XXIII.

[406] Pluto, Proserpina und Protesilaus.


PROTESILAUS. O unbeschränkter Herr und König des Totenreiches, unser Jupiter, und du, erhabene Tochter der Ceres, laßt das Flehen eines Verliebten Gnade vor euern Augen finden!

PLUTO. Was verlangst du von uns? Wer bist du?

PROTESILAUS. Ich bin Protesilaus, des Iphikles Sohn, aus Phylace,[406] einer von denen, die mit den übrigen Griechen vor Troja zogen, und der erste, der dabei umkam. Ich bitte nur auf kurze Zeit um Urlaub, ins Leben zurückzukehren.

PLUTO. Du bist also ins Leben verliebt, mein guter Protesilaus? Solche Liebhaber haben wir hier in Menge: aber sie lieben einen Gegenstand, der keinem von ihnen zuteil werden kann.

PROTESILAUS. Ich, o Pluto, bin nicht in das Leben verliebt, sondern in meine junge Frau, die ich unmittelbar nach unsrer Vermählung in der hochzeitlichen Kammer zurückließ, als ich mich nach Troja einschiffte. Unglücklicherweise fiel ich, gleich beim Aussteigen, von Hektors Hand; und nun läßt mir die Sehnsucht nach meinem Weibchen keine Ruhe, gnädiger Herr, und wenn ich ihr nur auf eine sehr kurze Zeit sichtbar werden könnte, wollte ich gerne wieder zurückkommen.

PLUTO. Du hast also nicht aus dem Lethe getrunken, Protesilaus?

PROTESILAUS. O gewiß, gnädiger Herr, aber meine Liebe ist stärker als die Kraft seines Wassers.

PLUTO. Gedulde dich also; sie wird über kurz oder lang hier sein, ohne daß du zu ihr hinaufzureisen brauchst.

PROTESILAUS. Ich kann unmöglich so lange warten, Pluto! Du hast selbst geliebt und weißt also, wie einem Verliebten zumute ist.

PLUTO. Was könnt es dir aber helfen, auf einen einzigen Tag wieder lebendig zu werden? In kurzem würde der Jammer wieder von vorn angehen.

PROTESILAUS. Ich schmeichle mir, sie überreden zu können, daß sie mich zu euch begleite: und so würdest du für einen Untertanen in so kurzer Zeit zwei bekommen.

PLUTO. Du verlangst etwas, das gegen alle Ordnung ist; es ist noch nie geschehen.

PROTESILAUS. Erlaube, o Pluto, daß ich deinem Gedächtnis nachhelfe. Habt ihr nicht um der nämlichen Ursache willen dem Orpheus seine Eurydice wiedergegeben? Und ist nicht meine Base Alceste, dem Herkules zu gefallen, ins Leben zurückgeschickt worden?[407]

PLUTO. Du wolltest dich also mit diesem häßlichen nackten Schädel vor deiner schönen Braut sehen lassen? Wie kannst du hoffen, von ihr aufgenommen zu werden, da sie dich nicht einmal erkennen würde? Ganz gewiß würde sie vor dir erschrecken und davonlaufen, und so hättest du einen so großen Weg vergebens gemacht.

PROSERPINA. Könntest du diesem Übel nicht abhelfen, lieber Mann, wenn du dem Merkur befehlen wolltest, daß er den Protesilaus, sobald er ihn an das Tageslicht hinaufgebracht hätte, mit seinem Stabe berühren und wieder zu ebendem schönen Jüngling machen sollte, der er war, als er aus dem Brautgemach hervorging?

PLUTO. Nun dann, weil Proserpina auch dieser Meinung ist, so führe ihn wieder hinauf, Merkur, und mach ihn zum Bräutigam. Aber du, vergiß nicht, daß du nur auf einen Tag Urlaub hast!

Quelle:
Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 406-408.
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