Siebentes Capitel.

Die Landung.

Die Indianer blieben, wie ich nicht anders erwartete, ruhig, und wenn sie wirtlich eine Landung beabsichtigt hatten, so waren sie nur durch das Feuer, welches die Nähe anderer Weißen bekundete, davon zurückgehalten worden. Ganz aufgegeben hatten sie den Plan indessen keineswegs, dazu hofften sie auf eine zu reiche Beute und stand Blackbird's Sinn zu unerschütterlich auf Schanhatta gerichtet; aber mit Ueberlegung wollten sie handeln und sich vorher überzeugen, ob unsere muthmaßliche Verstärkung nicht zu viel für ihre Kräfte sei.

Daß Letzteres nicht der Fall war, dafür erhielten sie kurz vor Sonnenaufgang die untrüglichsten Beweise, als sie auf derselben Stelle, auf welcher sie während der Nacht das fremde Feuer beobachtet hatten, eine dichte schwarze Rauchsäule emporsteigen sahen.

Die Rauchsäule, das verabredete Zeichen der Späher, daß sie die dort lagernden Weißen überwunden oder vertrieben hätten, begrüßten die auf dem Ufer versammelten Blackfeet mit wildem Jubel, und in so hohem Grade steigerte die willkommene Nachricht ihr Entzücken, daß Einzelne, um schon im Voraus einen Triumph zu feiern, sogar ihre Büchsen in der Richtung nach der Insel abfeuerten, obwohl bei der großen Entfernung und der Unsicherheit des Ziels, ihr Schießen als eine für sie selbst unverantwortliche Pulververgeudung erscheinen mußte.

Da sie jetzt keinen Grund mehr hatten, ihre Absichten vor uns geheim zu halten, wir ihnen aber weder nach der einen, noch nach der andern Seite hin entschlüpfen konnten, so schritten sie nach dem ersten Ausbruch ihrer Fröhlichkeit sogleich an's Werk, weiter oberhalb ein größeres und für ihre Zwecke geeigneteres Floß zu bauen.

Den Tag über hatten wir zwar nichts von ihnen zu fürchten, indem wir während ihres Herantreibens[161] eine furchtbare Verheerung unter ihnen hätten anrichten können; anders dagegen gestalteten sich die Sachen zur nächtlichen Stunde, wenn die Dunkelheit nicht allein das Zielen erschwerte, sondern wenn auch jeder Einzelne unserer Feinde sich in liegender Stellung hinter aufgestapelten Treibholzstücken gegen unsere Kugeln zu schützen vermochte.

Bald nach Anbruch des Tages hatten Dalefield und seine beiden Söhne sich zu mir gesellt, und während wir auf den Holzstämmen sitzend unser einfaches, von dem Neger herbeigebrachtes Mahl verzehrten, beriethen wir ernstlich unsere Lage und die sich uns bietenden Aussichten auf Rettung.

Nicht wenig überraschte es sie, das Nähere über Schanhatta's Sendung zu erfahren und daß ihre Freunde von Fort Union ihnen so nahe seien. Von Kate's besonderer Furcht für Halbert erwähnte ich kein Wort, doch glaubte ich bei genauerer Beobachtung, sowohl aus Dalefield's, als aus seiner Sohn? Benehmen schließen zu dürfen, daß Kate's Neigung ihnen kein Geheimniß sei und sie den Gegenstand ihrer Liebe bereits als ein Mitglied ihrer Familie betrachteten. Darin stimmten wir indessen Alle überein, daß Halbert sich, nachdem Schanhatta ihn gewarnt, wieder stromaufwärts gewendet habe, um auf irgend eine Art Entsatz aus unserer bedrängten Lage herbeizuschaffen.

Wir waren eben übereingekommen, einen hinreichenden Vorrath von Treibholz nach der Südspitze der Insel hinunterzuschaffen, um daselbst die folgende Nacht hindurch einen weithin über die Wasserfläche leuchtenden Scheiterhaufen in Brand zu erhalten, als meine Blicke ein größeres, scheinbar von der Natur gebildetes Treibholzfloß streiften, wie deren fast zu jeder Zeit und an jeder Stelle des Missouri angetroffen werden. Dasselbe, ungewöhnlich schwer und träge in seinen Bewegungen, trieb nicht mit dem Hauptarm der Strömung dem Ufer zu, um vor dem Lager der Blackfeet abzuprallen und auf der Westseite unserer Insel vorüberzuziehen, sondern da, wo[162] die Strömung sich in zwei Kanäle theilte, drehte es sich einige Male im Kreise herum, worauf es sich stetig der Ostseite unserer Insel näherte.

Das Floß bestand aus mehreren, mit den Aesten in einander verschränkten Bäumen und hatte, da von allen Zweigen dichte Massen von Moosflechten und dürrem Grase niederhingen, ganz das Aussehen, als wenn es bereits seit Jahren an irgend einem Ufervorsprunge gelegen habe und neuerdings erst von den rastlosen Fluchen losgewaschen worden sei. Am meisten befremdete mich, daß auch grün belaubte Bäumchen und Zweige zwischen dem dürren und von der Luft gebleichten Holzwerk hervorragten, was sonst nur nach heftigen Regengüssen, oder nachdem der Schnee in den Gebirgen geschmolzen, der Fall zu sein Pflegte.

Das Floß war unterdessen näher herangekommen. Bald nach dieser, bald nach jener Seite versuchte es herumzukreisen, aber immer wieder gewannen die Fluthen das Uebergewicht über die Holzlast, und stetig, wie ein schwer befrachtetes Kanalboot, verfolgte es seine Bahn.

»Habt Ihr eine Leine, so werft sie uns zu!« ertönte jetzt eine Stimme zwischen dem Gebälk zu uns herüber, als das Floß ungefähr noch hundert Ellen weit von der Spitze der Insel entfernt sein mochte.

