Achtes Capitel.

Das Lebewohl.

[175] Nachdem nicht nur die Ufer, sondern auch das Innere der kleinen Insel auf das Sorgfältigste abgesucht und durchforscht worden waren, gesellten sich die Männer, einer nach dem andern zu mir.

Da die Indianer ohne Zweifel von der Strömung sehr weit fortgerissen worden waren, eh' es ihnen gelang, auf dem einen oder andern Ufer festen Fuß zu fassen, so mußten sie zu erschöpft und außerdem zu weit von einander zerstreut sein, um noch in dieser Nacht an einen erneuerten Angriff denken zu können. Ich rieth daher dringend, gerade die nächsten Stunden zur Reise stromabwärts zu benutzen und nicht so lange zu warten, bis unsere Feinde neue Kräfte gesammelt haben würden, um uns noch eine Strecke zu begleiten und vom Ufer aus durch ihre Büchsenkugeln zu gefährden.

Mit größter Bereitwilligkeit ging man auf meinen Vorschlag ein, und ohne dabei unsere Wachsamkeit zu verringern, begaben wir uns an's Werk, aus den uns zu Gebot stehenden Mitteln ein Fahrzeug zusammenzustellen, welches fest genug war, eine Reise sogar bis nach St. Joseph hinunter auszuhalten.

Es wurde nämlich zuerst der Wagenkasten in's Wasser geschoben, und demnächst rings um denselben herum von geeigneten Stämmen und Stangen ein leichtes Floß gebaut und so mit dem Kasten verbunden, daß dieser dadurch nicht nur einen stetigeren Gang erhielt, sondern auch nach keiner Seite hin umschlagen konnte. Das Kanoe wurde darauf ebenfalls durch an beiden Seiten ausgelegte Stangen sicherer für ungeübte Hände gemacht und dann vorn an den Wagenkasten befestigt.

Dasselbe sollte gewissermaßen die Stelle eines Schleppschiffes vertreten, weil von ihm aus allein die Ruder mit Erfolg in Anwendung gebracht werden konnten. Nach geeigneten Holzstücken brauchten wir nicht lange zu suchen, ein mehr als ausreichender Vorrath war im Laufe des Tages zur Hand gelegt worden; die Vorbereitungen erforderten daher kaum mehr als eine halbe Stunde Zeit, und Mitternacht war noch nicht lange vorüber, als alle Hände damit begannen, die geretteten Gegenstände so auf das floßartige Fahrzeug zu vertheilen, daß sie das Gleichgewicht nicht störten.

Meine eigenen Habseligkeiten hatte ich zur Seite gelegt; ich gab vor, sie erst im letzten Augenblick an Bord bringen zu wollen, und wies daher Schanhatta an, sich bei denselben niederzusetzen.

Wahrend nun die Leute, selbst der alte Dalefield und Halbert, damit beschäftigt waren, das seltsame Fahrzeug durch zweckmäßiges Aufstapeln der Sachen und zusammengeschnürten Bündel so bequem wie möglich herzurichten, trat ich noch einmal zu Kate heran, welcher mich zu nähern ich den Tag über wenn auch nicht vermieden, doch wenigstens nicht gesucht hatte.

Sie stand etwas abseits, so daß sie die arbeitenden Leute nicht in ihren Bewegungen hinderte, doch traf auch sie ein matter Schein des nahen Feuers, welches die Negerin noch immer gewissenhaft unterhielt und schürte.[176]

Als Kate meine Absicht, zu ihr sprechen zu wollen, erkannte, bot sie mir mit ernster, dafür aber um so wohlthuenderer Freundlichkeit die Hand.

»Ich glaubte bereits, Ihr zürntet mir,« sagte sie theilnahmvoll, und ich fühlte, daß ihre Hand leise in der meinigen zitterte; »allein ich sehe es ein, Ihr waret zu beschäftigt, um mir nach alter Weise Eure Aufmerksamkeit zuwenden zu können. Ihr hättet aber immerhin unsere Aeußerungen einer tiefgefühlten Dankbarkeit nicht so harsch zurückzuweisen brauchen; glaubt mir, es schmerzt« –

»Lassen wir das, Miß Kate,« unterbrach ich sie, indem ich sie einige Schritte weiter in den Schatten führte, wo unsere Worte keine andern Ohren erreich ten, »Danksagungen berühren oft schmerzlich, namentlich aber, wenn man sich bewußt ist, nur nothdürftig die gebotenen Pflichten der Menschlichkeit erfüllt zu haben. Lassen wir also jede Erinnerung an etwaige geleisteten Dienste ruhen. Die Zeit drängt, in wenigen Minuten müssen wir von einander scheiden, ich wollte daher nur Abschied von Euch nehmen« –

