15.

[92] Wie, gleich nachdem er dies gesagt,

Der Liebende zum Dienst sich wagt

Und wie die Jugend hin ihn lenkt

Zu Amor, der ihn wohl empfängt.


Da waren länger wir allein,

Und wißt, ich mocht' ergetzet sein,

Da sein Mund lag auf meinem Mund';

Da ward mir große Freude kund.

Deß fordert' er nachher ein Pfand.


Spricht Amor:


Freund, sagt' er, ich viel Ehr' empfand

Von Dem und Jenem, gut genug,

Der nachher doch mir bot Betrug,

Von Schurken mit Betrügersinn'

Gar oft ich schon getäuschet bin.

Davon ich manches Leid erfahren,

Doch soll'n sie meinen Groll gewahren,[93]

Betreff' ich sie in meinem Bann'

So kommen sie wohl übel an.

Auf Dir jedoch, ich bin Dir gut,

Ganz sicher mein Vertrauen ruht,

Ich will Dich binden so an mich,

Daß Du nicht weigerst sicherlich,

Mir zu versprechen, was sich ziemt

Und nie zu handeln ungerühmt.

Wenn Du mich täuschtest, wär's 'ne Sünde,

Weil ich Dich jetzt so rechtlich finde.


Versetzt der Liebende:


Herr, sagt' ich – daß ihr's wissen sollt:

Ich weiß es gar nicht, was Ihr wollt

Von mir für Sicherheit und Pfand.

Die Wahrheit ist Euch wohlbekannt,

Daß Ihr mir so in's Herze drangt

Und so mich traft – daß, wenn's auch wankt,

Beim besten Willen es Nichts mehr

Thut als blos Eueren Begehr.

Das Herz ist Eu'r und nicht mehr mein –

Es muß – mag's gut, mag's übel sein,

Doch thun nur Euren Willen itzt

Nichts nimmt Euch mehr, was Ihr besitzt,

Ihr habt Besatzung drein gelegt,

Die gänzlich es beherrscht und trägt,

Doch könnt Ihr wo noch Zweifel sehn[94]

Macht einen Schlüssel, traget den.

Der Schlüssel gelt' Euch für ein Pfand.


Amor.


Bei meinem Haupt'! ganz ohne Schand' –

Versetzt Amor – ich geh' es ein;

Der wird des Herzens Herr wohl sein,

Wer solche Macht darin erlangt –

Beleid'gend wird, wer mehr verlangt.


Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 92-95.
Lizenz:

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