Zwölftes Capitel.

Die Töchter des Medicinmannes.

[289] Wohl zehn Minuten verharrte der Medicinmann in seiner nachdenkenden Stellung. Während dieser ganzen Zeit beobachtete ich ihn mit all der Spannung, welche sich von der Hoffnung, daß durch sein Einschreiten vielleicht Schanhatta's und mein Geschick eine günstigere Wendung erhalten werde, nur immer erwarten ließ.

Ich entdeckte, was mich indessen, nachdem ich in ihm einen Weihen erkannt hatte, nicht weiter befremdete, daß seine Augen blau waren und sein greisenhaftes Aussehen weniger der Last der Jahre, als erduldeten schweren Seelenleiden zugeschrieben werden dürfe. Vergebens suchte ich dagegen aus seinen Zügen das herauszulesen, was in seinem Innern vorging. Die dicke Lage blauer und rother Farbe mochte mit dazu beitragen, seine Physiognomie undurchdringlicher erscheinen zu lassen, doch glaubte ich zu bemerken, daß seine Augen einen immer milderen und wehmütigeren Ausdruck erhielten, während seine Brust, wie vor unterdrücktem Schmerz, sich zeitweise mächtig hob und senkte.

Plötzlich wendete er sich mir wieder zu, und nach dem er mit beiden Händen leicht über seine Augen hingefahren, wie um eine peinigende Vision zu verscheuchen, legte er seine rechte Hand auf meine gefesselten Arme.

»Haben Sie Geduld,« begann er ruhig und ernst, und weit entfernt von jenem krankhaften Pathos, welchen er kurz vorher noch in feine Worte gelegt hatte, »ich werde im entscheidenden Augenblick Ihre Banden lösen; ich werbe Sie und meine Tochter retten, oder vereinigt mit Euch untergehen. Und nun hören sie mir aufmerksam zu, Sie werden Wunderbares erfahren. Doch eh' ich beginne, wiederhole ich noch einmal: jene Weissagung erfüllt sich, und sie soll sich erfüllen.«

»Da der Oberstlieutenant Werker Ihnen die Geschichte seines unglücklichen Bruders mitgetheilt hat,[289] da Sie selbst diese Geschichte niedergeschrieben haben, so brauche ich nicht mehr darauf zurückzukommen. Es ist mir um so lieber; ich hatte bereits Alles, Alles vergessen; erst durch Ihr Manuscript ist mir die klare Erinnerung an eine schreckliche Vergangenheit wiedergegeben worden. – Wissen Sie, was aus jenem, um sein Lebensglück schändlich betrogenen Hans Werker geworden ist?«

Ich starrte den Frager verwundert an; klangen mir die bekannten Namen aus dem Munde eines Fremden seltsam, so überraschte mich diese Frage in noch höherem Grade. »Er soll sich das Leben genommen haben, und zwar auf eine Weise, daß seine Familie der Makel: die Angehörigen eines Selbstmörders zu sein, nicht, wenigstens nicht erwiesener Maßen, treffen konnte,« antwortete ich endlich zögernd.

»Das war es, was er bezweckte,« entgegnete der Medicinmann düster, »bei Derjenigen, die im Bunde mit einem Jesuiten, ihn schmählich hintergangen hatte, konnte, durfte er nicht länger leben; schon seines armen unschuldigen Kindes wegen durfte er es nicht. – Er entsteh; um aber einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf das Gemüth seiner ungetreuen Gattin zurückzulassen, und dadurch die Zukunft seines holden Kindes gegen die Willkür fremder gewissenloser Menschen hinfort sicher zu stellen, entfloh er so heimlich und nach solchen Vorkehrungen, daß Niemand einen Zweifel in sein durch einen Selbstmord herbeigeführtes Ende setzte. Er entfloh, doch nicht eher verließ er den europäischen Boden, als bis er sich überzeugt hatte, daß sein Zweck gelungen war, seine letzte Hoffnung sich erfüllte.«

»Die pflichtvergessene Gattin bereute, das Kind wurde dem Einfluß der fluchwürdigen Politik einer gewissenlosen Geistlichkeit entzogen, und getreu dem einmal gefaßten Entschluß und beruhigt über die Zukunft meiner kleinen Johanna, suchte ich das Weile.«

»Und Sie – Sie wären der Vater meiner armen unvergeßlichen Johanna?« rief ich erschüttert aus, indem ich, vergessend, daß ich gefesselt war, eine Bewegung machte, als hätte ich aufspringen wollen.

