Appell

[116] Ihr habt euch geplagt, und euch plagte die Not,

und Plage war, was das Leben euch bot.

Ihr littet, ihr fluchtet, ihr hofftet, ihr sannt,

bis ihr den Grund zu begreifen begannt,

bis ihr gelernt, warum Weib, warum Kind

bei all euerm Fleiße so elend sind.

Und ihr fragtet ins Herz euch: muß das so sein?

und ihr wußtet die Antwort: die Antwort hieß: Nein!

Und Lehrer und Weise brachten euch Rat.

Ihr erkanntet euch selbst: Wir Proletariat!

Und Kampflust gebar sich aus Hunger und Groll.

Ihr spürtet, wie euch der Muskel schwoll;

und ihr schriet in die Welt mit gewaltigem Ton:

Ihr Fürsten seid Mörder! Herunter vom Thron!

Ihr Priester, herab von den Kanzeln! Ihr logt!

Heraus aus der Werkstatt, du Sklavenvogt!

Wir waren Knechte die längste Zeit;

die Stunde ist da, wo das Volk sich befreit.

Die Kette zerreißt, die den Willen uns band.

Uns Brot und Maschinen! Uns Freiheit und Land!

Doch ihr plagtet euch weiter, euch plagte die Not,

und dem Herrn blieb das Land, die Maschine, das Brot.

Noch immer darben euch Weib und Kind,[116]

und ihr wißt doch, warum sie so elend sind.

Noch nie war der Jammer so groß und das Leid,

und ihr wißt doch, daß ihr die Stärkeren seid;

und ihr wißt doch, ihr Volk, ihr Proletariat:

die Zukunft der Menschheit harrt eurer Tat! –

Wo blieb eure Tat? Oh, fragt euch laut:

habt ihr stets nur den eigenen Kräften getraut?

Nein, nein, ihr bautet auf flüchtigen Sand,

ihr gabt euer Schicksal in fremde Hand.

Ihr habt nicht gekämpft, ihr habt nur gewählt

und habt voll Stolz eure Stimmen gezählt –

und statt euch von jedem Herrn zu befrein,

nahmt Herren ihr an aus den eigenen Reihn –

und wähltet und priest eurer Stimmen Zahl

und ließet die Taten dem Kapital ...

Oh, zählt nicht länger, wie viele ihr seid –

zerreißt die Ketten! Zerbrecht das Leid!

Im Sturmesbrausen der Revolution

ist Ein Mann stärker als eine Million!

Der Ruf ertönt: Auf, Proletariat!

Millionenmal Einer! Zum Sturm! Zur Tat!

Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 116-117.
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