»Meine Gefährten saßen beim ersten Ton der Stimme wie erstarrt da; sie waren zu überrascht, als daß sie zu handeln vermocht hätten. Ich dagegen sprang empor und in der nächsten Minute befand ich mich bei unserm Wagenkasten. Mit einem raschen Schnitt trennte ich den fünfundzwanzig oder dreißig Fuß langen Rest der Leine von dem alten Rettungsboote, und als das Floß hinter der Insel angekommen, der Strömung folgend, eben nach dem jenseitigen Ufer hinüber lenkte, da stand ich in gleicher Höhe mit ihm die an die Kniee im Wasser, und gleich darauf fiel das eine Ende der von mir geschleuderten Leine quer über das Gebälk.«

Alsbald erhoben sich hinter den moosbehangenen Zweigen drei junge rüstige Männer, und zu meiner unaussprechlichen Freude auch die getreue Schanhatta. Ohne Zeit zu verlieren schnürten sie die Leine um einen der Hauptträger ihres Fahrzeugs, ein Theil der auf der Insel befindlichen Gefährten war zu meinem Beistand herbeigesprungen, und langsam schwang sich das Floß vor der straff gehaltene Leine und der andrängenden Strömung dem Ufer zu. Vorsichtig faßten die Ankömmlinge sodann festen Fuß auf den äußersten Treibholzstämmen, und jetzt erst entdeckte ich, wie es ihnen gelungen war, an den Indianern vorbeizutreiben, ohne von diesen entdeckt zu werden.

Sie hoben nämlich ein leichtes Rindenkanoe zwischen den Treibholzstämmen, zwischen welchen es wie in einem Kessel gelegen hatte, empor, und es behutsam über die scharfen Zacken forttragend, schoben sie es auf der andern Seite dem Ufer zu in's Wasser. Das Kanoe reichte von dem Floß bis nach dem Ufer hinauf; die Flüchtlinge konnten daher trockenen Fußes auf die Insel gelangen, doch geschah dies erst, nachdem das Floß wieder etwas weiter in die Strömung hinausgeschoben worden war und dieser dann langsam nachfolgte.

Obgleich bei dem Landen eben nur auf eine[163] günstige Gelegenheit, und weniger auf die Späheraugen der Blackfeet hatte Rücksicht genommen werden können, waren wir doch während des ganzen Verfahrens durch die Insel selbst gegen Letztere verdeckt geblieben; da aber das Floß nach nur kurzem Aufenthalt seine Reise fortsetzte und bald wieder in den Gesichtskreis unserer Feinde trat, so durften wir annehmen, daß nicht einmal deren Argwohn geweckt worden war.

Freilich mußten wir darauf gefaßt sein, daß die Späher, nachdem sie die Art der Flucht Halbert's und seiner Gefährten ausgekundschaftet hatten, nicht säumen würden, der Hauptmacht der Blackfeet, welche sich auf wenigstens dreißig wohlbewaffnete Krieger belief, von ihrer Entdeckung in Kenntniß zu setzen, doch seit die Landung glücklich ausgeführt worden war, hatte dies nur geringe Bedeutung für uns. Wir bildeten durch den Zuwachs der drei streitfähigen Männer eine Macht, stark genug, unsere Insel gegen eine uns zehnfach überlegene Bande zu vertheidigen, und nur die Besorgnis; für die Mädchen hielt uns ab, augenblicklich mit dem Bau eines Flosses zu beginnen, mit Hülfe des Wagenkastens und des Rindenkanoes die Flucht am hellen Tage auf dem Missouri fortzusetzen und den von den Ufern aus uns zugesendeten Kugeln Trotz zu bieten.

Erst nachdem das Kanoe in's Gebüsch hineingetragen worden war und dann die Begrüßungen zwischen Halbert und Dalefield nebst seinen Söhnen begannen, nahm ich die Gelegenheil wahr, die Ankömmlinge genauer zu betrachten.

Halbert, ein junger, hübscher, kräftig gebauter Offizier mit wohlwollenden braunen Augen und einer gewissen selbstbewußten Haltung, entsprach ganz dem Bilde, welches ich mir von ihm entworfen halte; er machte überhaupt den Eindruck auf mich, daß er durch sein Aeußeres sowohl, als auch durch einen offenen, ehrlichen Charakter dazu geschaffen sei, ein Herz, wie das der lieblichen Kate zu gewinnen.

Kate selbst stand etwas abseits, ich sah sie, sie dagegen sah mich nicht; sie hatte nur Augen für Halbert, und mit einem bezaubernden Ausdruck jungfräulicher Verschämtheit, kindlicher Schalkhaftigkeit und rührender Besorgniß blickte sie zu ihm hinüber, der sie bis jetzt noch nicht bemerkt hatte.

Als ihr Pater aber Halbert mit väterlichem Stolz bei der Hand nahm und ihn, auf seine ängstliche Frage nach Kate, dieser zuführte, o, wie ihr da das Blut in die Wangen und endlich bis in die Schläfen hinaufstieg, wie ihre Augen sich vor innerer Glückseligkeit umflorten und ihr Busen sich schüchtern hob und senkte! Vergessen waren die Gefahren, welchen wir bis dahin begegneten, vergessen die Gefahren, welche uns noch umringten, vergessen der vereinsamte Pelzjäger, der vor wenigen Stunden erst von Liebe zu ihr gesprochen. Warum hätte sie meiner auch noch weiter gedenken sollen? Und mit welchem Recht hätte ich beanspruchen dürfen, in ihrer Erinnerung fortzuleben? Sie war ja so glücklich, so unaussprechlich glücklich, und ich? mir winkte ringsum die Wildniß doppelt freundlich und heimisch zu, die Wildniß mit ihren Reizen und ihren Schrecken, die Wildniß, meine traute Freundin, meine Trösterin und meine Heimath.[164]

Eine Thräne, seit Jahren die erste, stahl sich mir in die Augen; ich wollte Niemand meine Schwäche sehen lassen und schlich heimlich und unbemerkt davon, um meinen Posten zwischen den Treibholzstämmen wieder einzunehmen. –

Eben hatte ich wich hingesetzt und mechanisch schweiften meine Blicke über das Ufer hin, auf welchem es von Indianern wimmelte, als das Knacken eines dürren Reises mich veranlaßte, hinter mich zu schauen.

Schanhatta, die treue Mandanenwaise, hatte sich in meiner Nähe niedergelauert. Ihre großen melancholischen Augen ruhten mit besorgnißvoller Teilnahme auf mir, als ob sie, das ungeschulte Kind der Natur, in meinem munden Innern zu lesen vermocht hätte. Auch sie war in dem Freudentaumel nicht beachtet worden; Niemand hatte daran gedacht, ein Wort des Dantes für ihre geleisteten Dienste an sie zu richten.

Sie verlange oder erwartete auch keinen Dank, sie glaubte nur das gethan zu haben, was zu thun ihre Pflicht gewesen; aber ihre schwarzen Augensterne schienen sich zu vergrößern und Heller zu strahlen, als ich meine Hand auf ihr Haupt legte und sie freundlich anblickte.