»Scheiden? Abschied nehmen?« fragte Kate erschreckt, indem sie abermals meine Hand ergriff, wie um mich an der Ausführung meines Entschlusses zu hindern, »nein, nein, Ihr könnt nicht so grausam sein, hätte es doch fast den Anschein, als beabsichtigtet Ihr, uns entgelten zu lassen, daß ich – daß ich« –

»Nichts liegt mir ferner, als ein derartiger unedler Gedanke, meine liebe Freundin und Schwester,« fuhr ich fort, als sie in ihrer Rede stockte, »nein, gewiß nicht. Aber wir müssen scheiden, um meiner selbst willen, um Euretwillen; Ihr, um in Eure glückliche Heimath zurückzukehren, ich, um hier zu bleiben, weil es für mich keine andere Heimath mehr giebt, als diese Wildniß.«

»O, sprecht nicht in dieser harten Weise,« versetzte Kate, und ihre Stimme bebte, als ob sie, das sonst stets lachende heitere Kind, gegen eine heftige schmerzliche Erregung angekämpft hatte, »nein, wir Alle werden zu verhindern suchen, daß Ihr auf dieser Insel zurückbleibt, wie Ihr, nach Euren Worten zu schließen, beabsichtigt. Es hieße, Euch einem sichern Tode preisgeben; o, denkt an mich! würde ich eine ruhige Stunde haben, müßte ich mir sagen, daß ich die Schuld an Eurem frühzeitigen schrecklichen Ende trüge? Es wäre entsetzlich, es hieße mein ganzes Leben verbittern; gebt daher Eure Pläne auf und begleitet uns dahin, wohin Ihr eigentlich vermöge Eurer geistigen Bildung gehört, und wo Ihr von treuen Freunden mit offenen Annen empfangen werdet, von Freunden, die es als ein Glück betrachten, Euch zu jedem Euch angemessen erscheinenden Unternehmen ihren Beistand anbieten zu dürfen.«

»Und das muthet Ihr mir zu? Ihr, Miß Kate, die Ihr nicht nur meine ganze Lebensgeschichte kennt, sondern der auch meine Gemüthsstimmung kein Geheimniß sein kann? Ich soll mir Wohlthaten erweisen lassen, und dazu noch von Jemand, bei dem sich zu allen freundlichen Gefühlen das Mitleid in den Vordergrund drängen würde? Nein, Miß Kate, meine Heimath ist und bleibt die Wildniß; mein Entschluß steht unerschütterlich fest, selbst Eure lieben Worte, die mich so wohlthuend, so tröstend berühren,[177] vermögen nicht, meinen Entschluß wankend zu machen.«

Kate hatte das Haupt auf die Brust geneigt; ich glaube sie weinte, doch hatte sie es, meiner fast strengen Versicherung gegenüber; aufgegeben, mich noch fernerhin von meinem Vorsatz abbringen zu wollen.

»Ihr habt es errathen, meine theure, unvergeßliche Freundin,« hob ich nach einer kurzen Pause wieder an, »ich bleibe auf dieser Insel, um von hier aus meinen alten unsteten Beruf wieder aufzunehmen. Gefahr für mein Leben ist nicht vorhanden; drohte mir unmittelbare Gefahr, so würde ich es für unverantwortlich halten, derselben Trotz zu bieten. Die Abfahrt des Floßes mit einer vollen Ladung kann den wachsamen Späheraugen der Blackfeet nicht entgehen. Sie werden eher Alles vermuthen, als daß noch ein einzelner Mann es wagen würde, auch nur eine Stunde langer, wie unumgänglich nothwendig, im Bereich ihrer Rache zu verweilen. Und wüßten sie es, so würden sie kaum, auf die Gefahr hin, noch einige aus ihrer Mitte zu verlieren, nach dieser Insel übersetzen, wo nicht einmal Beute sie für ihre Mühe und ihren Verlust entschädigte. Und dann, meine liebe Freundin, stehen dem einzelnen Jäger viel bedeutendere Hülfsmittel zu Gebote, als einer größeren und deshalb schwerfälliger reisenden Gesellschaft. Beruhigt Euch also über mein Loos und seid versichert, daß ich mich auf dieser Insel sicherer befinde, als auf einem der beiden Stromesufer. Und ferner, Miß Kate,« fügte ich mit heiterem Ausdruck hinzu, »muß ich ja versuchen, eins oder zwei meiner Pferde zurückzuerbeuten.«