»Ja, der bin ich, der Vater derselben Johanna bin ich, die Du einst so heiß geliebt,« antwortete Hans Werker, der todtgeglaubte Bruder Deines verehrten Vormundes, »der Vater Deiner Johanna, der Vater Deiner Schanhatta, der armen verlassenen Mandanenwaise, und nun sage selbst ob ich nicht Ursache hatte, Dich, mein Sohn, auf die Prophezeiung hinzuweisen? Jeannette ist die Tochter von Johanna's Vater, und was die Wahnsinnige einst planlos dichtete, was einst so phantastische Träume bei dem jugendfrischen Studenten wachrief, das soll jetzt an dem gereiften Manne in Erfüllung gehen. Aber blicke mich nicht so starr an; ich weiß es, der grausig bemalte indianische Zauberer steht in krassem Widerspruch zu der Stellung, für welche mich die Natur ursprünglich bestimmt hatte. Blicke mich nicht so starr an; ich weiß was in Deinem Innern vorgeht, was Du sagen möchtest; allein jetzt darf ich noch nicht wagen, mich einer Hülle zu entledigen, die mir zwar viele Jahre hindurch Schutz, Ruhe und Sicherheit gewährte, mir aber, seit ich mit Dir zusammengetroffen bin, doppelt entwürdigend erscheint.[290]

Mich umgiebt der Schmuck eines indianischen Zauberers, bunte Farben verunstalten mein Gesicht, aber glaube mir, unter den bunten Farben und dem Lederhemde verzehrt mich ein Schmerz, so tief und herbe, daß ich nicht begreife, wie ich so lange habe leben können. Und dennoch begreife ich es – mein Gedächtniß war so lange umdachtet – nein, nicht umdachtet, absichtlich hatte ich mein früheres Leben in Vergessenheit versenkt. Doch ich will nicht Nagen, nur wenig Schritte von hier liegt meine Tochter, die Todtgeglaubte, welche ich in derselben Stunde wiederfand, in welcher die Gewißheit: mein theures erstes Kind, meine liebliche Johanna, dennoch durch die unheilvollen Ränke jener verbrecherischen Priestergemeinschaft verloren zu haben, mich niederschmetterte und mich von Neuem in das dumpfe Brüten zu stürzen drohte, in welchem ich bereits Jahre zugebracht haben muß. Freude und Schmerz kämpfen jetzt in meiner Brust um den Vorrang, innige Freude über meine Jeannette, tiefe Trauer um meine Johanna. O Gott, mein Gott, wie lange wirst Du es noch dulden, daß auch unter denjenigen, welche die hehre Pflicht haben, Deinen Namen zu verherrlichen, sich die schwersten Laster und Sünden vertreten finden, daß das Kleid der Kirche als Deckmantel für Verbrechen benutzt wird, daß man Deine reinen Lehren, dieselben schändend, dazu ausbeutet, den menschlichen Geist zu erniedrigen und zu verkrüppeln!«

Stumm vor Erstaunen blickte ich zu dem vielgeprüften Manne empor. Kaum vermochte ich zu fassen, was ich vernahm, und dennoch war es die lautere, reine Wahrheit. Der Vater meiner gestorbenen Johanna war der Vater meiner noch lebenden Schanhatta, und nur der tiefste Seelenschmerz hatte den einst so lebensfrohen Mann, wie er mir von meinem Vormunde beschrieben worden war, in einen Gemüthszustand versetzt, in welchem für keine seiner Handlungen Rechenschaft von ihm gefordert werden durfte.

Innige Theilnahme ergriff mich, indem ich den Unglücklichen näher betrachtete; was mußte er erduldet haben, um sich endlich heimisch in einer so verunstaltenden Verkleidung zu fühlen, und bis zu welchem Grade mußte die Gestörtheil seines Geistes zeitweise reichen, daß die Indianer sich dadurch bewogen fanden, ihn zu nähren, zu kleiden und als einen hervorragenden Zauberer zu beschützen und zu ehren?

Jetzt erschien er allerdings vollkommen ruhig und gefaßt, doch wie lange konnte ein solcher Zustand dauern? Und wenn er wirklich unsere Flucht einleitete, stand nicht zu befürchten, daß er im letzten und entscheidenden Augenblick von den Dämonen des Irsinns erfaßt wurde und dadurch unsere Lage noch verschlimmerte, uns rettungslos in das Verderben stürzte?

Und hatte ich nicht endlich noch Verpflichtungen gegen Johanna's und Schanhatta's Vater? Durfte ich ihn seinem Schicksal überlassen, wenn es mir wirklich gelang, mit Schanhatta zu entrinnen? Dies waren Fragen, die sich mit Centnerlast auf meine Brust wälzten, und die Hoffnungen, welche sich eben erst gebildet hatten, in der nächsten Minute wieder erschütterten und niederrissen. Ich versuchte indessen mein Möglichstes, und vor allen Dingen trachtete ich darnach, den Unglücklichen allmälig immer mehr zu beruhigen und seinem Zurückfallen in die Rolle eines Medicinmannes vorzubeugen.[291]

»Wenn ich nicht gefesselt wäre,« hob ich an, so bald Werker schwieg, »dann würde ich Ihnen die Hand drücken, zum Zeichen meiner aufrichtigsten Freude, mit Ihnen, dessen Geschick mit dem meinigen so innig verflochten –«

