der Schütz zu dieser Frist

Ein neu Geschoß mir, wohl bereit –

Das vierte war's, Freiherzigkeit.

Der mir nicht minder schrect't den Muth,

Als einen Erhitzten kalte Fluth.

Doch große Macht hat große Roth

Ich sähe wie mir Regen droht.

Durch Stein und Werkstück', bunt und kraus,

Als fiel' ein Hagel da heraus,

Sah' ich beim Gehen mich umringt.

Und Amor, der jed' Ding durchdringt,

Mir Herz und Kühnheit dorten bot,

Wohl zu erfüllen sein Gebot.

Und in den Trümmern fass' ich Grund,

Wohl schwach und matt, dieweil ich wund,

Und streng' mich an, ob durch ich dränge,

(Indem ich nicht den Schütz bedenke)[84]

Zum Rosenstock, wie's Herz nur will –

Doch war von Dornen solche Füll',

Und Stacheln, Spitzen, daß den Hag

Ich nimmer zu bestehn vermag,

So daß die Knosp' ich nimmer pflücke

Es hielt der Hag mich da zurücke,

Der dicht am Rosenstocke sitzt,

Mit vielen Dornen wohl bespitzt.

Jedoch sehr wohl mir da schon war,

Daß ich so nah', und nun gewahr'

Den süßen Duft den aus sie schickt.

Und mächtiglich ward ich entzückt,

Daß ich sie sah, so nah gestellt,

Und so gewann ich g'nug Entgelt,

Daß meine Leiden ich vergaß

Für Freud' und Lust, die ich besaß.

Ich war gar freudig, war gar froh,

Denn nirgends was behagt' mir so,

Als eben dieser selbe Ort –

Ich könnte nimmermehr da fort.


Nachdem 'ne Weil' ich so gestellt,

Der Liebegott mir gänzlich fällt

Das Herz, das er schon so beschoß,

Und gibt mir einen neuen Stoß,

Und sendete nun zum argen Theil'

Zur Hilfe einen andren Pfeil,[85]

Der auf der Brust mir und in's Herz

Nun brachte einen neuen Schmerz.

Geselligkeit hieß dies Geschoß –

Er ging wohl noch einmalen los –

Zu Mädchen- oder Knaben-Freude.

Mein großes Weh sich da erneute

Von meinen Wunden auf dem Fleck –

Ohnmacht dreimal in Einem weg.

Es wird geseufzet und geächzt,

Der Schmerz bewältigend nur wächst,

So daß ich keine Hoffnung je

Auf Rettung und auf Heilung seh',

Wollt' lieber todt als lebend sein,

Denn doch zuletzt – so fällt mir ein –

Stellt Amor ein Quälfest mit mir an,

Aus dem ich nicht entrinnen kann.


Er hat nun auch schon mitlerweil'

Genommen andren starken Pfeil,

Den ich mit großem Leid' empfing

Schön Ansehn ist's, der Keinen fing

Zur Liebe noch, der nicht in Pein

Beklagt, in Amor's Dienst zu sein.

Gar spitz, daß wohl er schneiden darf,

War er, und wie'n Scheermesser scharf,

Doch Amor ihn zuvor noch taucht,

In eine Salb', die duftvoll raucht;[86]

Daß desto mehr er mich verderbe,

Will Amor auch nicht daß ich sterbe,

Er wünscht mich nur erschlafft deshalb

Von dem Geruche dieser Salb',

Die ganz ein Wohlgeruch umwand.

Amor hielt sie in seiner Hand

Zum Trost der feinen Liebenden,

Das Leid mehr zu besänftigen.

Den Pfeil hielt er auf mich gezückt,

Der mir gar sehr mein Herz zerstückt,

Jedoch die Salb', auslaufend hier

In jene Wund', gab wieder mir

Das Herz, das vorher mir gefehlt,

Denn ich war todt und ganz entseelt,

Wenn nicht die schöne Salbe war.

Der Schaft von diesem Pfeil fürwahr

War stark, jedoch der Pfeil blieb drin,

Der eben erst geflogen hin.

So waren fünfe eingesenkt,

Die nun Nichts mehr von daunen lenkt.

Die Salbe freilich half mir sehr –

Jedoch bei alldem schmerzet schwer

Die Wunde – so, daß mir die Farb'

Des Todes auch der Schmerz erwarb.

Der Pfeil den man gar wohlgemeit,

Er hatte Süß' und Bitterkeit.

Ich hab's gewußt und wohl gemerkt,[87]

Daß er mich schmäht, indem er stärkt;

Im Busen gar ein Weh mir tos't,

Jedoch die Salbe gab mir Trost.

Hier heilt sie während dort sie ritzt

So schadet sie, indem sie nützt.


Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 79-88.
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