»Du bist ein braves, ein liebes Mädchen,« sagte ich, ganz versunken in das Anschauen des mit seltenem Liebreiz umflossenen, lichtbraunen Kindes; »Du hast mir eine große Herzensfreude bereitet und die Leute dort drüben glücklich gemacht; Du wirst dereinst einen schönen Lohn in dem Bewußtsein finden, eine gute, edle That ausgeführt zu haben. Du verstehst noch nicht, was ich damit sagen will,« fuhr ich fort, als ich in dem offenen, sammetweichen Antlitz einen Fug des Zweifels gewahrte; »aber harre nur geduldig aus, mein Kind, ich will nicht länger hindernd zwischen Dir und den Segnungen einer sorgfältigen Erziehung und Ausbildung stehen; es wäre sündhaft, meine Neigungen höher, als eine Dir möglichen Falls zu Theil werdende glückliche Lebensstellung anschlagen zu wollen. Habe ich bereits so viel in meinem Leben verloren, kann ich auch Deine mir zur lieben Gewohnheit gewordene Gesellschaft entbehren. Aber verlassen bist Du deshalb noch nicht von mir; ich werde über Dich wachen, wie über das Wohl eines mir anvertrauten kostbaren Schatzes, und nur für Dich und Deine Zukunft schaffen und arbeiten.«

Meine an Schanhatta gerichteten Worte hatten sich allmälig in eine Art Selbstgespräch verwandelt, in welchem ich an nichts weniger dachte, als meine Gedanken so einzukleiden, daß sie dem, obwohl außergewöhnlich scharfsinnigen und leicht auffassenden, aber noch wenig ausgebildeten Mädchen begreiflich wurden. Daß sie indessen ahnte, was ich betreffs ihrer Zukunft beschlossen hatte, wurde mir klar, als sie, nachdem ich geendigt, mit einem noch sprechenderen Ausdruck ängstlicher Verwirrung zu mir aufschaute und dann, als ob sie sich gescheut habe, mich zu berühren, das Gewehr, welches ich zwischen meinen Knieen hielt, schüchtern mit beiden Händen umklammerte.

»Schanhatta braucht keinen Lohn von den fremden Menschen,« sagte sie mit dem ihr eigenthümlichen, sinnenden Ernst das beantwortend, was sie von mei nen Erklärungen verstanden hatte; »mein Beschützer[165] hat gewünscht, die fremden Männer zu benachrichtigen, und das ist genug für Schanhatta. Die Mandanenwaise besitzt genug weiße Eigenschaften, sie ist ein armes braunes Mädchen und keine schöne weiße Frau. Aber wenn mein Gebieter sagt: Schanhatta soll mehr lernen, so lerne ich mehr; ich lerne so viel, wie er für gut befindet. Doch er irrt sich, Schanhatta wird nie verlassen sein, sie wird für ihren Herrn arbeiten, und nicht diesen für sich arbeiten lassen.«

»Beruhige Dich, mein Kind,« entgegnete ich, als ich eine seltsame Furcht in ihrem ganzen Wesen bemerkte, welche sie vielleicht darüber empfand, daß sie in andere, ihr vollständig fremde Verhältnisse und unter fremde Menschen gebracht werden könne; »ich will nur Dein Bestes und verlange von Dir weiter nichts, als daß Du Dich stets in meine Wünsche fügst.«

In so freundlichem Tone ich auch zu Schanhatta gesprochen hatte, war es mir doch nicht gelungen, ihre unbestimmten Besorgnisse zu beschwichtigen. Im Gegentheil, sie schien noch ernster und nachdenkender zu werden; denn ohne einen Seufzer oder den leisesten Laut der Klage ließ sie das Haupt auf die Brust sinken, und wie unbewußt spielten ihre kleinen zierlichen Finger mit der langen Schnur von farbigen Glasperlen, welche von ihrem schlanken Nacken bis tief über ihren züchtig verhüllten Busen niederhing.

»Armes verfolgtes, mißleitetes und mißbrauchtes Volk,« dachte ich, indem ich Schanhatta, dieses rührende Bild natürlicher, noch unentweihter, aber zum Bewußtsein gelangender Jungfräulichkeit und weiblicher Hingebung und Treue betrachtete, »wie viele Deiner Mitglieder könnten für ein besseres Erdendasein, für eine edlere Bestimmung herangebildet werden, wenn man nicht vorzöge, mit schlauer Berechnung und um geringen Voltheils willen den Hader nach allen Richtungen hin zu schüren, der zum sichern Verderben und endlichem Verschwinden einer ganzen Menschenrace von dem Erdboden führen muß.«

Ich wendete mich von Schanhatta ab und erfüllt von trüben Gedanken blickte ich nach dem jenseitigen Ufer hinüber, wo Mitglieder desselben Voltes uns feindlich gegenüber standen. Sie trachteten mir nach Eigenthum und Leben, und dennoch hätte ich sie nicht zu verfluchen vermocht. Bis jetzt hatte ich noch keinen Menschen getödtet, denn der Kolbenschlag, durch welchen ich den hinterlistigen Krieger zu Boden schmetterte, konnte nicht von tödtlichen Folgen begleitet gewesen sein; ich schauderte bei der Aussicht, vielleicht schon in nächster Zeit meine mörderischen Kugeln unter die braunen kriegerischen Gestalten versenden zu müssen, und meine ganzen geistigen Kräfte vereinigten sich dahin, Mittel und Wege zu ergründen, auf welchen es uns gelingen würde, ohne Kampf und Blutvergießen von der Insel zu entkommen.

Schanhatta saß wieder hinter mir, eine melancholische indianische Melodie vor sich hinsummend, und ich blickte schweigend stromaufwärts, wo ich in der Ferne die unverrichteter Sache zurückkehrenden Späher bemerkte.

Dieselben trafen nach kurzer Zeit dem Blackfootlager gegenüber ein und berichteten mit durchdringender, jauchzender Stimme über ihren Erfolg und den muthmaßlichen Verbleib der Flüchtlinge, und noch immer saßen Schanhatta und ich zwischen dem verworrenen[166] Gebälk, ohne daß es Jemand der Mühe werth gehalten hätte, sich um uns zu kümmern. Erst als die Blackfeet, in Folge der ihnen zugegangenen Nachricht in ein wildes Rachegeheul ausbrachen und ein erbitterter Krieger seine Büchse auf mich abschoß, daß die Kugel nur wenige Schritte von mir sich krachend in einen morschen Baumstamm grub, eilte die auf so rauhe Art an ihre mißliche Lage gemahnte Gesellschaft herbei, um sich bei mir Rath zu holen.

