14.

[88] Wie Amor nicht mehr zaudernd steht,

Den Liebenden zu fangen geht,

Ihm sagt, dass er sich ihm ergebe,

Und dass er nun von Nichts mehr lebe.


Indessen nahte sich nun ganz

Der Gott der Liebe wie im Tanz',

Und wie er kam, rief er mir zu:

Lehnsmann, nimm Gnad', Nichts hast ja Du

Einwand mehr, noch Vertheid'gung gar,

Vergröß're nicht Dir die Gefahr;

Je williger man sich ergibt,

Um desto eh'r wird Gnad' geübt.

Ein Narr ist, der Gefahr erhöht

Bei dem, dem er bezwungen steht,

Wenn es ihm ziemt, um Gnad' zu flehn;

Du kannst nicht gegen mich mehr stehn,

So siehst Du ein zu dieser Feist,

Daß Nichts mehr zu gewinnen ist,[89]

In stolzer thörigter Unbill.

Gib Dich gefangen, weil ichs will,

In Frieden und Ergebenheit. –


Versetzt' ich mit Bescheidenheit;

Herr, ich ergeb' mich gern und gleich –

Vertheid'ge mich nicht gegen Euch,

Das wolle Gott nicht, daß zur Wehr'

Ich gegen Euch gewillet wär'.

Das wär' nicht klug noch recht bestellt. –

Ihr könnet thun was Euch gefällt

Mit mir – mich sahen, tödten dann –

Seh' wohl, daß ichs nicht hindern kann,

In Eurer Hand mein Leben steht,

So daß es nicht bis morgen geht,

Es würde dann durch Euch mein Theil –

Von Euch erwart' ich Freud' und Heil,

Wie ich's von keinem Andern kriegte –

Wenn Eure Hand, die mich besiegte,

Mir etwa jetzo Gnade gibt.

Wenn's zum Gefang'nen Euch beliebt

Zu machen mich – verachtet's nicht.

Auf Trug leist' ich durchaus Verzicht

Und wißt, daß ich nicht hege Groll,

Es ist Eu'r Ruf so ruhmesvoll,

Daß ich durchaus ergeb' mit Wahl

Zu Dienst Euch Herz und Muth zumal.[90]

Denn wenn ich thue Euren Will'n

Kann Nichts mich mehr mit Leid' erfüll'n.

Und dann, wähn' ich, es findet statt

Wohl stets mir die gehoffte Gnad'.

Mit dem Beding' ergeb' ich mich.


Den Fuß nun wollte küssen ich

Doch er am Arm' empor mich hob' –

Und sprach: ich bin Dir hold, ich lob'

Was Du erwidert eben jetzt –

Denn Solches nimmermehr versetzt

Ein nied'rer Mann, der wenig weiß.

Und so gewannest Du den Preis,

So daß ich will Dir zum Gewinnst',

Daß Du besorgest meinen Dienst.

Und küsse auf den Mund mich dann,

Den noch berührt kein schlechter Mann.

Berühren lasse ich ihn nicht

Von jedem Schuft', und jedem Wicht'.

Es muß gar artig sein und hold,

Wem ich gewähre diesen Sold.

Zwar drücket wohl mein Dienst und müht

Nicht wenig traun, jedoch ich biet'

Viel Ehr' Dir an, so mußt Du gern

Es sehn, zu dienen solchem Herr'n,

'Nem Herrn, der solche Ehre hegt,

Als Amor in der Fahne trägt[91]

Voll Adlichkeit sein Wappenschild –

Sein Wesen ist dabei so mild,

So frei und adlich von Gemüth,

Daß Jedermann sich gar bemüht

Zu lieben ihn und ihn zu ehren.

In seiner Nähe kann nicht währen

Verrätherei und Aftergunst,

Und keine and're böse Kunst.


Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 88-92.
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