»Geduld, mein Sohn,« unterbrach mich Werker mit bewegter Stimme, indem er seine Hand wieder auf meine Stirn legte, »ich weiß, was Du sagen willst, verliere keine Worte mehr darüber; die Zeit enteilt, ich habe Dir noch so viel anzuvertrauen. Beurtheile mich nicht nach meinem Aeußeren, und halte mich nicht für einen überspannten Abenteurer, der nur aus Lust an tollen Streichen Indianer wurde, Hahaha! meine ernste Sprache paßt wohl vortrefflich zu meinem schönen Anzüge und den Chamäleonfarben in meinem Gesicht?«

»Ich sehe nicht Ihre Umhüllung,« entgegnete ich bebenden Herzens, sobald ich merkte, daß Werkers Gedanken wieder abschweiften, »ich sehe nur den gerechten Schmerz, der Ihre Brust zerreißt, nur Ihren festen Willen, wenigstens die letzte Ihnen gebliebene Tochter zu retten.«

»Du hast recht, mein Sohn; ich kannte Dich bereits, als Du noch zu schwach warst, um Deinen eigenen Füßen vertrauen zu können, zu klein, um eine Erinnerung an mich für spätere Jahre in Dich aufzunehmen. Die Jahre sind vorübergerauscht und Du bist ein Mann geworden, ein Mann, der mir doppelt nahe steht, meiner Kinder wegen. Doch höre: Als ich vor mehr als zwanzig Jahren der Heimath den Rücken lehrte, befand ich mich in einem Gemüthszustände, der mich für den Verkehr mit weißen Menschen untauglich machte. Ueberall sah ich ehrlose Betrüger, überall Leute, die darauf ausgingen, ihre Mitmenschen in's Verderben zu stürzen und bei deren Verzweiflung aus vollem Herzen zu hohnlachen. Meine Reise über den Ocean und durch die colonisirten Theile des nordamerikanischen Continentes glich mehr einer Flucht vor einem mich verfolgenden furchtbaren Phantom, als einer zur Erreichung eines bestimmten Zweckes unternommenen Fahrt. Und im Grunde hatte ich ja auch keinen eigentlichen Zweck; ich wollte nur fort, fort, weit fort; mich trieb die Angst, daß Diejenige, die mich einst treulos verrieth, eine Ahnung von meinem Leben erhalten und in Folge dessen zum Nachtheil meines armen Kindes auf dem Pfade der Reue umkehren und sich den ans der Lauer liegenden jesuitischen Priestern wieder in die Arme werfen könne. Habe ich unrecht gehandelt, so mag Gott mir vergeben um der Qualen willen, welche ich erduldet. Ich wollte das Beste, und dann, wenn man sein ganzes irdisches Glück auf einen Schlag unheilbar zertrümmert sieht, besitzt man auch nicht die ruhige Ueberlegung, welche man sich in den heitere!, Verhältnissen des Lebens wohl anzueignen vermag.«

»Auf meiner fluchtähnlichen Reise ging ich so weit westlich, wie meine spärlichen Mittel reichten; ich scheute weder Gefahren noch Hindernisse. Wo ich noch ein weißes Gesicht erblickte, da trieb es mich fort; die Furcht vor den Weißen war gewissermaßen zum drohenden Gespenst bei mir geworden. Mich leitete der unbestimmte Wunsch, meine Zuflucht unter Menschen zu suchen, die noch nicht gelernt hatten, solche Qualen, solche namenlose Leiden zu ersinnen,[292] wie sie mir in meiner Heimath zugefügt worden waren.«

»So hatte ich denn als einsamer, fast unbewaffneter Wanderer endlich das Dorf der Mondanen erreicht, als sich zu meiner gänzlichen Erschöpfung noch eine schwere Krankheit gesellte und mich zwang, liegen zu bleiben.

Um bis dorthin zu gelangen, hatte ich beinah zwei Jahre gebraucht; ein langer Feitraum, aber doch nicht lang genug, daß die Wunden, welche meinem Herzen geschlagen waren, zu bluten aufgehört hätten. Anders wäre es vielleicht gekommen, hatte ich mich in das rege Geschäftsleben gestürzt. Ich würde weniger mit mir selbst beschäftigt gewesen sein, schneller eine gewisse Ruhe der Seele wiedergewonnen und mich allmälig an meine Lage gewöhnt haben.«

»Das Dorf des einstmals so starken und schönen Stammes der Maubauen hatte ich also erreicht, um daselbst krank und bis zum Tode erschöpft niederzusinken. Welche Art von Krankheit mich heimsuchte, weiß ich nicht, ich erinnere mich nur, daß ich glaubte, sterben zu müssen, und daß die wilden Heiden mich mit einer Sorgfalt pflegten, welche dem besten deutschen Krankenhause zur Ehre gereicht haben würde.«

»Die armen Heiden, sie fragten nicht, woher ich komme, wer ich sei oder auf welche Art ich meinen Gott verehre; sie sahen, ich war krank und hülflos, für sie ein genügender Grund, mir ihre Gastfreundschaft im ungebundensten Maßstabe angedeihen zu lassen.«