Ueber die scheinbare Vernachlässigung konnte ich den Leuten nicht zürnen; das Wiedersehen war ja ein so freudiges Ereigniß gewesen, und zu viel hatten sie einander mitzutheilen, um auch noch einem freudelosen, ziemlich verschlossenen Fallensteller viel Aufmerksamkeit zuzuwenden. Als Halbert aber mit seinem offenen Wesen zu mir herantrat und mir, statt jeder Aeußerung des Dankes, die Hand drückte und mich zugleich bat, ihm und seiner zukünftigen Gattin die Mandanenwaise anzuvertrauen und ihnen zu gestatten, mit mir vereinigt über deren Wohlergehen wachen zu dürfen, da schwand, wie der Frühlingsschnee vor den warmen Sonnenstrahlen, die letzte Probe von Mißmuth oder Groll aus meiner Brust. In der achtungsvollen Begegnung des jungen Offiziers, in seinem vorsichtigen Vermeiden jeder Anspielung auf die mögliche Belohnung für die von mir und Schanhatta geleisteten Dienste, oder auf Schadenersatz für meine Verluste, erkannte ich, welcher Art die Urtheile gewesen, welche man über mich gefällt hatte, und wie man sich beeiferte, mich gerade so zu behandeln und zu betrachten, wie ich behandelt und betrachtet sein wollte, wie es allein meinen Neigungen und meinen Begriffen von Menschenrechten und Menschenpflichten entsprach.

Kate selbst war auf der geschützten Lagerstelle zurückgeblieben; offenbar hatte sie verhüten wollen, durch den Anblick ihres Glückes schmerzliche Erinnerungen in mir wachzurufen. Im Heizen dankte ich ihr für diese schwesterliche Rücksicht, doch fühlte ich mich auch wieder bis zu einem gewissen Grade peinlich dadurch berührt, daß sie, und vor Allem Derjenige, vor dem sie kein Geheimniß mehr hatte, mir nicht Kraft genug zutrauten, meine Gefühle, welcher Art sie auch immer sein mochten, niederzukämpfen, oder daß man mich vielleicht gar bemitleidete.

Selbstverständlich konnten wir nicht lange beieinander weilen, ohne unsere Flucht in Betracht zu ziehen und die zunächst von uns einzuschlagenden Schritte nach allen Richtungen hin zu erwägen.

Zwei Umstände waren es, welche unsere Lage vorzugsweise mißlich machten, nämlich erstens und hauptsächlich die bedeutende Uebermacht der Blackfeet, die in ihren Reihen wenigstens ebenso viele Büchsen aufzuweisen hatten, wie wir besaßen, und dann, wenn es uns wirklich gelang, irgendwo unbemerkt zu landen, daß uns kein einziges Pferd oder Lastthier zu Gebote stand.

Denn auch Halbert und feine beiden Gefährten, von welchen der eine ein Soldat seiner Abtheilung, der andere ein erträglich erfahrener Jäger, waren ohne Pferde. Sie hatten der größeren Bequemlichkeit und Sicherheit wegen, wie auch, um sich jederzeit nach einer beliebigen Seite des Stromes hinüberbegeben zu können, vorgezogen, die Reise von Fort[167] Union aus in einem tragbaren und daher selbst auf dem Lande leicht fortzuschaffenden Kanoe anzutreten. Es war dies dasselbe Kanoe, in welchem sie, nach Schanhatta's Eintreffen bei ihnen ihre Flucht ermöglichten, indem sie es schleunigst von allen Seiten mit einem schwimmenden Gerüst von dem im Ueberfluß vorhandenen Treibholz, Moos und dürren Gras umgaben, und sich dann, nachdem sie das eigenthümliche Fahrzeug vorsichtig in die Strömung hinausgeschoben hatten, auf den Boden desselben dicht neben einander niederlegten.

Vorläufig bot uns die Insel Sicherheit genug; es fehlte uns nicht an Lebensmitteln und brauchten wir uns daher nicht zu übereilen, unfern Aufenthaltsort mit einem andern zu vertauschen, auf welchem wir der Raublust der Indianer mehr ausgesetzt gewesen wären. Die Reise stromaufwärts wurde von allen Seiten einstimmig aufgegeben; der Hauptzweck war, wie ich schloß, durch das Zusammentreffen mit Halbert erreicht, und handelte es sich jetzt nur darum, in Sicherheit zu gelangen, wobei ich noch immer jedem feindlichen Zusammenstoß mit den Indianern vorzubeugen mich bestrebte.

Da Halbert's Eintreffen keine Aenderung in unserm frühern Uebereinkommen hervorrief, so entschied ich mich dafür, während des Tages nichts zu beginnen, wodurch unsere wahren Absichten hätten verrathen werden können, die Feinde dagegen sorgfältig im Auge zu behalten, fortzufahren Brennholz nach der Südspitze der Insel hinunter zu schaffen, und bei dieser Gelegenheit solche leichte Baumstämme noch besonders auszusuchen, wie zu den von mir vorgeschlagenen Zwecken geeignet erscheinen würden.

Es geschah, wie ich anordnete, und die Hälfte des Tages war noch nicht verstrichen, da lag nicht nur an der bezeichneten Stelle eine mehr als ausreichende Masse von Brennholz, sondern neben den ins Dickicht hineingezogenen Fahrzeugen waren auch so viel Stangen und schlanke Stämme angehäuft worden, daß man mittelst derselben beinah eine schmale Brücke nach dem nächsten Ufer hinüber hätte schlagen können. Außerdem hatte ich auch, in Ermangelung von Leinen, eine Anzahl geschmeidiger Weiden in Strickform zusammendrehen lassen, so daß es nur einer halben Stunde Zeit für uns bedurfte, den Wagenkasten und das Kanoe flott zu machen, beide Theile durch ein Gerüst brückenartig mit einander zu verbinden, Sachen, und Personen einzuschiffen und dann die Reise stromabwärts anzutreten.

Die Zeit des Aufbruchs zu bestimmen, behielt ich mir vor, denn da die Indianer, wie ich leicht entdeckte, einen Angriff, wahrscheinlich schon für die kommende Nacht vorbereiteten, so stand zu befürchten, daß ihr mit den besten und verwegensten Kriegern bemanntes Floß gerade in derselben Stunde bei der Insel eintraf, in welcher wir vielleicht im Begriff waren, dieselbe zu verlassen.

