562. König Waldemar.

[380] Nicht weit von Bau stand vorzeiten das alte Jagdschloß Waldemarstoft, das der König Waldemar im Sommer und Herbst bewohnte, um seinem Lieblingsvergnügen, der Jagd, nachzugehen. Einmal ritt der König frühmorgens mit vielen Jägern und Hunden in den Wald. Die Jagd ward gut, aber je größer die Beute war, desto stärker ward in ihm die Lust. Der Tag verging, die Sonne neigte sich und noch immer ließ er nicht ab. Als endlich tiefe Nacht eintrat und die Jagd eingestellt werden mußte, rief der König aus: »O, wenn ich doch ewig jagen könnte!« Da erscholl eine Stimme aus der Luft: »Dein Wunsch sei dir gewährt, König Waldemar, von Stund' an wirst du ewig jagen.« Bald darauf starb der König, und von seinem Todestage an reitet er in jeder Nacht auf einem schneeweißen Pferde, umgeben von seinen Jägern und seinen Hunden, durch die Luft im wilden Jagen dahin. In den Johannisnächten ist er allein hörbar, doch hört man ihn im Flensburger Stadtgraben auch an Herbsttagen ziehen. Dann tönt die Luft von Hörnerklang und Hundegebell, von Pfeifen und Rufen wieder, als ob eine ganze Jagd im Anzuge wäre. Man sagt dann: »Da zieht König Wollmer!«

Das alte Jagdschloß ist jetzt in ein Wirtshaus verwandelt, aber ein Zimmer befindet sich noch in dem Zustande, wie der König es bewohnt hat. Die Wände sind mit alten Bildern bedeckt; in der einen Ecke steht ein Himmelbett, darüber eine noch ziemlich wohlerhaltene dunkelrote Sammetdecke mit goldenen Franzen gebreitet ist. Auch findet man da[380] eine alte Orgel, die der König selbst gespielt haben soll. In diesem Zimmer ist einst nach ihm geschossen worden. Der Mörder schoß durch die Tür, verfehlte aber sein Ziel und traf die Wand, wo des Königs Brustbild hing. Auf dem Bilde sieht man noch das Loch, das die Kugel machte, ehe sie in die Wand fuhr, und in der Wand ist sie selbst noch sichtbar.


Durch Herrn Tamsen in Tondern und Herrn Pastor Dr. Jensen in Gelting. – Waldemarstoft hieß früher Oldemorstoft, worüber Jonas Hoyer, Bericht von etlichen Freigütern S. 20 (in Olaus Henr. Mollers Beiträgen zur Geschichte der Stadt Flensburg 1767, 4.) und Schröder, Topographie von Schleswig unter dem Worte nachzusehen sind. – Thiele, Danm. Folkes. I, 20. II, 113.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 380-381.
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