»Dank meiner kräftigen Natur und den einfachen Heilmitteln, welche die Indianer anwendeten, überstand ich die Krankheit, und rührend war es, zu beobachten, wie die harmlosen Menschen sich darüber freuten, mit ihrer indianischen Arzneikunde ein Bleichgesicht vom Rande des Grabes zurückgerissen zu haben, –«

»Unter Denjenigen, die mir in meiner hülflosen Lage die meiste Sorgfalt und Aufmerksamkeit schenkten, befand sich auch eine junge Indianerin, die älteste Tochter der Familie, in deren Zelt ich, vom Zufall geführt, Obdach gefunden hatte.«

»Dieselbe, obgleich das Bild einer echten Indianerin, besaß, selbst nach unseren Begriffen, einen ungewöhnlichen Liebreiz, und namentlich ein Paar große, unendlich freundliche und fünfte Augen, welche, wenn sie mich nur erreichen konnten, beständig auf mich gerichtet waren.«

»Zu verständigen vermochte ich mich mit meinen Gastfreunden nur mit Hülfe von Geberden; es genügte dies indessen unfern Zwecken vollkommen, und namentlich zeichnete sich die junge Indianerin dadurch aus, daß sie mit wunderbarem Scharfsinn meine Wünsche errieth und sich dann stets beeilte, dieselben in Ausführung zu bringen.«

»Die freundliche Zutraulichkeit des jungen Mädchens verfehlte nicht, eine wohlthätige Wirkung auf meine gedrückte Gemüthsstimmung auszuüben, und immer lieber schaute ich in die sanften, schwarzen Augen, die an mildem Glanz wohl kaum von den Augen meiner Tochter Jeannette übertreffen werden. Ihre sichtbar wachsende Zuneigung veranlaßte mich daher auch vorzugsweise, dem Zureden einzelner Mandanenhauptlinge nachzugeben und in ihrer Mitte[293] meine neue Heimath zu wählen. Wohin hätte ich mich auch wenden sollen? Ich befand mich, wie ich es so heiß ersehnte, fern jeder Spur der mir durch Erfahrungen der bittersten Art verhaßt gewordenen Civilisation, durch welche ich an meine herben Verluste hätte erinnert werden können, und die sehr wenigen Weißen, welche sich damals erst in diese Regionen wagten, waren eben nur rauhe Pelzjäger, welche sich in Sitten und Gewohnheiten kaum von den Eingeborenen unterschieden.«

»Doch auch diese mied ich; meine Abneigung gegen die weißt Race vermochte ich nicht hinlänglich zu überwinden, um mich mit ihnen in irgend welche Verbindungen einzulassen. Unter meinen rothhäutigen Gefährten erfreute ich mich einer verhältnißmäßig ruhigen Zufriedenheit, und mögen die Indianer noch so viele Fehler und Gebrechen in ihrer Denkungsweise sowohl, als auch in ihren Einrichtungen aufzuweisen haben, mögen die gerechtesten Vorwürfe sie von allen Seiten treffen, so lange ich unter den Mandanen lebte, fand ich nie einen Grund, über sie zu klagen, oder mein Bleiben unter ihnen zu bereuen.«

»Sie betrachteten mich eben vollständig als einen der Ihrigen; ich begleitete sie auf ihren Jagdzügen, und betheiligte mich an ihren wilden Festlichkeiten, so lange dieselben nicht einen meinen Gefühlen widersprechenden Charakter erhielten, und wohl erfüllte es mich mit Freude, daß nach einer erfolgreichen Jagd nie ein Gastmahl gefeiert wurde, zu welchem ich nicht mit aller Förmlichkeit als Ehrengast eingeladen worden wäre.«

»Für die mir bewiesenen freundlichen Gesinnungen erzeigte ich mich dankbar, indem ich bei Erkrankungen die mir von der Heimath her bekannten Hausmittel oft mit dem besten Erfolg in Anwendung brachte und meine Gastfreunde manche kleine Kunstgriffe lehrte, die ihnen hin und wieder die Arbeit und das Leben erleichterten. Man hielt mich in Folge dessen für einen hervorragenden Medicinmann, und immer gewichtiger wurde meine Stimme im Rathe der Krieger und weisen Männer.«