Mit Spannung und nicht frei von Besorgniß sahen wir daher dem Einbruch der Dunkelheit entgegen. Die Blackfeet verhielten sich ruhig, außer daß sie ämsig an ihrem Floß bauten, und wir wieder kochten und lebten in einer Weise, als wenn es für uns auf dem ganzen Erdball keine Indianer, und am allerwenigsten Feinde gegeben habe. Wie sie uns, so[168] suchten wir die Wilden eben durch unsere Ruhe zu täuschen, und gerade dadurch den richtigen Zeitpunkt zum Handeln zu erspähen und uns vor allen Dingen nicht ungerüstet finden zu lassen. Die Blackfeet wären übrigens schlechte Indianer gewesen, hätten sie, nachdem ihnen die Kunde von Halbert's Eintreffen geworden, noch irgend welche Zweifel über unsere Absichten hegen wollen.

Räthselhaft und zugleich Besorgnis? erregend erschien es mir, daß sie bei ihrem Floß noch eine Anzahl von Blöcken zusammenschleppten, welche eine solche Form hatten, daß sie zum Bau des Fahrzeugs selbst kaum verwendet werden konnten. Sie waren zu kurz und zu schwer, um als Brustwehr gegen unsere Schüsse zu dienen. Ebenso entging mir nicht, daß das Floß selbst, um eine zum Angriff hinreichende Anzahl von Kriegern aufzunehmen, zu wenig umfangreich und mit zu wenig Sorgfalt zusammengefügt wurde.

Ich zog meine Schlüsse aus diesen Entdeckungen, hütete mich indessen, irgend Jemand etwas darüber mitzutheilen. Dagegen versäumte ich nicht, Allen noch einmal auf's Schärfst? einzuprägen, auf meine Stimme zu achten und im entscheidenden Augenblick, ohne den geringsten Zeitverlust und ohne auch nur einen Schritt nach eigener Willkür zu thun, meinen Anordnungen gewissenhaft nachzukommen.

Alle, selbst die vor Wuth auf alle Indianer halb wahnwitzige Negerin, begriffen, daß eben nur in der größten Besonnenheit und in der genauen Uebereinstimmung des Handelns unsere Rettung liege. Mit erleichtertem Herzen sah ich daher die Sonne sich dem Westen zuneigen und endlich den äußersten Rand der hochgelegenen Prairie berühren. Ich hegte eben die beruhigende Ueberzeugung, alles Mögliche gethan zu haben, das Unheil von uns abzuwenden; war uns aber dennoch ein verderbliches Loos beschieden, dann blieb mir, Angesichts eines traurigen Endschicksals, der tröstliche Gedanke, daß ein Wille gegen uns gewesen, gegen welchen anzukämpfen, die Kräfte Sterblicher übersteigt. –

Als die Sonne vor unfern Augen verschwand, mochte es wohl noch eine halbe Stunde bis zu ihrem wirklichen Untergange dauern. Ich zögerte daher nicht länger, sondern zündete selbst den Scheiterhaufen an und beauftragte die Negerin, darüber zu wachen, daß er ohne Unterlaß hoch emporflamme und in weitem Umkreise einen möglichst hellen Schein auf die eilenden Fluthen des Missouri werfe.

Halbert übertrug ich sodann das Commando über diesen Theil der Insel, und nachdem ich vor Aller Augen eine Anzahl kürzerer, sich zu Fackeln eignender Aeste mit dem einen Ende in die Gluth geschoben und deren Bestimmung erklärt hatte, wies ich den einzelnen Schützen, selbst der unerschrockenen Kate ihre Posten an, von welchen aus sie am bequemsten auf das voraussichtlich sehr dicht heranschießende und grell beleuchtete feindliche Floß feuern konnten.

Begleitet von dem fremden Jäger und von Schanhatta, begab ich mich darauf nach dem nördlichen Ende der Insel hinüber. Zu unserm Vortheil gereichte übrigens noch, daß Dalefield, außer seinen Büchsen, einige Doppelflinten bei sich führte, welche er und die Seinigen zur kleineren Jagd zu benutzen[169] pflegten. Diese Flinten, mit starken Rehposten geladen, gewährten in der Dunkelheit einen sichereren Schuß, als die Büchsen, obwohl ich auch diese, zu der Kugel, noch mit einigen Rehposten zu laden dringend empfohlen hatte. Ich selbst hatte mich ebenfalls zu der Büchse noch mit einem dieser Gewehre bewaffnet, und war mithin Alles geschehen, den Indianern einen so warmen Empfang zu bereiten, daß fit nach dem Mißlingen des ersten Angriffs, nicht so bald wieder an eine Erneuerung desselben denken sollten.

Noch war die Dämmerung nicht vollständig in nächtliche Finsterniß übergegangen, als Alle ihre Posten einnahmen, und wenn die Negerin nicht jedes Stück Holz, welches sie auf den Scheiterhaufen warf, mit einem ganzen Schwall von lauten und eben nicht sehr gewählten Verwünschungen begleitet hatte, wäre es auf der kleinen Landscholle so still gewesen, wie in den Wohnungen der Todten.

Auch in das Lager der Blackfeet schien tiefe nächtliche Ruhe eingezogen zu sein. Niemand rührte sich daselbst; die kleinen Feuer glimmten nur noch ganz verstohlen und kämpften sichtbar um ihr kurzes Dasein, als ob diejenigen, welche dieselben während des Tages umschwärmten, sich längst zum Schlaf hingestreckt hätten.

Ich hatte wieder meine alte Stelle auf dem Treibholzriff eingenommen; vor mir, an einen Baumstamm gelehnt, stand die Doppelflinte; auf meinen Knieen ruhte meine Büchse. Schanhatta, deren scharfe Organe mir an diesem Abend mehr werth waren, als noch zwei Büchsen, saß neben mir, während Halbert's Jäger sich hart am Rande des Wassers, ungefähr zwanzig Schritte von mir entfernt, so auf den Boden hingestreckt hatte, daß seine Augen sich fast in gleicher Höhe mit dem Spiegel des Stromes befanden, er also um so weiter über die vor ihm sich ausdehnende Wasserfläche hinzuspähen vermochte. –

Eine Stunde verrann, ohne daß die tiefe Stille durch irgend ein verdächtiges Geräusch unterbrochen wor den wäre. Die Nacht war milde und lieblich, und kaum vermochte man sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß unter ihrem Schleier sich Menschen gegenseitig in wildem unbarmherzigen Kampfe zu vernichten trachteten. In unbeschreiblicher Pracht wölbte sich der Himmel über die weite Landschaft. Milliarden von funkelnden Gestirnen erhellten matt die oberen Luftschichten; nahe dem Erdboden dagegen war es dunkel, so dunkel, daß man auf geringe Entfernungen die äußeren Umrisse der verschiedenen Gegenstände nicht mehr genau mit den Augen verfolgen konnte.