»Thut es nicht, o, thut es nicht,« flehte Kate, ihr gutes, durch die Dunkelheit aber verschleiertes Antlitz wieder zu mir emporhebend, »laßt die Pferde, Ihr habt sie durch unsere Schuld verloren, mein Vater ist reich – «

»Nichts weitet davon, liebe Miß Kate,« unter brach ich das eifernde Mädchen, »die Verluste, die mich betroffen haben, vermag ich auch zu ertragen, theilt dies den Eurigen mit, damit sie nicht durch wohlgemeinte, aber unzeitige Anerbietungen mir den Abschied von Euch noch mehr verbittern. Die Büchse Eures Vaters werde ich als theures Andenken behalten, es ist ein gutes Gewehr und wird mir daß meine mehr als ersetzen. Ich behalte es, weil ich ohne Büchse in der Wildniß nicht bestehen kann. Was nun meine übrigen Verluste betrifft, so sind dieselben nicht unersetzlich.«

»Aber Schanhatta? was soll aus Schanhatta werden?« fragte Kate mit einer Besorgniß, welche ein schönes Zeugniß für ihre edle Denkungsweise ablegte.

»Gerade Schanhatta's Zukunft ist es, derentwegen ich mit Euch zu sprechen wünschte,« entgegnete ich, »eigentlich wollte ich sie noch einige Zeit bei mir behalten, um sie später selbst auf der Mission einzuführen, allein Umstände ändern die Sache; es ist auch vielleicht besser so. Unter den jetzigen Verhältnissen kann ich als rechtschaffener Mann nicht von ihr fordern, noch länger bei mir zu bleiben, denn obwohl an Beschwerden und Entbehrungen gewöhnt, ist sie doch zu schwach und zart, um mich, so lange[178] ich keine Pferde besitze, auf meinen mühevollen Wanderungen zu begleiten, und eine günstigere Gelegenheit, die arme Waise in eine angemessene Schule zu bringen, dürfte sich sobald nicht wieder bieten.«

»Ueberlaßt uns das Mädchen,« versetzte Kate mit Wärme, »gestattet uns, fernerhin für Schanhatta zu sorgen, und wenn es uns gelingt, ihr ein glückliches Loos zu bereiten, ihre Zukunft ganz in Eurem Sinn und nach Euren Plänen zu gestalten, so soll das nur ein schwacher Beweis der Dankbarkeit sein, welche wir Alle dem treuen und muthigen Kinde schulden.«

»Ich danke Euch in meinem und Schanhatta's Namen für Eure Güte und Theilnahme,« erwiderte ich, durch Kate's Vorschlag sanft berührt, »doch verzeiht mir, wenn ich nicht auf denselben eingehe. Ich habe mich an die Waise, welche mir die Vorsehung gleichsam selbst zuführte, zu sehr gewöhnt, habe sie im Laufe der Zeit, zu lieb gewonnen, um mich leicht mit dem Gedanken vertraut zu machen, mich gänzlich von ihr zu trennen, das letzte Band, welches mich an sie fesselt, zu durchschneiden. Ich muß Jemand haben, für den ich lebe, sorge und schaffe, oder mein Dasein erscheint mir zwecklos. Später vielleicht, wenn sie auf der Mission eine gewisse Vorbildung erhalten hat, mögt Ihr sie zu Euch nehmen und ihr das angedeihen lassen, was sie dazu befähigt, der Mittelpunkt und die Zierde einer glücklichen Familie zu werden. Sollte mich aber auf meinen einsamen Wanderungen ein frühzeitiges Ende ereilen – wir Menschen sind ja alle sterblich – dann Miß Kate, ja dann betrachtet die Mandanenwaise als ein heiliges Vermächtniß von Jemand, der bis zu seinem letzten Athemzuge Eurer in Liebe gedachte, und der Euch gerade dadurch einen Beweis seiner Anhänglichkeit, seines Vertrauens zu geben meinte, daß er die Sorge für ein liebes, von der Natur in so hohem Grade bevorzugtes und deshalb für ein besseres Loos bestimmtes Wesen an Euch abtrat.«

»Ich verspreche es, ich verspreche es bei Meiner innigen Freundschaft für Schanhatta, bei meiner aufrichtigen schwesterlichen Liebe zu Euch,« flüsterte Kate tonlos.