»Drei Jahre waren mir auf diese Weise unter den Mandanen in ungetrübter Ruhe hingegangen, und fünf Jahre, seit ich die Heimath verlassen hatte. Ich wohnte noch immer bei derselben Familie, als deren Mitglied man mich allgemein betrachtete, und in demselben Grade, in welchem ich mich heimischer in meiner Umgebung fühlte, erbleichte auch die Erinnerung an Diejenige, die einst kaltblütig mein Lebensglück zerstörte, wenn auch das Bild meiner kleinen unschuldigen Johanna mir stets mit derselben Lebhaftigkeit vorschwebte und mir manche Stunde des bittersten Kummers verursachte. Wie gern hätte ich das Kind wiedergesehen, mit meinem Leben hätte ich einen kurzen Anblick desselben bezahlen mögen, doch, wie konnte ich mich dem Kinde nähern, ohne zugleich mit der Mutter zusammenzutreffen, mit ihr, die mich für tobt halten sollte? Ich gewöhnte mich daher leicht an den Gedanken, die Wildniß und die Mandanen nie wieder zu verlassen, und eine natürliche Folge dieses Entschlusses war, daß ich mich zur größten Freude des ganzen Stammes mit der Tochter meiner Gastfreunde vereinigte und meinen eigenen Hausstand gründete.«

»Wiederum verstrichen mehrere Jahre. Ich war[294] durch die Geburt einer Tochter, welche ich nach mir und meiner fernen Johanna Jeannette taufte, beglückt worden, und die Schwermuth, welche noch immer auf mir lastete, erhielt eine mildere, freundlichere Färbung durch die Hoffnung, dereinst der Lehrer meiner kleinen lieblichen Jeannette zu werden, sie, so viel eben in meinen Kräften lag, für ein besseres Loos vorzubereiten und auf geeignetem Wege in andere, meinem eigenen Herkommen entsprechende Verhältnisse einzuführen.«

»So lieb ich meine indianischen Gefährten auch gewonnen hatte, wiederstrebte es doch meinem Gefühl und meinen Ansichten über die eigentliche Bestimmung des Menschen, mein Kind als eine einfache, zur Sklavin ihres dereinstigen Gatten bestimmte Squaw aufwachsen zu lassen. Mein Haß gegen die Weißen, überhaupt gegen Alles, was Civilisation heißt, sollte in seinen Folgen nur auf mich beschränkt bleiben; ich hoffte von der Welt Milde, Nachsicht und Theilnahme für meine liebliche, unschuldige Tochter.

Solcher Art gestalteten sich meine Pläne. Doch wo sind sie geblieben? Sie zerfielen in Nichts!«

»Jeannette hatte noch nicht das zweite Jahr erreicht, als unser Dorf eines Nachts von den Blackfoot-Indianern überfallen, und der größte Theil der Bevölkerung, dem es nicht gelang, zu entfliehen, auf grausame Weise niedergemacht wurde.«

»Ich kämpfte Hegen die Uebermacht, mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln; ich kämpfte mit Erbitterung, denn ich kämpfte für Weib und Kind. Doch Alles war vergeblich. Ein furchtbarer Schlag mit einer kurzen Kriegskeule von hinten gegen mein Haupt geführt, warf mich besinnungslos zu Boden, und was dann weiter mit mir vorging, liegt für mich im tiefsten Dunkel.«

»Als ich nach langer Zeit wieder zum Bewußtsein erwachte, da befand ich mich in dieser Hütte, vielleicht auch in einer andern, aber ähnlichen. Ich war gekleidet wie heute, so daß ich mich nicht wiedererkannte und die Beute eines wirren Traums zu sein glaubte. Einige alte Krieger richteten Fragen der seltsamsten Art an mich, die ich, ohne den Sinn derselben in Erwägung zu ziehen, so beantwortete, wie es mir gerade einfiel, wodurch sie aber auf's Höchste zufriedengestellt zu sein schienen. Ich muß nach dem empfangenen Schlage beständig phantasirt haben, weßhalb ich für einen weisen Medicinmann erklärt worden war.«

»Wie lange dieser gräßliche Zustand gedauert hatte, vermag ich nicht anzugeben; doch schwebt mir vor, daß ich, indem ich mich betrachtete, über die Hagerkeit meiner Arme heftig erschrak. Nur Jahre konnten eine derartige zerstörende Wirkung auf meinen sonst so kraftvollen Körper ausgeübt haben.«

»Befremdet schaute ich umher, überall trafen meine Blicke auf ernste, mir vollständig unbekannte Gesichter, die mir mit dem gespanntesten Ausdruck zugewendet waren. Starr vor Staunen sah ich auf meine Hände; sie waren schwarz angestrichen, als ob ich es selbst gethan hätte; mit demselben Erstaunen bemerkte ich, daß meine Mokassins abgetragen waren, ein neuer Beweis, daß ich schon seit geraumer Zeit in diesem schlafähnlichen Zustande umhergewandelt war.«[295]

»Da ertönte wieder das laute Weinen eines kleinen Kindes, welches mich ursprünglich zum Bewußtsein zurückgerufen hatte, und mit Heftigkeit emporspringend, fragte ich drohend nach Weib und Kind.«

»Die alten Krieger beriethen eine Weile unter einander, worauf sie den getrockneten Skalp eines Kindes und den einer Frau vor mich hinlegten. Sie sagten, es seien die letzten Ueberreste meiner Familie, und dann – und dann – ich betastete die seidenweichen Haare der kleineren Kopfhaut, worauf ich wieder lautlos einschlief. Nein – nein – eingeschlafen bin ich nicht!« unterbrach Werker sich hier mit einem wilden Ausdruck, der mich das Schlimmste befürchten ließ und für die längere Dauer seiner Ruhe besorgt machte; »aber mein Herz wurde mir kalt, so kalt wie Eis,« fuhr er mit bebenden Lippen fort, »und ich verlor die Erinnerung an die Vergangenheit!«

»Lassen Sie die geschehenen Dinge ruhen,« tröstete ich jetzt freundlich, »Sie sind ja nur getäuscht worden, Ihre Tochter lebt, allein sie wird einem traurigen Geschick anheimfallen, wenn Sie sich in so hohem Grabe aufregen, daß Sie unfähig werden, ihr beizustehen und sie zu retten.«

Werker strich sich über die Stirne, über welche der Schweiß, zusammen mit der öligen Farbe, niederrieselte. »Ja, mein Sohn, Du hast recht,« sagte er dann leise flüsternd, »ich darf mich nicht aufregen, sonst schlafe ich wieder ein – nein – verfalle ich wieder in meinen Wahnsinn. Ja, Wahnsinn muß es gewesen sein, was mich damals beim Anblick der gräßlichen Trophäen ergriff, denn ich verlor wohl die Erinnerung an die Vergangenheit, allein ich wußte doch, daß ich lebte und mich mit der Gegenwart beschäftigte.«

»Es bildete sich in mir die Idee, und dann die Ueberzeugung, daß ich, indem ich den äußern Menschen umwandele, überhaupt eine ganz andere Person werde und mithin das nicht erlebt habe, was zuweilen in lichten Augenblicken, wie ein unermeßlich hoher Berg auf meiner Brust lastete. Es erwachte der unbestimmte Wunsch, ein vollblütiger Blackfoot zu werden, und Alles, was ich dachte und was ich trieb, lief darauf hinaus, den Erwartungen, welche man von mir, als dem weisesten aller Medicinmänner hegte, zu entsprechen.«

»Und es gelang mir; denn es wurde hinfort nichts mehr unternommen, ohne daß ich durch ein Zeichen, denn das Sprechen wollte ich mir ganz abgewöhnen, meine Zustimmung gegeben, und Niemand starb mehr im Dorf, ohne daß ich an seinem Lager die indianische Trommel gerührt hätte. Hahaha! Werker! Du warst der lustigste Offizier beim Regiment, Du hast es endlich –«

»Halten Sie ein, um Gotteswillen, halten Sie ein!« unterbrach ich flehend den unglücklichen, schwergeprüften Mann, »fürchten Sie für Schanhatta und sammeln Sie Ihre Gedanken!«

»Nicht Schanhatta, sondern Jeannette heißt meine einzige Tochter,« entgegnete Werker erschreckt zusammenfahrend, »sie befindet sich nur wenige Schritte von hier, und ich will sie retten. Ich soll meine Gedanken ordnen, es ist wahr, ein Fehler von[296] meiner Seite, und Ihr seid Beide verloren. Du hast recht mein Sohn, erinnere mich nur zur rechten Zeit, wenn der döse Geist über mich kommt – aber nun will ich weiter erzählen – die Last muß von meiner Brust herunter.«

»Lange, lange Jahre bin ich nun schon der erste Zauberer der Blackfeet gewesen und als solcher von ihnen mit der größten Achtung, ja, sogar mit einer gewissen Scheu behandelt worden. Wie viele Jahre, das mag Gott wissen, aber vielmals sah ich in den Prairien den Schnee mit blumenreichem Rasen abwechseln.«

»Meine Rolle als Zauberer und ein mit übernatürlicher Macht ausgerüstetes Wesen habe ich gewissenhaft durchgeführt. Es war keine schwere Aufgäbe. Den Pferdedieben rieth ich zu Raub, den blutgierigen und rachedurstigen Kriegern, ihren unbezähmbaren Leidenschaften freien Lauf zu lassen, mit den Gefangenen, da ich sie doch nicht befreien konnte, nach Willkür zu verfahren. Ich war nahe daran, die mir selbst gestellte Aufgabe zu lösen, nämlich in den immer seltener wiederkehrenden Minuten, in welchen ich, durch das Weinen von Kindern dazu veranlaßt, meiner Töchter gedachte, meine Erlebnisse für die eines Andern zu halten, als Blackbird mit Dir und Jeannette als Gefangenen eintraf.«

»Jeannette und Deine Papiere hatten Veranlassung zu Streitigkeiten unter den Kriegern gegeben. Die Einen wellten ihre Ansprüche auf das Mädchen nicht aufgeben, die Andern wünschten das sprechende Zauberpapier zu besitzen, und Blackbird wieder gedachte, Beides für sich zu behalten, wenigstens nicht gutwillig an einen Andern abzutreten. Der Streit hatte einen so ernsten Charakter angenommen, daß man ihn für wichtig genug hielt, deshalb die Aeltesten des Dorfes zu einer Berathung zusammen zu rufen.«

»Wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten, wurde ich aufgefordert, mich an der Berathung zu betheiligen.«

»Man zeigte mir das Mädchen, welches ich kaum eines Blickes würdigte, und man zeigte mir das Manuscript. Ich hatte beschlossen, Jeannette Blackbird zuzusprechen, und die übrigen Krieger um das Manuscript loosen zu lassen, als ich zum Glück noch rechtzeitig in Letzterem zu blättern begann. Ich las bekannte Namen, ich las sogar meinen eigenen Namen und die meiner Töchter, und wie sonst das klägliche Weinen kleiner Kinder meine trüben Gedanken in eine ganz andere Richtung zu lenken Pflegte, so wurde ich beim Ueberfliegen der ersten Zeilen in ähnlicher, indessen weit erschütternder Weise ergriffen. Je mehr ich las, um so klarer wurden meine Gedanken, um so lebhafter trat meine Vergangenheit mir vor die Seele.«

»Von diesem Augenblick an regten sich in mir wieder die Gefühle des Vaters, des Weißen Mannes; zugleich aber bemächtigte sich meiner mit unwiderstehlicher Gewalt das Verlangen, die Indianer zu täuschen, um dadurch Zeit zu gewinnen, die Schrift durchzulesen und zu entdecken, in wie weit die beiden Gefangenen mit dem Inhalt der beschriebenen Blätter in Verbindung zu bringen seien.«

»Da ich sonst stets schweigsam war, so erregte es in der Versammlung kein geringes Erstaunen, als[297] ich, nachdem ich die Schrift flüchtig durchblättert hatte, zu sprechen anhob und erklärte, daß das sprechende Papier eine außerordentliche Zauberkraft enthalte. Meine Zuhörer setzten keinen Zweifel in meine Worte; erblickten sie doch in meiner so plötzlich erwachten Redseligkeit eine Wirkung der in dem Manuscript vorgeblich verborgenen übernatürlichen Medicin.«

»Es gelang mir daher leicht, sie zu überreden, daß ich, eh' über das Geschick der Gefangenen entschieden werden dürfe, die gefährliche Zauberkraft vorerst genau kennen leinen müsse.«

»Bei einer zweiten Zusammenkunft in dieser Hütte bekräftigte ich nur, was ich bereits angerathen hatte. Ich machte Alle aufmerksam auf den Umfang des sprechenden Papiers, und drang darauf, mich die Nacht über allein zu lassen, um ungestört zu lesen. Ich vertröstete sie zugleich auf den innerhalb zweier Tage bevorstehenden Mondwechsel, vor welchem Zeitpunkt, nach meiner sorgfältigen Berechnung, überhaupt an keinem Gefangenen das über ihn verhängte Urtheil vollzogen werden dürfe, solle daraus dem Stamme kein Unglück erwachsen.«

»Bei dem allen Eingeborenen eigenthümlichen Aberglauben hielt es nicht schwer, die aufgeregten Gemüther, und zwar ohne Argwohn zu erregen, zu beruhigen und nach meinem Willen zu lenken.«

»Man sah das Verständige meiner Nachschlage ein und entfernte sich; die Thüröffnung wurde indessen auf meinen ausdrücklichen Wunsch auch noch von Außen fest verrammelt. Ich wünschte vor meiner Zusammenkunft mit Ihnen und meiner Tochter noch mehr von dem Inhalte des Manuscriptes zu erfahren und dann in meiner Unterhaltung mit Ihnen nicht unterbrochen zu weiden. – Sie sehen, Herr Wandel, ich bin jetzt ruhig; die furchtbare Gemüthsbewegung, welcher ich seit den letzten zwölf Stunden unterworfen gewesen, hat mich nicht getödtet oder auf's Neue meine Gedanken verwirrt. Im Gegentheil, mir ist, als ob meine Verstandeskräfte, seit mein Geist unausgesetzt nach der einen Richtung hinarbeitet, sich verschärft hätten. Meine Rolle als Medicinmann werde ich ebenso gut und tauschend durchführen, wie zur Zeit, da mir dieselbe zur andern Natur geworben war, und immer möglicher erscheint es mir, daß es uns gelingt, zu entfliehen. Hahaha! wie sie hinter uns her spüren werden! Aber ich mache uns unsichtbar, denn ich bin ein Zauberer –«

»Schanhatta, Schanhatta! Lieber Weiler, denken Sie an Schanhatta, Ihre Tochter!« rief ich bei dieser Wendung seiner Rede mit innerlichem Zagen aus.