Die Baumgruppen auf den Ufern erschienen näher, größer und massiger, und gar wunderlich waren die Figuren, welche sie mit ihren unregelmäßigen Außenlinien vor dem nächtlich geschmückten Hintergrunde bildeten: Hier glaubte man mächtige Elephanten zu erblicken, von denen einzelne ihre langen Rüssel grimmig aber regungslos emporhielten, dort wieder orientalische Minarets, welche, nach der einen Seite überhängend, jeden Augenblick umzufallen drohten. Weiter abwärts zeigten sich riesenhafte Berggeister aus »Tausend und eine Nacht«, welche sich verkörpert hatten, und neben diesen ragten wieder[170] friedliche Heuschober und halb zerfallene Scheunen empor. Auch stattliche Dome mit runden Kuppeln schauten über die hohe, vielfach unterbrochene schwarze Waldmauer empor, und zackige Gerüste, welche hier an einen unvollendeten Bau, dort an eine Gauklerbude oder auch an einen unheimlich verzierten häßlichen Rabenstein erinnerten.

Wenn nur ein tüchtiger Windstoß dazwischen gefahren wäre, wie dann wohl die Elephanten ihre Rüssel und der Rabenstein seine Gerichteten geschüttelt und die Dome, die Minarets, die Windmühlen, die Häuser und die Heuschober geschwankt hätten! Doch die Luft blieb ruhig und regungslos, wie in einen tiefen Zauberschlaf versunken, verharrten die schwarzen bizarren Gebilde; furchtlos spielten um sie herum die muntern Johanniskäferchen, und diesen nach folgten, von deren Glanz geblendet, dickköpfige Nachtfalter und schlank gebaute Mücken, als ob sie zwischen dem grünen Laub ein allerliebstes Kindermärchen hätten aufführen wollen.

Oft aber auch täuschten sich diese kleinen Nachtwandler: sie erblickten den von unserm Scheiterhaufen emporgesendeten Funkenregen und den hellen Schein, der sich so wunderbar schon in den eilenden Fluthen spiegelte, und in der Meinung, daß dort die Heimath aller Johanniskäfer liege, die grell beleuchtete Negerin aber mit ihrer glimmenden Schürstange die Königin aller Glühwürmer sei, schossen sie lustig und guter Dinge in die hellen Flammen hinein, um in, nächsten Augenblick als feiner Aschenstaub eine Beute des ersten besten Lufthauches zu werden.

Auch zu den Steinen mochten die kleinen Thierchen sehnsüchtig emporschauen und zu den Meteoren, die so prächtige Feuerlinien zogen. Aber die Sterne waren so weit, so unendlich weit, daß selbst die Ahnungen eines Menschen sie nicht zu erreichen vermochten, und die Ahnungen und Hoffnungen der Menschen reichen doch schon so sehr weit; und gerade wie die Nachtfalter, die Mücken und die Käfer find auch die Menschen dazu geneigt, sich durch einen etwas helleren Schimmer verblenden zu lassen, um, wie jene, in ihrem ehrgeizigen Haschen nach Glanz, Pracht und Auszeichnung vor ihren Mitmenschen elend zu verderben. Und sich durch das Beispiel Anderer warnen zu lassen, das liegt nicht in der Natur ehrgeiziger Menschen, ebenso wenig wie in der Natur der dummen Nachtfalter und der leichtsinnigen Mücken und Motten, nur mit dem Unterschiede, daß während ersteren helle Schadenfreude nachfolgt, auf der Insel die kleinen Insekten freundlich zu Grabe gesungen wurden.

Und ein schöner melancholischer Gesang war es, welchen der Missouri unablässig, wenn auch nur gedämpft erschallen ließ. So heimlich rauschte es nah und fern, so behaglich plätscherten die kleinen Wellen gegen das sandige Ufer, so luftig spielten sie mit den zu ihnen niederhängenden grünen Zweigen und so un willig murmelnd drängten sie sich zwischen den Zacken des Holzriffs hindurch, daß es nur eines geringen Grades von Phantasie bedurfte, um in dem Rauschen, Plätschern und Murmeln Worte zu erkennen, welche in lauter schöne neue Lieder zusammenzustellen für einen Dichter ein Leichtes gewesen wäre.

Dann krachte es auch zuweilen auf seiner Oberfläche,[171] als ob er nach Absingung eines Verses einen Punkt und Gedankenstrich habe hinzufügen und dadurch einen Absatz in seinem Liede andeuten wollen. Das Krachen aber entstand dadurch, daß er zwei Treibholzstücke mit minderer oder größerer Heftigkeit, zusammenführte, um sie, eins in des anderen Gesellschaft, eine kurze Strecke zurücklegen zu lassen. Und wenn es so trachte, dann blickte ich noch schärfer auf den beweglichen Wasserspiegel hin, auf welchem ein Holzblock dem andern nachfolgte, bald eilfertig auf der Westseite der Insel, bald mit langsameren Bewegungen auf der Ostseite sich vorbeischiebend. Die auf grauer Fluth schwimmenden schwarzen Punkte hatten so viel Aehnlichkeit mit menschlichen Köpfen und Schultern, daß ich mehr als einmal meine Büchse fester umspannte, um von einem auf diese Weise listig heranschleichenden Feinde nicht überrascht zu werden.

Doch Alles blieb ruhig. Blöcke, Stämme und Aeste trieben vorüber, ohne mehr Leben zu vorrathen, wie gewöhnlich ein von der Strömung umhergewirbeltes Stück Holz zu zeigen pflegt. Nur fiel mir auf, daß dieselben schneller aufeinander folgten, als während des Tages und wie man bei dem ziemlich niedrigen Stande des Stromes eigentlich erwarten konnte.

So waren die ersten Stunden der Nacht in einer steten Spannung hingegangen, und fast begann ich zu bereuen, nicht zur sofortigen Flucht von der Insel gerathen zu haben, als Schanhatta ihre Hand leise auf meinen Arm legte und kaum vernehmbar lispelnd mich zum Lauschen aufforderte.

Was ihren Argwohn erregte, hatte ich indessen bereits vernommen. Es drang nämlich aus der Richtung, in welcher das feindliche Floß lag, ein Geräusch zu uns herüber, als wenn verschiedene Holztheile scharf, jedoch mit vieler Vorsicht auf einander gerieben würden.

Es unterlag keinem Zweifel, die Blackfeet bereiteten sich zum Angriff vor und schoben mit vereinigten Kräften ihr Floß behutsam nach der Stelle hin, von welcher aus die Strömung es nach der Insel hinüberführen mußte.

Nach dieser Entdeckung sendete ich Schanhatta noch einmal schnell bei Allen herum, um mich von ihrer Wachsamkeit zu überzeugen und sie zugleich davon in Kenntniß zu setzen, daß die entscheidende Stunde geschlagen habe.

Eh' fünf Minuten verflossen waren, befand Schanhatta sich wieder an meiner Seite, um sich mit mir in die Überwachung der feindlichen Zurüstung zu theilen.

Alles war still, selbst die Negerin hatte den Ernst des Augenblicks begriffen und mäßigte ihre sonst nicht sehr fügsame Zunge so, daß außer dem Knistern des Feuers kaum noch ein anderer Laut auf der Insel hörbar war.

Schanhatta drückte meinen Arm fester; ich verstand, was sie sagen wollte; sie hatte bemerkt, daß eine umfangreiche schwarze Masse sich von den Uferschatten trennte und von der Strömung mit großer Schnelligkeit auf die Südspitze, der Insel zugetragen wurde. Ich erkannte das indianisch? Floß leicht an der von ihm innegehaltenen Richtung, und das Herz zog sich mir krampfhaft zusammen, als ich bedachte, daß ein Kampf nunmehr unvermeidlich sei und ich[172] zum ersten Mal in die Nothwendigkeit versetzt werden würde, einem Mitmenschen das Leben, sein höchstes Gut, zu rauben. Doch nur einen Augenblick währte diese Anwandlung von Schwäche; im nächsten fühlte ich mich wieder so ruhig und entschlossen, als wäre ich mit dieser Art von blutigem Handwerk bereits seit vielen Jahren vertraut gewesen.

Das Floß hatte jetzt die Höhe der Insel erreicht und trieb in der Entfernung von kaum fünfzig Schritten von mir auf die südliche Verlängerung derselben zu, als Schanhatta mir plötzlich zuflüsterte: »Niemand zu sehen,« und dann vor mir vorübergleitend ihre Aufmerksamkeit wieder dem dunkeln Wasserspiegel zuwendete.

Auch ich bemerkte, daß die Masse des Floßes, obwohl umfangreich genug, doch nicht die Höhe zeigt?, welche von einer Anzahl menschlicher Gestalten unbedingt zu erwarten gewesen wäre, und die Gefahr von einer andern Seite vermuthend, lehnte ich mich, gleich Schanhatta, weiter nach vorn.

Anfänglich entdeckte ich nichts, nur eine Reihe von Treibholzstämmen löste sich in geringer Entfernung von der Insel auf, um wie gewöhnlich zu beiden Seiten derselben der Strömung nachzufolgen.

»Blackfeet,« flüsterte Schanhatta mir zu, auf die schwarzen Punkte deutend.

»Blackfeet,« antwortete ich ebenso heimlich, im dem ich mit der linken Hand das Doppelgewehr heranzog und es dem Mädchen darreichte.

»Bei Gott! hier kommen sie!« rief Halberes Jäger laut aus, und zugleich trachte sein Schuß über den Missouri hin und ein Indianer, der gerade vor ihm an's Ufer steigen wollte, sank tödtlich getroffen in die Fluthen zurück.

»Alle Hand bis auf zwei mit Fackeln hierher.'« schrie ich jetzt nach dem Feuer hinüber, an welchem das Floß links vorübergetrieben war, denn ich hatte bei dem Aufblitzen des Schusses einen flüchtigen Blick auf eine größere Anzahl indianischer Krieger erhascht, die alle durch Treibholzstücke, welche zugleich ihre Waffen trugen, theilweise unterstützt und gedeckt, im Begriff standen, sich um die Insel herum zu vertheilen, offenbar mit der wohl überlegten, hinterlistigen Absicht, nachdem sie festen Fuß gefaßt, sich von allen Seiten auf unsere Gesellschaft zu stürzen. Einzelne Arme streckten sich sogar schon nach den Zacken des Holzriffs aus, um an demselben emporzuklettern, genug, es waren ihrer so viele, daß ich mich scheute, einen Schuß abzugeben, aus Besorgniß, daß es mir bann um so weniger gelingen würde, sie bis zur Ankunft meiner Gefährten am weiteren Vordringen zu verhindern.

Auf den Schuß und den Fall des vordersten Kriegers schien das ganze Wasser lebendig geworden zu sein; und kaum hatte ich den übrigen Gefährten zugerufen, sich mir zuzugesellen, da erhob sich ringsum aus den Wellen ein so furchtbares Jauchzen und Heulen, daß mir jede Möglichkeit abgeschnitten wurde, noch weitere Anordnungen folgen zu lassen.

Augenscheinlich hatten die Blackfeet darauf gerechnet, das Riff und die nächste Umgebung desselben unbewacht zu finden, indem sie glaubten, durch den Scheinangriff des Flösses uns sämmtlich nach dem andern Ende hinübergelockt zu haben. Die Entdeckung,[173] daß sie sich in ihren Erwartungen täuschten, rief daher keine geringe Verwirrung unter ihnen hervor. Konnten sie doch nicht wissen, ob nicht auf jedem Punkt, auf welchem sie an's Ufer zu steigen gedachten, ihnen die Mündung eines Gewehrs entgegenstarre, und zur Umkehr oder zum Ausweichen war es zu spät, weil die heftige Strömung sie mit jeder Sekunde trotz ihres Sträubens naher herantrieb.

Alles dieses halte ich mit Gedankenschnelligkeit bemerkt, ebenso errieth ich, daß die Blackfeet durch ihr wildes Geheul nicht nur uns einzuschüchtern hofften, sondern sich auch gegenseitig anfeuerten, nicht mitten in dem begonnenen Wert inne zu halten.

