Fußreise

[685] Am frischgeschnittnen Wanderstab

Wenn ich in der Frühe[685]

So durch Wälder ziehe,

Hügel auf und ab:

Dann, wie's Vöglein im Laube

Singet und sich rührt,

Oder wie die goldne Traube

Wonnegeister spürt

In der ersten Morgensonne:

So fühlt auch mein alter, lieber

Adam Herbst- und Frühlingsfieber,

Gottbeherzte,

Nie verscherzte

Erstlings-Paradieseswonne.


Also bist du nicht so schlimm, o alter

Adam, wie die strengen Lehrer sagen;

Liebst und lobst du immer doch,

Singst und preisest immer noch,

Wie an ewig neuen Schöpfungstagen,

Deinen lieben Schöpfer und Erhalter.

Möcht es dieser geben,

Und mein ganzes Leben

Wär im leichten Wanderschweiße

Eine solche Morgenreise!


Quelle:
Eduard Mörike: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1967, S. 685-686.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1867)
Gedichte
Der Nacht ins Ohr. Gedichte von Eduard Mörike.Vertonungen von Hugo Wolf. Ein Lesebuch von Dietrich Fischer-Dieskau
Sämtliche Gedichte in einem Band
Die schönsten Gedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)