18.

[128] Wie hier der Liebende sagt, dass ihn

Amor verliess in grossen Müh'n.


Als Amor mir erzählt so fort

Von seiner Freud', wußt ich kein Wort,

Bis daß er gänzlich hatt' geendet,

So lange war ich ganz geblendet.

Doch als ich ihn nicht mehr bei mir sah,

Gar sehr beklagte ich mich da.

Ich weiß, daß Nichts mich heilen mag,

Als nur die Knosp', an der nun lag

Mein Heil und all' mein Herze schwer.

Vertrau'n setzt' ich in Keinen mehr,

Als in den Liebegott allein.

So mocht' ich denn recht sehen ein,

Daß mit dem Wollen Nichts gethan,

Macht sich nicht Amor selbst daran.


Die Rosenstöcke war'n verwahrt[129]

Mit einer Hecke stark und hart,

Doch durch den Hag dräng' ich heran

Gar leicht und gern, um mich zu nahn

Der Knospe, – kein Balsam riecht so süße –

Wenn's mich nicht Tadel fürchten ließe,

Doch leichtlich könnt' es scheinen wohl,

Daß ich die Ros' mir eignen woll'.


Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 128-130.
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