Die Pfeife

[105] Wusch ich mich schon vor einem Jahr

zum letzten Mal mit Seife,

so ward jetzt auch der Tabak rar.

Schwarz gähnt das Maul der Pfeife.

Ein kalter Ruch – Erinnerungswahn –

entdünstet trüb dem Rachen.

Die taubste Nuß, der hohlste Zahn

kann nicht so traurig machen.

Der Tabakbeutel schlaff und leer

rutscht grämlich durch die Hände.

Kein lustig blaues Wölkchen mehr

belebt die kahlen Wände.

Wo ist der Qualm, der mir im Raum

die fade Luft gesäuert,

der mich umwirkt mit süßem Traum,

den Genius mir befeuert?

Wo ist das braune Zauberkraut,

das alle Grillen bannte?

Verbraucht, verschmaucht, verraucht, verdaut –

dahin ins Unbekannte! ...

Da liegt er nun, der Pfeifenkopf,

ein Anblick zum Erbarmen,

und wartet, daß ihn jemand stopf.

Es hilft dir nichts, dir Armen.

So ging's dem Vaterlande auch.

Jetzt habt ihr die Erfahrung:

Erst hochgepafft den dicken Rauch,

und nachher fehlt's an Nahrung.

Die Seife schmolz dahin zu Schaum;

jetzt wäscht man sich mit Speichel

und raucht das Laub vom Lindenbaum

mit kleingeriebener Eichel.

Vertan, verpulvert, aufgezehrt,

was unser war alltäglich. –

Lieb Vaterland, jetzt heißt's: entbehrt! –[106]

Der Rest ist arm und kläglich.

Wie viele Wochen, Tage noch

hält sich der Rest im Sacke?

Schon sickert er durchs Hungerloch

gleich meinem Rauchtabake ...

Was ward aus dir, lieb Vaterland?

Des eigenen Ruhms Attrappe,

ein ausgeblasenes Ei im Sand,

ein Siegesaar aus Pappe.

Herausgesogen bis zum Grund

der letzte Lebenstropfen –

ein leergebrannter Pfeifenschlund – –

und nichts mehr nachzustopfen.

Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 105-107.
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