Ach, ihr Seelendreher

[34] Ach, ihr Seelendreher,

ach, ihr Geisterseher,

kluge Psychologen!

Euch kommt angeflogen,

was wir nie ergründen:

unsre dunkeln Sünden,

unser Weh und Ringen,

unser Träumen, Singen,

unser Kämpfen, Gären

wißt ihr zu erklären.

Ihr kennt wohl Bescheid

tief in unserm Leid.

Ängsten uns die Hexen,

sprecht ihr von Komplexen.

Starren aus den Ecken

Fratzen, die uns schrecken,

quält uns Gott und Satan,

gleich rückt euer Rat an,

und prophetisch-pythisch,

psychoanalytisch

sucht ihr krumm und grade

unsre Seelenpfade.

Eure Worte alle:

eine Mausefalle,

uns mit Speck und Brocken

aus uns selbst zu locken.

Eure Lehrergesten

sollen die Gebresten

unsrer Seelen meistern. –

Dringt mit euern Geistern,

seid ihr noch so weise,

nicht in unsre Kreise!

Haltet euch bescheiden

hinter unsern Leiden!

Schleicht nicht wie die Diebe[35]

uns in Haß und Liebe!

Sonst kann sich's begeben,

daß wir uns beleben,

daß sich unsre Hemmung,

Sperrung und Beklemmung

plötzlich eurer wehrt

und euch fliegen lehrt,

werte Psychologen,

in graziösem Bogen.

Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 34-36.
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