Ich stand noch immer auf meinem Posten und spähte im Kreise herum, ob sich hier oder dort eine der wilden, racheschnaubenden Gestalten über das Riff erheben würde. Und sie erhoben sich; aber nicht eine oder zwei, sondern eine schwarze Masse kletterte nach den verworrenen Baumstämmen hinauf, und entsetzlich gellte der wilde Kriegsruf von drei Seiten, während Dutzende von Fäusten, bewaffnet mit Messer und Beil, über dem dichten Haufen emportauchten.

»Zurück Mann! zurück, so lange ich noch im Stande bin den Weg für Euch offen zu halten,« schallte mir jetzt des Jägers Warnungsruf in die Ohren, und gleichzeitig schmetterte er mit seinem Gewehrkolben einen Indianer zu Boden, der eben hinter mich springen wollte.

Zeit war allerdings nicht mehr zu verlieren, denn nur noch wenig Schritte trennten mich von den nächsten Angreifern, die, hatten sie sich anstatt auf dem gerüstartigen Riff, auf ebenem Boden befunden, mich längst würden überwältigt haben.

Meine Aufgabe, sie so lange wie möglich aufzuhalten und sie nicht vor dem Eintreffen meiner Gefährten das nahe Gebüsch gewinnen und sich daselbst zum Verderben Aller zerstreuen zu lassen, war indessen erreicht; denn schon hörte ich Halbert's und Dalefield's Stimmen, die herbeistürmend mich beschworen, auszuharren.

Wenn nun meine geladene Büchse anfangs mit dazu beitrug, die Feinde noch immer etwas fern von mir zu halten, indem Keiner beim Angriff als erstes Opfer fallen wollte, so wurden auch sie durch das Geräusch der zu meinem Beistände herbeieilenden Männer, darüber belehrt, daß alle Vortheile, welche sie bereits errungen hatten, bei deren Ankunft wieder verloren gehen müßten. Mit wachsendem Grimm und einer wahren Todesverachtung stürmten sie daher auf mich ein, aber sie fanden mich auf meiner Hut.

Schnell zurückweichend, hob ich meine Büchse empor und fast ebenso schnell stürzte auch einer der vordersten Krieger von meiner Kugel getroffen zwischen die hohl liegenden Baumstämme hin. Dem Schuß folgte augenblicklich das eigenthümliche Wuthgeheul, und mich nunmehr unbewaffnet wähnend, verdoppelten sie ihre Anstrengungen, meiner und Schanhatta's habhaft zu werden.

Daß der Angriff ebensowohl der Mandanenwaise, wie mir galt, erklärte mir ein lauter Ausruf Schanhatta's, die beim Aufblitzen des Pulvers Blackbird erkannt hatte und ohne Zweifel auch von ihm erkannt worden war.

Doch die blinde Wuth, mit welcher die auf dem[174] halbinselförmigen Riff gelandeten Krieger mich jetzt bedrängten, sollten sie theuer bezahlen. Ein Sprung brachte mich von dem Riff hinunter auf festen Boden, gleich darauf hatte ich das Doppelgewehr aus Schanhatta's Händen genommen, und ohne besonders zu zielen, feuerte ich beide Schüsse in den dichtesten Haufen hinein.

Wiederum stutzten die Angreifer, und gräßlich gesellte sich der Schmerzensschrei der Verwundeten zu dem Wuthgeheul der verschont Gebliebenen. Offenbar befremdete es sie, daß ich dreimal, ohne zu laden, geschossen hatte, woraus für diejenigen, welche in ihrem Leben noch kein Doppelgewehr gesehen hatten, der Glaube entsprang, daß ich im Stande sei, immerwährend und ohne abzusetzen auf sie zu feuern. Als sie sich aber wieder einigermaßen von ihrer Bestürzung erholt hatten und auf's Neue auf mich eindrangen, da war es zu spät für sie, sich noch in das Dickicht zu werfen, denn zwischen diesem und dem Riff erschienen vollen Lauf's, in der einen Hand die Büchse, in der andern flackernde Feuerbrände schwingend, Dalefield und die Seinigen.

Doch nur ein Schuß wurde noch auf die räuberischen Wilden abgefeuert, die beim Anblick einer größeren Anzahl wohlbewaffneter Männer blitzschnell über das Holzwerk hin auseinander stoben, und gleich darauf ertönte das Rauschen und Plätschern, mit welchem der Missouri die Fliehenden aufnahm.

Allein so eilig ihre Flucht auch war, hatten sie doch nicht verabsäumt, ihre Todten und Verwundeten mit in's Wasser hineinzuschleppen und sie dort ihrem Schicksal zu überlassen. Sie wollten deren Kopfhäute nicht preisgeben und leisteten sie mir dadurch insofern einen wesentlichen Dienst, als mir der Anblick derjenigen erspart blieb, gegen welche meine Hand den Todesstreich geführt hatte.

Sobald der letzte Blackfoot verschwunden war, forderte ich alle anwesenden Gefährten auf, sogleich nach beiden Seiten hin die Insel zu umkreisen und zu durchforschen, indem einestheils während des Kampfes eine Anzahl der Angreifer weiter unterhalb gelandet sein konnte, anderntheils aber auch zu befürchten war, daß die Zurückgeschlagenen, durch die erlittenen empfindlichen Verluste noch hartnäckiger gemacht, auf einer andern, für sie jetzt zugänglicheren Stelle einen neuen Versuch der Ueberrumpelung wagen würden.

Ich selbst blieb auf meinem Posten zurück, und nachdem ich Feuer an das Riff gelegt, daß die auflodernden Flammen den Missouri weithin erhellten, setzte ich mich auf einen Holzblock nieder, um die schrecklichen Scenen der letzten zehn Minuten noch einmal vor meinem Geiste vorüberziehen zu lassen.

Die Mandanenwaise hatte sich mir zu Füßen in's Gras gekauert; sie fragte mich schüchtern, ob ich unverletzt geblieben sei, und dann neigte sie, wie um zu schlafen, ihr Haupt auf ihre emporgezogenen Kniee. In dieser eigenthümlichen Stellung verharrte sie regungslos. Sie schlief indessen ebenso wenig, wie ich; sie ahnte, daß ich nicht mit den angenehmsten Gefühlen über die jüngsten Erlebnisse nachdachte, und versuchte, die stattgefundenen blutigen Vorgänge von demselben Standpunkte aus zu betrachten, wie sie sich vorstellte, daß ich es thue.

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 3, Berlin 1865, S. 124-125,161-175.
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Die Mandanenwaise. Erzählung aus den Rheinlanden und dem Stromgebiet des Missouri von Balduin Möllhausen

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