»Jeannette, ach ja, meine Gedanken schweiften ab,« versetzte Werker, seine Augen eine Weile schließend; »doch fürchte nichts, ich bin nur zuweilen zerstreut; es dauert aber nicht lange, und wenn es gilt, unsere Feinde zu täuschen, dann werde ich schon auf mich achten. Oder glaubst Du vielleicht, ich sei im Stande, mein eigenes, mein einziges Kind zu verrathen? Oder Dich, den Verlobten meiner armen Johanna und den zukünftigen Gatten meiner lieblichen Jeannette? Hahaha! Du bist ein braver Junge, und sie ist ein liebes Kind! O, wie glücklich werdet Ihr sein! Und ich ziehe mit Euch; die Farben wasche ich[298] wir ab, hahaha! Niemand wird den alten Zaubermann –«

»Schanhatta, Ihre Tochter, vergessen Sie nicht Ihre Jeannette,« flüsterte ich ängstlich.

Werker schauderte, wie vor Kälte und dann richtete er sich mit einer entschiedenen Bewegung empor. »Ich danke Dir, mein Sohn,« sagte er ernst und ruhig, seine Hand wieder auf meine Stirn legend, »Du warst der gute Engel meiner Kinder und dafür will ich jetzt der Deinige sein. Nun merke auf meine Worte, und handle so, wie ich es Dir vorschreiben werde, Dein Leben und das Leben meiner unschuldigen Jeannette hängen von der pünktlichen Befolgung meiner Rathschläge ab.«

»Morgen, oder vielmehr schon heute, denn die Morgendämmerung ist nicht mehr fern, werde ich den ganzen Tag abwesend sein. Dein Leben wird man wahrend dieser Zeit nicht anzutasten wagen, noch weniger Jeannette irgend welchen Zwang anthun, aber es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß man Dir unter gewissen Bedingungen die Freiheit verspricht. So seltsam und widersinnig diese etwanigen Vorschläge klingen mögen, weise sie nicht unbedingt zurück, aber nimm sie auch nicht unbedingt an; Letzteres konnte Argwohn erwecken. Berufe Dich auf mein Urtheil, ohne indessen Theilnahme für mich zu verrathen, und gieb vor, daß Du so handeln wolltest, wie ich es aus dem sprechenden Papier herauslesen würde. Das Weitere überlasse mir; aber noch einmal, mein lieber Freund und Sohn, versprich mir bei Deiner Ehre, meinen Anordnungen, welcher Art sie auch sein mögen, blindlings Folge zu leisten, mich nach nichts zu fragen, mir zu nichts zuzureden, überhaupt nicht anders zu sprechen, als wenn ich Dich frage. Befindest Du Dick erst außerhalb des Bereichs der Blackfeet, dann bist Du wieder Herr Deines Willens und Du kannst handeln, wie Du es für am besten und angemessensten hälft.«

»Ich lege meine Hand auf die Deinige, betrachte es so, als hättest Du Deine Hand in die meinige gelegt, zum heiligen Versprechen.«

»Ich verspreche Ihnen Alles,« entgegnete ich ohne Zögern, denn mochte ihm über kurz oder lang ein Rückfall drohen, in diesem Augenblick war sein Verstand so klar, sein Gedächtniß so scharf und frisch, wie sich unter den obwaltenden Umständen nur immer hoffen, wünschen und erwarten ließ. Was aber am meisten die Rückkehr seiner vollen geistigen Kräfte bekundete, war, daß er alle Aeußerungen seiner Gefühle, sowohl der Freude, als auch des Schmerzes, welchen er in einer minder gefährlichen Lage gewiß freien Lauf gelassen haben würde, mit männlichem Muthe und ernster Entschlossenheit zurückdrängte.

»Ich verspreche Alles,« wiederholte ich in überzeugender Weise, mit einer gewissen Ehrfurcht in die wohlwollenden trüben Augen blickend, »mag kommen, was da will, ich bin auf Alles, selbst auf das Schlimmste gefaßt, und nehme daher mit um so dankbarerem Herzen jede freundliche Wendung meines Geschicks entgegen.«

»Gut, mein lieber Sohn,« versetzte Werker zufrieden, »ich scheide von Dir, um Dir Rettung zu bringen. Sei geduldig und bewege Dich so viel Du kannst; Deine Gelenke müssen geschmeidig bleiben,[299] und nun lebe wohl, ich muß mich beeilen, denn bevor ich meine alte Rolle wieder übernehme, möchte ich so gern noch einen Blick auf das Antlitz meiner Tochter werfen.«

Bei diesen Worten entfernte er das kleine Feuer aus meiner Höhle, und nachdem er die Spuren desselben, so gut es eben gehen wollte, verwischt hatte, schloß er die Thüröffnung wieder mit den bereitliegenden Holzstücken und Steinen.

Ich unterschied sodann noch, daß er Schanhatta einen kurzen Besuch abstattete, und als im Dorf nach allen Richtungen hin Stimmen laut wurden und den Anbruch des Tages verkündeten, da war es in der Medicinhütte so still, als wäre ich das einzige lebende Wesen in derselben gewesen. Sogar das Holz des von Werker geschürten Feuers, bei dessen spärlicher Beleuchtung er fortfuhr in meinem Manuscript zu lesen, schien seltener zu knacken und leiser zu knistern.

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 3, Berlin 1865, S. 289-300.
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