338. Walpertszins.

[255] Das hessische Dorf Salzberg am Knüll mußte alljährlich am St. Walpurgistage den v. Buchenau 6 Knacker (à 6 Heller) in alter hessischer Münze liefern. Der Gemeindsmann, der diesen Zins überbrachte und das Walpertsmännchen genannt wurde, mußte, das Wetter mochte noch so ungünstig sein, des Morgens früh Punkt 6 Uhr zu Buchenau eintreffen und auf einem besondern Steine an der Schloßbrücke sich niedersetzen. Verspätete er sich, so verdoppelte sich progressiv mit jeder Stunde der Zins, und am Abend hätte ihn die Gemeinde nicht mehr zu zahlen vermocht. Deshalb wurden die Salzberger jedesmal, wenn die Zeit herannahte, von ihrem Beamten an ihre Verpflichtung erinnert und die Gemeinde schickte der Vorsicht halber dann zwei Abgeordnete nach Buchenau, für den Fall, daß einem ein Unfall begegnete; doch ging der Stellvertreter nicht bis zum Ziele, sondern blieb schon in Bodes, eine halbe Stunde von Buchenau. Das Walpertsmännchen mußte nun die von Buchenau durch ihren Thorwart begrüßen lassen, worauf es erst in das Schloß ging und seine Knacker zahlte. War dieses geschehen, so wurde es nach Vorschrift drei Tage lang bewirthet. Schlief das Walpertsmännchen während dieser Zeit nicht ein, so waren die Zinsherren verpflichtet, es lebenslänglich zu verpflegen; geschah jedoch das Gegentheil, so wurde es alsbald zum Schlosse hinausgeschafft. – Schon an 300 Jahre war diese merkwürdige Zinszahlung im Gebrauche und bestand noch im Anfange[255] dieses Jahrhunderts. Doch im Wechsel der Verhältnisse und im Untergange so manches Alten unterblieb endlich auch dieser Walpertszins.

Landau, Ritterb., II, 163.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCLV255-CCLVI256.
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