23. Der Bechtelsberg.

[19] Im Süden des Kreises Ziegenhain hebt sich bei Ottrau, einem uralten Decanatssitze des fränkischen Hessengaues, der Bechtelsberg bis zu einer beträchtlichen Höhe empor. Sein Gipfel gewährt eine außerordentlich weite und schöne Aussicht und an seinem Abhange wachsen mancherlei Heilkräuter, die zu Himmelfahrt, selbst von Leuten aus der Ferne, gesammelt werden. Der Gipfel des Bechtelsberges heißt die Rumpelskuppe, ein Name, welcher dem ungeheuern, donnerähnlichen Getöse seine Entstehung zu danken haben mag, das, zum Schrecken und Entsetzen der Menschen und des Viehes, mitunter oben auf dem Berge gehört worden sein soll. Dieses Gepolter wird von Ohrenzeugen mit dem Toben und Brausen eines schrecklichen Sturmes verglichen. Kurz vor dem Ausbruch will man in der Nähe des Berges bisweilen eine schwarze Gestalt, auch wohl eine feingekleidete Jungfrau gesehen haben.

Nahe an der Rumpelskuppe befindet sich eine kesselförmige Vertiefung, die Hexenkaute, auch Silberkaute genannt; hier[19] wird am 1. Mai in der Mitternacht großes Gastgebot und Hexentanz gehalten. Der Meister führt strenge Aufsicht über Musik und Tanz; wer z.B. um eine Viertelstunde zu spät erscheint, beim Tanz einen Fehltritt thut etc., bekommt zur großen Belustigung aller Gäste eine gewisse Anzahl Besenhiebe. Die Tracht der Theilnehmer besteht in einem langen schwarzen Kleide mit einem Strohgürtel und einer Haube, unter welcher ein langer Haarzopf herabfällt. Es wird getanzt, gesungen, gelärmt und allerhand Unfug getrieben, zuletzt der Rest der Mahlzeit auf die Rückreise eingepackt und, nach gegenseitigem Anwünschen eines fröhlichen Wiedersehens für das nächste Jahr, auf stumpfen Besen und Hähnen pfeilschnell wieder weggeritten.

Mündlich.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. XIX19-XX20.
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