»Wohlan denn, Miß Kate, man wird gleich zum Aufbruch bereit sein, und nur noch wenige Worte bleiben mir hinzuzufügen. Euer Versprechen entfernt eine große Last von meinem Herzen und ruhiger sehe ich Schanhatta von mir scheiden. Nehmt sie also mit Euch, bringt sie auf die Mission, deren Lage ich Euch bereits beschrieb; Ihr könnt nicht irren, denn es giebt in jener Gegend nur eine Mission. Grüßt den Missionär und seine Gattin auf's Herzlichste von mir, theilt ihnen über Schanhatta Alles mit, was Ihr wißt. Sie wirb daselbst eine überaus liebevolle Aufnahme finden, und wenn auch Ihr Euch von ihr trennt, dann wiederholt ihr mein Versprechen, daß ich im Spätherbst auf der Mission einkehren würde, um mich von ihrem Wohlergehen und ihren Fortschritten zu überzeugen. Einige hundert Dollars, mein geringes Ersparniß, befinden sich in den Händen des Missionärs; freilich nur eine kleine Summe, doch wird sie vorläufig ausreichen, die nöthigen Auslagen für meinen Schützling zu bestreiten.«

Ein Schuß krachte vom Ufer herüber, und wie[179] um uns zur Eile zu machen, pfiff die Kugel hoch über uns hin. Die Blackfeet hatten unsere Verletzrungen entdeckt, und da der breite Flußarm uns von einander trennte, so versuchten sie, uns wenigstens durch ihre Büchsen nach besten Kräften zu belästigen.

Kate erschrak, und zugleich vernahm sie ihres Vaters und Halbert's Stimmen, die nach ihr riefen und sie aufforderten, sich auf den eigens für sie hergerichteten Platz zu begeben.

»Ich komme gleich,« antwortete Kate mit erzwungener Ruhe, »laßt nur Alle vorausgehen, ich will die Letzte sein, welche die Insel verläßt!«

Daran gewöhnt, daß Kate stets nach ihrem eigenen Willen handelte, befahl Dalefield seinen Leuten, welchen sich nunmehr auch die Schildwachen zugesellt hatten, die ihnen angewiesenen Posten einzunehmen, und während dieser Zeit fand ich Gelegenheit meine letzten Worte an Kate zu richten.

Halbert war so nahe bei uns, daß er uns fast verstehen konnte. Er hatte sich indessen abgewendet und wartete ohne ein Zeichen von Ungeduld darauf, daß Kate die Unterhaltung abbrechen würde. Ich fühlte, er wußte um mein Geheimniß und wollte mir den Genuß des Gesprächs mit seiner Geliebten nicht verkürzen.

»Nun noch eine letzte Bitte, Miß Kate,« begann ich, unbekümmert darum, daß eine zweite Kugel über uns hinsauste; »seid mir behülflich, den Abschied zu erleichtern; ruft Schanhatta zu Euch an Bord, thut nicht, als ob Ihr um meinen Entschluß wüßtet, auch zu Halbert oder Eurem Vater sprecht nicht davon. Ich weide im letzten Augenblick das Fahrzeug vom Ufer aus abstoßen, anstatt aber hinaufzuspringen, mich schnell in das Gebüsch zurückziehen. Und nun lebt wohl, Gott segne Euch, meine liebe, einzige, unvergeßliche Schwester,« fuhr ich leiser fort, vor verhaltenem Weh kaum noch fähig meinen Gedanken Worte zu verleihen; »laßt mich Eure liebe Hand noch einmal verstohlen drücken, denn Schanhatta's scharfe Augen sind auf mich gerichtet; lebt wohl, gedenkt meiner freundlich, verzeiht mir und nehmt meinen innigsten Dank für die trostreichen Worte, welche ich von Euren Lippen vernommen habe; lebt wohl.«

Abermals krachte ein Schuß von dem Ufer zu uns herüber.

»Alle an Bord!« rief Dalefield dringend, und gleichzeitig wendete Halbert sich nach uns um. Ob er uns sah, weiß ich nicht, aber er blieb auf derselben Stelle stehen.

»Kate, Mr. Wandel, Schanhatta, ich glaube, wir haben keine Zeit zu verlieren,« sagte er mit wohlwollendem Ernst.

