85. Schuster Jobst und die Wichtelmännchen.

[53] Auch in Eschwege wissen die Leute noch von den Wichtelmännchen zu erzählen, besonders wie sie dem armen Schuster Jobst aus der Noth geholfen haben. Der Schuster Jobst saß eines Abends betrübt in seiner Werkstatt. Sein Weib war unter Sorgen und Bekümmernissen mit den armen Kindern auf dem Lager eingeschlafen; das Heimchen zirpte in der Ofenecke und der Mond warf durch die alten runden Fensterscheiben sein mattes Licht auf die bleichen Gesichter. Da dachte Jobst: Könnte ich mit euch schlafen und dann zu einem kummerlosen Leben mit euch armen Geschöpfen erwachen! Er betete zu dem reichen Gotte im Himmel und streckte sich dann ebenfalls auf sein hartes Lager. Die Angst vor dem neuen Morgen und den neuen Sorgen wehrte ihm den Schlaf.

Gegen Mitternacht war es ihm, als hörte er leise Tritte in seinem Häuschen; es trippelte und trappelte und siehe – eine Gesellschaft von Wichtelmännchen zog in seine Stube. Sie machten sich frisch an das Leder; der Eine schnitt zu, der Andere nähete, die Arbeit flog unter ihren Händen. In kurzer Zeit war alles Leder verarbeitet und wunderschöne Schuh standen auf dem Werkbrette. Wie freute sich Jobst nun auf den Morgen! Der kam endlich; und als es lebendig auf den Gassen wurde, blieben die Leute vor den schönen Schuhen stehen, jeder kaufte, jeder bestellte neue Schuh. Jobst kaufte Leder und als Mitternacht kam, stellten sich die Wichtelmännchen wieder ein, arbeiteten wieder emsig darauf los und als es Tag wurde stand das Werkbrett voll schöner[53] neuer Schuh. Bald wurde Jobst berühmt; Jedermann wollte nur bei ihm kaufen und Freude und Wohlstand kehrten in sein Haus ein. Da wollte der dankbare Jobst auch seinen Wohlthätern eine Freude machen; er zählte die Wichtelmännchen, ließ schöne Kleider für sie bereiten und legte sie der Reihe nach hin. Wie freuten sich da die Wichtelmännchen! Sie schmückten sich gleich mit den neuen Kleidern; aber nun wurden sie auch stolz und wollten keine Schuh mehr machen, denn sie sprachen unter sich:


bin ich ein solcher Knapp,

und sollte Schuh lapp?


Und zur Stunde verschwanden sie aus Jobst's Hause, ohne je wiederzukommen.

Mündlich aus Eschwege.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. LIII53-LIV54.
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