19.

[130] Wie Gutempfang gar kein bedacht

Dem Liebenden den Vorschlag macht,

Dass er sich zu den Rosen kehrt,

Die er vor Allem so begehst.


Indem ich so Gedanken pflag,

Ob ich durchbräche wohl den Hag –

Da sah ich kommen grad' auf mich

Ein'n Knappen fein und hofelich,

An dem man Nichts zu tadeln fand.

Derselb' war Gutempfang genannt,

Ein Sohn der weisen Adlichkeit.

Der gab mir frei den Weg zur Zeit

Zur Hecke freundlich und gemuth,

Und sagte zu mir lieb und gut:


Spricht Gutempfang.


Lieb' Freund, wenn's Euch gefallen mag,

Geht unverzüglich durch den Hag,[131]

Zu fühlen da der Rosen Ruch.

Ich bin Euch Bürg' für den Versuch,

Daß Leid nicht noch Verrath da harrt,

Wenn Ihr vor Thorheit Euch bewahrt.

Wenn ich in was Euch helfen kann,

So steht nicht lang mit Bitten an:

Denn ich bin Euch zu Dienst bereit

Und thu' es ohne Arg' und Neid.


Spricht der Siebende.


Herr, fing' ich an zu Gutempfang,

Gar gern den Antrag ich, empfang'.

So sage ich Euch Dank sofort.

Für Euer all' so gütig Wort,

Aus gar so großer Gütigkeit.

Weil Ihr's so wollt, nehm' ich zur Zeit

Gar gern Eu't Anerbieten an.


Durch Dornen und durch Ranken dann,1

Wovon der Hag gewaltig strotzt

Hab' ich den Eingang da ertrotzt,

Und zu der Knospe mich geschmiegt.[132]

Die schöner als die andern riecht.

Und Gutempfang gab mir Geleit.

So sag' ich Euch, wie mich's erfreut,2

Daß ich sonach nicht mochte spüren,

Wie ich die Knospe konnt' berühren.

Und Gutempfang war werth mir da,

Als ich so nah die Knospe sah. –

Jedoch der schlimmste, ärmste Wicht

An diesem Orte fehlte nicht:

Er hieß Gefahr; so war er Schutz

Und Schirm dem ganzen Rosenputz:

Ihm war die Wache anvertraut,

Er deckte da wohl Blatt und Kraut,

Daß er abwehre da, und fahe,

Wen er nach Rosen langen sahe

Doch war nicht er blos aufgestellt

Vielmehr war ihm dazugesellt,

Der Lästermaul, der üble Gauch

Und Scham und Furcht daneben auch.

Die mächtigste davon war Scham,

Und wisset nun, woher sie kam

In richt'gen Stamm- und Ahnenreih'n.

Vernunft, der weisen, Töchterlein

Hatt' sie zum Vater Frevel, der

So häßlich war ohn' Sitt' und Ehr',

Daß nie Vernunft auch zu ihm ging,[133]

Vom Ansehn nur sie Scham empfing,3

Als Gott nun Scham entstehen ließ,

Ward Keuschheit, die da Frau gewiß

Von Ros' und Knospe dürfte sein,

Bekämpft von ganzen Schelmereih'n,

So daß ihr Hilfe thät' gar Noth,

Dieweil sie Venus arg bedroht,

Die Tag und Nacht zusammen ist

Mit Ros' und Knosp' zu dieser Frist.

Da bat Vernunft ihr' Tochter hie,

Zu retten vor der Venus sie,

Und weil sie so verzweifelt sta't,

Wollt' thun Vernunft, um was sie bat;

So ward auf ihr Gesuch geschafft

Die Schaar, gar einfach, ehrehaft.

Und zu der Rosen bessrer Hut

Sie Eifersucht entbieten thut,

Und Scheu, die auch gar mächtig strebt,

Daß man vor ihrer Herrschaft bebt.

Sie Dreie sind der Rosen Wacht,4

Daß Keiner, der nicht sie bedacht,[134]

Nicht Ros', noch Knospe nehmen kann.