»Segne Dich Gott, mein lieber, theurer Bruder,« flüsterte Kate unter Schluchzen, »mag Gott Dir vergelten, was Du an uns gethan, und vergieb mir den Kummer, welchen ich, ohne es zu wollen. Dir verursachte; lebe wohl – auf Wiedersehen.«

Bei diesen Worten umschlang sie meinen Hals und zugleich berührten ihre Lippen flüchtig die meinigen.

O, dieser Augenblick, er war so unendlich süß, und auch doch wieder so bitter, daß ich am liebsten gestorben wäre, um die ungeschwächte Erinnerung an denselben mit mir in's Jenseit hinüber zu nehmen. Mir war, als ob ein Hauch aus den himmlischen[180] Höhen, aus den Wohnungen der Seligen mich berührt, als ob meine entschlafene Johanna mir die Hand auf's Herz gelegt habe, um es auf's Neue zu erwärmen, neue Liebe zum Leben und allen Menschen in demselben wach zu rufen.

Als ich mich von der Erschütterung erholt hatte, führte Halbert seine Geliebte vorsichtig nach dem Floß hinauf und demnächst zu ihrem Sitz.

Außer Schanhatta und mir befanden sich nunmehr Alle an Nord und schon begannen die Leute die Leine zu lösen, welche das Fahrzeug noch am Ufer hielt, und sich mit ihren Rudern in dem Kanoe zum Abstoßen bereit aufzustellen.

Noch einmal trat ich dicht an die das Ufer berührenden Floßhölzer heran. Die Mandanenwaise stand an meiner Seite; sie trug ein großes Packet unter dem Arm, und leicht entdeckte ich, daß es nicht nur ihre Sachen, sondern auch ein Theil der meinigen waren, welche sie in der Eile mit zusammengerafft hatte. Meine Blicke streiften ihr Antlitz, welches die nahen Flammen über das niedrige Buschwerk hinweg grell beleuchteten; ihre Augen hielt sie mit dem Ausdruck der Seelenangst und bittern Vorwurfs auf mich geheftet, so daß ich, um meine Gefühle nicht zu verrathen, mich abwenden mußte. Ich wollte sie nach dem Floß hinaufschicken, aber die Worte erstarben mir auf der Zunge, ich konnte nicht.

»Schanhatta, komm meine liebe Schwester,« rief Kate jetzt aus, »komm, es ist noch Platz an meiner Seite!«

»Will mein Gebieter mir nicht voranschreiten?« fragte Schanhatta leise und ausdrucksvoll, als ob sie Kate's Worte nicht vernommen hätte.

Zwei Kugeln, begleitet von durchdringendem Wuthgeheul, schlugen eine kurze Strecke von uns auf's Wasser und Pfiffen dann unheimlich über uns fort.

»Vorwärts, Kinder, vorwärts!« bat Dalefield in seiner Besorgniß um die Seinigen, »vorwärts, oder wir haben zu gewärtigen, daß noch einige von uns erschossen werden, eh' wir die Insel verlassen haben.«

»Schanhatta, geh' hinauf, ich will nur noch, das Fahrzeug abstoßen,« befahl ich mit ernster Stimme, jedoch mit blutendem Heizen.

»Ich will meinem Gebieter helfen,« lautete die bestimmte und von einer wilden Verzweiflung eingegebene Antwort, »ich fürchte mich, allein zu gehen; ich fürchte, mein Gebieter könnte das Holz verfehlen und wäre dann gezwungen zurückzubleiben.«

Abermals ließ sich der scharfe Knall einer Büchse vom Ufer her vernehmen und fast in demselben Augenblick empfand ich ein kurzes Zucken in meinem rechten Knie.

Ich war verwundet, die Kugel hatte mich gestreift, und zwar scharf und edle Theile verletzend, denn ich fühlte, daß eine vorübergehende Schwäche meinen Körper durchrieselte; doch ich verbiß den leichten Schmerz, denn lieber hätte ich meine Brust allen feindlichen Geschossen zur Zielscheibe dargeboten, eh' ich mich dazu entschlossen hätte, als der Gegenstand des allgemeinen Mitleids, in Kate's und Halbert's Gesellschaft zu reisen. Mein ganzes Innere sträubte sich gegen einen solchen Gedanken, und Alles, was ich in diesem Augenblick wünschte und hoffte,[181] war, daß das Floß erst flott und außer Sicht getrieben sein möge.

»Schanhatta, mein Kind, thue was ich Dir geboten habe, gehe hinauf,« sagte ich jetzt noch ernster, der jungen Indianerin Hand ergreifend und heftig drückend. »Gehe hinauf, oder Deine Schuld ist es, wenn Jemand verwundet wird!«

Rathlos schaute die Waise noch einmal nach dem Boot hinüber, von welchem aus Kate sie mit süßen Schmeichelworten bat, meinen Befehlen Folge zu leisten, und dann ihr Bündel von sich werfend stürzte sie mir zu Füßen. Ihre Augen blieben thränenleer, auf ihrem Antlitz dagegen war ein tiefer Schmerz, eine so wilde Verzweiflung ausgeprägt, wie ich noch nie in meinem Leben an irgend einem Menschen wahrgenommen hatte.

»Tödte mich,« sagte sie leise, fast flüsternd und mit einem unbeschreiblich flehenden Ausdruck, »tödte mich, aber schicke mich nicht von Dir. Schicke mich fort und ich sterbe. Laß mich lieber zu Deinen Füßen sterben. Willst Du absichtlich in den Tod gehen, so sage es, und ich begleite Dich, nur verstoße mich nicht. Du hast ein Messer, nimm es und tödte mich, anstatt zu sagen, ich soll nicht bei Dir leben, Dir nicht dienen!«

Nur wenige Sekunden dauerte diese Scene, allein diese Sekunden entschieden über viel. Tief ergriffen blickte ich zu Schanhatta nieder; aus ihren Augen sprachen nicht kindliche Dankbarkeit und Anhänglichkeit, sondern die hingebende, opferwillige Liebe des Weibes, die Liebe, die keine Schranken, keine Grenzen kennt und weit über dieses Leben hinausreicht, weit, weit hinaus, bis in die Ewigkeit. –

»Gott im Himmel, solltest Du mir dennoch ein irdisches Glück beschieden haben?« hallte es in meinem überströmenden Herzen.

»Wenn Euch an meinem und Schanhatta's Leben gelegen ist, so richtet keine Frage mehr an uns; jeder weitere Verkehr hieße: uns an unsere scharfsinnigen Feinde verrathen,« rief ich darauf kurz entschlossen den auf dem Fahrzeug Versammelten zu, die starr vor Erstaunen zu mir herüberschauten, »Miß Kate weiß Alles, sie wird Euch jede Aufklärung ertheilen können. Gott geleite Euch glücklich an Euer Ziel.«

Neue Schüsse trachten auf dem Ufer, neue Kugeln pfiffen in unserer Nähe vorüber und wilder und grimmiger erschallte zwischendurch das indianische Geheul, indem die zerstreuten Krieger wieder bei ihren Gefährten eintrafen.

Schnell bückte ich mich nieder, mit aller Kraft stemmte ich mich gegen das Floß und in der nächsten Minute waren Boot, Floß und Leute weit abwärts in der Dunkelheit verschwunden.

Die Schüsse wiederholten sich noch eine Zeitlang auf dem Ufer in gleicher Höhe mit den von der Strömung eiligst davongetragenen Flüchtlingen und dann wurde es still. Ich aber schlich langsam und schwer gestützt auf Schanhatta und meine Büchse dem verborgensten Winkel der Insel zu.

Niedriger brannten die Feuer auf der Sudspitze und zwischen den Treibholzstämmen. Um mich her war es dunkel; Schanhatta saß neben mir, mit frischem Missouriwasser meine Wunde – – –


* * *
[182]

Hier schloß das Manuscript.

Als ich es zum ersten Mal durchgelesen hatte, dachte ich daran, einen neuen Raubversuch auf des weisen Doctors Wakitamone Medicinränzel zu unternehmen, um wenigstens das eine Blatt noch, mit welchem ich das nachgemachte Amulet umwickelt hatte, zu erbeuten, doch was konnte auf dem Quartblatt enthalten sein? Der Schluß der Geschichte gewiß nicht, denn so weit sich deren Verlauf übersehen ließ, hätte noch mancher Bogen dazu gehört, um des deutschen Studenten Erlebnisse auch nur bis dahin zu schildern, wo er verwundet in seiner Winterhütte lag und sich mit der Ausarbeitung seines Manuscriptes beschäftigte.

»Wodurch war er in seiner Arbeit unterbrochen worden? Auf welche Weise war das Manuscript, auf welches er einst so hohen Werth legte, in Wakitamone's Hände gefallen, und zwar zusammen mit dem Skalp, welcher sich durch die weiße Locke als der des grausamen und hinterlistigen Blackbird gar nicht verkennen ließ? Wo hatte der Schreiber selbst sein Ende gefunden? Was war aus Schanhatta, der lieblichen Blume der Wildniß geworden? Wo war Kate, die holde Kate mit dem lachenden Antlitz und dem warmen Herzen geblieben?«

Das waren die Fragen, die sich mir jedesmal entgegenstellten, so oft ich in dem vergilbten Manuscript blätterte, und bald diese bald jene Stelle, welche mir vorzugsweise beachtenswerth erschien, noch einmal durchlas.

Und leere Neugierde trieb mich nicht zu solchen Fragen, nein, gewiß nicht; andere, tiefer liegende Gründe waren es welche meine so ernste Theilnahme für den muthmaßlich Verschollenen und sein Geschick wachgerufen hatten.

In dem ersten Theil seines Manuscriptes war ja das Land so genau beschrieben, in welchem ich selbst meine glückliche Jugendzeit verlebte, standen ja so manche Namen, die mir seit meinen Kinderjahren unvergeßlich geblieben, war ja sogar das Haus erwähnt, in welchem ich nur des Lebens allerheiterste Seiten kennen lernte. Was war also natürlicher, als daß ich das lebhafteste Verlangen trug, mehr über den zu erfahren, der gleich mir den lieben Vater Rhein den ersten Gespielen seiner Jugend nannte, und gleich mir, wenn auch aus anderen Ursachen, nach dem fernen wilden Westen verschlagen wurde.

»Aber ist er denn auch verschollen?« fragte ich mich zuweilen, wenn meine Blicke auf den regelmäßigen Schriftzügen hafteten und ich mir die Zeit zu vergegenwärtigen suchte, in welcher eine lebenswarme Hand auf dem vor mir liegenden Papier ruhte, und die Feder mit leisem Knistern die Gedanken niederschrieb, welche aus einem, ernst und sinnend über den als Tisch dienenden Felsblock geneigten Haupte entsprangen, während die großen melancholischen Augen der Mandanenwaise bald die zwischen ihren zierlichen, Fingern befindliche Arbeit, bald den Verfasser der Schrift bewachten und aus seinem Anblick ein ganz anderes Leben, einen ganz anderen Begriff von der Bestimmung des Weibes gleichsam einsogen.

»Ist er denn auch verschollen?« fragte ich mich, und fast unwillkürlich begann ich zu rechnen, und die[183] Jahre, so weit ich klar zu denken vermochte, vor meinem Geiste vorüberrollen zu lassen:

Im Frühling des Jahres 1833 betheiligte er sich an der Frankfurter Bewegung. Im Herbst desselben Jahres entfloh er nach Amerika, und im Jahre 1839, als er sein Zusammentreffen mit der Familie Dalefield beschrieb, konnte er das dreißigste Jahr kaum erreicht haben. Jetzt schreiben wir 1852; er wäre also höchstens erst dreiundvierzig Jahre alt. Aber das Manuscript, das Manuscript, es ist nicht leicht denkbar, daß er es gutwillig aufgegeben haben würde. Vielleicht vermag Wakitamone mir darüber Aufschluß zu verschaffen.

Also hin zu meinem alten Gastfreunde, und auf die Gefahr, von der Tochter tüchtig ausgezankt, und von dem Herrn Vater aus dem Wigwam hinauskomplimentirt zu werden, einen Angriff auf den so merkwürdig gezeichneten Skalp gewagt.

Warukscha empfing mich mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit, indem sie mir zum Beweise ihrer Hochachtung sogleich einen gesottenen Biberschwanz mit gestampften Maiskörnern vorsetzte. Doktor Wakitamone streckte mir seine biedere Rechte entgegen und fragte sehr herablassend, ob ich den Sioux's, und wenn nicht den Sioux's, so doch irgend einem Andern Pferde gestohlen habe, um ihm seine Töchter ablaufen und damit in die Rechte seines sehr lieben Schwiegersohnes eintreten zu können. Ich dagegen gab nach besten Kräften zu verstehen, daß ich einen wunderschönen Traum gehabt habe, und in Folge dessen zum Pferdestehlen seines Amuletts, des gekennzeichneten Skalpes bedürfe.

Wakitamone holte sein Medicinränzel herbei und löste Blackbird's Skalp von demselben ab, und das Herz lachte mir förmlich vor Freude darüber, daß diese Naturmerkwürdigkeit nunmehr in meinen Besitz übergehen sollte.

Doch ich täuschte mich. Mein edler Gastfreund wollte mit seiner Trophäe nur etwas liebäugeln und mir deren besondere Vorzüge anschaulich machen; denn nachdem er dieselbe mit wahrhaft rührender Liebe an seine wunderbar schön roth gefärbten Wangen gelegt – eine zärtlichere Art zu liebkosen kennen die Indianer im Allgemeinen noch nicht – hielt er sie in Armeslänge von sich ab, um das Licht mit den wohlgeordneten zweifarbigen Haaren spielen zu lassen und mir das ebenfalls sehr geschmackvoll angestrichene Innere der weich gegerbten Kopfhaut zu zeigen.

Seine Augen leuchteten dabei vor Stolz und Freude, und eine Anrede hielt er an mich, die ich zwar nicht verstand, deren Sinn aber ohne Zweifel war, daß er sich von dem theuren Andenken nicht trennen würde, und wenn alle seine Töchter deshalb unverheirathet bleiben sollten.

Gegen einen so entschieden ausgesprochenen Willen ließ sich allerdings nicht ankämpfen. Die Hoffnung auf den Besitz von Blackbird's Skalp gab ich daher sogleich auf, doch schied ich nicht eher von Wakitamone, um zu den Omahas zurückzukehren, bis ich über die merkwürdige Siegestrophäe alle diejenige Auskunft erhalten hatte, welche mein alter Gastfreund mir zu ertheilen im Stande war.

Aus diesen Nachrichten ging hervor, daß Wakitamone den Blackfoot-Häuptling, nachdem er von[184] demselben einen klaffenden Schnitt über die Brust empfangen, eigenhändig mit feiner Lanze aufgespießt habe, und zwar nicht nur einmal und nachdrücklich, sondern so oft, daß der arme Blackbird, nachdem er zum Ueberfluß auch noch seinen stattlichen Skalp verloren, mehr einem Sieb, oder – um mich in Wakitamone's Sinn auszudrücken – einem abgetragenen Mokassin ähnlich gewesen sein mußte, als einem Blackfoot-Krieger.

Nach dem Manuscript fragte ich nicht weiter, die Sache schien mir aus leicht erklärlichen Gründen zu gefährlich; doch aus der Art, in welcher der Ottoe auf seinen Zauberranzen schlug, errieth ich, daß er in demselben noch eine ganz besonders wirksame Medicin verborgen glaubte, – womit nur das entwendete Manuscript gemeint sein konnte, – welche er zugleich mit dem schönen Skalp erbeutet habe.

Also Blackbird hatte das Manuscript besessen; das war das Ganze, was ich aus Wakitamone's Mittheilungen schöpfte, und diente dies am wenigsten dazu, einiges Licht über des deutschen Studenten Endschicksal zu verbreiten.

Meine Nachforschungen auf dem Pelztauscherposten bei den Omahas blieben ebenfalls erfolglos. Das dort stationirte Personal war in den letzten Jahren wenigstens viermal verändert worden, wie auch der Vorsteher der nahen Mission bereits vor sechs oder sieben Jahren, seinen Vorgänger, der mir allein über Wandel's weiteres Ergehen hätte Aufschluß ertheilen können, im Amte abgelöst hatte. Der abgelöste Missionair aber war nach Südamerika geschickt worden, also zu weit fort, als daß ich, der ich wie der Vogel in der Luft über Länder und Meere dahinstreifte, mit ihm in brieflichen Verkehr hätte treten können.

Eine letzte Hoffnung blieb mir noch, nämlich, nach meiner Rückkehr in die östlichen Staaten Erkundigungen über Dalefield und Halbert und daher auch über Kate einzuziehen und zu versuchen, ob diese nicht in der Lage seien, mir den Schlußtheil zu dem aufgefundenen Manuscript zu liefern. Doch auch das lag vielleicht noch in weiter Ferne, und in welcher Richtung ich Dalefield und die Seinigen aufzusuchen haben würde, mochte Gott wissen. Dies hinderte mich indessen nicht, meinen Schatz auf das Sorgfältigste aufzubewahren und in ein Stück Wildleder gewickelt, wie einst der Doktor Wakitamone gethan, beständig in meiner Kugeltasche mit mir herumzutragen.

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 3, Berlin 1865, S. 175-185.
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Die Mandanenwaise. Erzählung aus den Rheinlanden und dem Stromgebiet des Missouri von Balduin Möllhausen

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