Ich kam dabei gar trefflich an,

Daß ich von ihn'n nicht ward beacht't,

Denn artig und auf Huld bedacht

War Gutempfang gar eifrig drin,

Zu thun mir ganz nach meinem Sinn'.

Oft litt er's, daß ich näher kam

Zur Knospe, und den Rosenstamm

Berührte, der sie selber trug.

Dazu gab er mir Recht und Fug.

Und da er ahnt', wie gern ich's hatt',

Hatt' er gepflückt ein grünes Blatt

Noch von der Knosp', und schenkt' es mir,

Weil es entstanden doch bei ihr.

Das Blatt, das macht' mir große Lust,

Und da ich mich befreundet wußt',

Und so vertraut mit Gutempfang,

Wähnt ich, daß mir es schon gelang.

Da faßte Herz und Muth ich hie,

Dem Gutempfang' zu sagen, wie

Mich Amor traf und fing zur Zeit.

Herr, fing ich an – nie hätt' ich Freud',

Als wie nur um ein einzig Ding;

Dieweil mir ganz das Herz befing

Ein Uebel, das mich drückt gar schwer.

Ich weiß nicht, wie ich Euch belehr',

Dieweil ich fürcht', Ihr zürnt darum.[135]

Und lieber wollt' ich um und um,

Von Messern gänzlich sein zerstückt,

Als daß es Euch zu Zorn' entrückt.


Gutempfang.


Sprecht, sagte er, nur was Ihr wollt,

Und nimmer Ihr gewahren sollt,

Daß mich's erzürnt, was es auch wär'.


Der Liebende.


Da sagt' ich: Wisset, lieber Herr,

Mir schicket Amor harte Plage –

Und glaubt nicht, daß ich Lüge sage,

Er macht in's Herz fünf Wunden mir,

Daß ich die Schmerzen noch verspür', –

Doch nicht mehr, wird die Knospe mein,

Die vor den andren schön mag sein.

Sie ist mein Leben, ist mein Tod,

Daß Nichts, als sie mir Lust mehr bot.

In Gutempfang ein Schrecken fährt –


Gutempfang.


Und sagt mir: Bruder, Ihr begehrt,

Dem nimmer, werden kann Gewähr.

Wie! Bringt Ihr so mich in Unehr?

Ihr thätet an mir argen Fleck,

Wenn Ihr die Knospe brächet weg[136]

Vom Rosenstock'. Es geht nicht an,

Daß man von hier sie nehmen kann.

Ihr seid nicht klug, es zu begehren,

Laßt hier sie wachsen und sich nähren

Ich möcht' sie trennen nimmermehr

Vom Stocke, der sie trug bisher,

Um Nichts, das lebt – so schätz' ich sie.


Der Schreiber.


Flugs sprang Gefahr, der schlimme, hie

Herzu vom Platz, darauf er stund,

Gar groß und schwarz – ein übler Kund',

Roth war das Aug', wie Feuerlicht,

Und runzlich Nase und Gesicht.

Darauf nun schrie er mächtig sehr:


Gefahr.


Nun Gutempfang, was bringt Ihr her

Den Burschen zu den Rosen hier?

Ihr thatet schlimm, Gott helfe mir!

Daß sich's zu Eurem Schaden kehrt'.

Schlimm ging' es, wenn nicht Ihr es wär't,

Dem, der ihn führt' in dies Bereich.

Wer Schelmen dient, gilt ihnen gleich.

Ihr meintet Liebes ihm zu thun,

Und er dagegen schmäht Euch nun.

1

Reim geht bei Dufresnoir die Rede.

2

So ging ich dann ohn' alle Stich',

Wie nie ich's hoffte sicherlich.

L. d. F.

3

Die Keuschheit wiederum gebar,

Die Leutlein wechselvolles Jahr.

L. d. F.

4

So sind der Rosenwächter vier

Die wehren gar gewaltig hier u.s.w.

L. d. F.

Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 130-137.
Lizenz:

Buchempfehlung

Hume, David

Dialoge über die natürliche Religion

Dialoge über die natürliche Religion

Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon